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Veränderung passiert auf der Straße

Die Linke darf für eine Regierungsbeteiligung keine Kompromisse machen, fordern soziale Bewegungen

Dass die Bewegungen gut vernetzt sind, haben sie bereits bei der »Solidarisch geht anders«-Demo im Oktober bewiesen.
Dass die Bewegungen gut vernetzt sind, haben sie bereits bei der »Solidarisch geht anders«-Demo im Oktober bewiesen.

Bei den Abgeordnetenhauswahlen Ende September haben 14,1 Prozent der Berliner*innen Die Linke gewählt. Seit Montag steht nun der Koalitionsvertrag, auf dessen Basis die Partei zusammen mit SPD und Grünen die Hauptstadt in den kommenden fünf Jahren regieren will. Doch entspricht er dem Willen der Wähler*innen? Kann Die Linke diesem als Regierungspartei überhaupt gerecht werden? Oder sollte sie sich eher als Teil der sozialen Bewegungen verstehen? Darüber diskutierte Ferat Koçak, der nun für Die Linke im Abgeordnetenhaus sitzt, am Mittwochabend im Rahmen der Podiumsdiskussion »Regierung oder besser doch Opposition?« des Linke-Studierendenverbandes SDS mit Aktivist*innen der Krankenhaus-, der Klima-, der antirassistischen und der Sozialisierungsbewegung.

»Linke Menschen in Regierungen ändern keine Kräfteverhältnisse. Die Macht liegt im gesellschaftlichen Protest. Das ist das Rückgrat sozialer Politik«, sagt Paula Tigges vom SDS und verweist darauf, dass in der zurückliegenden Legislaturperiode unter Regierungsbeteiligung der Linken viele Rückschläge wie die Räumung an der Rigaer Straße oder der Rummelsburger Bucht zu verkraften gewesen seien. Die Linke brauche dringend »Haltelininen«, die von den Bewegungen formuliert werden müssten. Aus der Opposition heraus lasse sich leichter mobilisieren, »auch weil Die Linke dann nicht in der Verantwortung steckt für das, wogegen sie protestiert«, so Tigges.

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Auch Maria Glänzel von der Berliner Krankenhausbewegung sagt, sie und ihre Mitstreiter*innen hätten sich in ihrem Tarifkampf »von der Landesregierung wenig unterstützt gefühlt«. Sie arbeitet in einer psychiatrischen Klinik in Neukölln, einem Tochterunternehmen des landeseigenen Krankenhauskonzerns Vivantes, wo eine Pflegekraft für bis zu 13 Patient*innen zuständig sei. »Psychisch- oder Demenzkranke bekommen nicht die Zuwendung, die sie verdienen«, kritisiert Glänzel. Viele Kolleg*innen stiegen aus dem Beruf aus. Sie glaubt nicht, dass die Linkspartei die Möglichkeit habe, »in den nächsten fünf Jahren so viel zu reißen« und würde sich »freuen, Die Linke wieder öfter auf der Straße zu sehen«.

Anna-Lena Füg von Fridays for Future kritisiert an dem rot-grün-roten Koalitionsvertrag, dass weder ein Datum für die Klimaneutralität Berlins noch für den Gasausstieg festgelegt wurde. Es sehe nach einem »Wir tun, was wir können« statt »Wir tun, was wir müssen« aus. Anstelle von E-Mobilität und der A100 brauche Berlin eine autofreie Innenstadt und einen attraktiveren Nahverkehr, außerdem sozialverträgliche Konzepte für energetische Sanierung und ein Kreislaufwirtschaftssystem. »Wir erwarten eine echte Mitbestimmung der Berliner*innen im Klima-Bürger*innenrat und dass Die Linke eine wachstumskritische Perspektive einnimmt«, fordert Füg. Vor allem aber solle die Partei den Bewegungen die Diskursmacht geben, denn auch sie ist überzeugt: »Wirklicher Wandel passiert auf der Straße, durch den Druck von Menschen, die sich beschweren.«

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Aus antirassistischer Perspektive sei in der vergangenen Legislatur vor allem Symbolisches passiert, wie die Umbenennung von Straßen oder der Ausländerbehörde in Einwanderungsamt, sagt Bafta Sarbo von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Eines der größten Probleme sieht sie jedoch in den sogenannten Gefahrengebieten, in denen die Polizei anlasslose Kontrollen durchführen darf, die häufig mit Racial Profiling verbunden seien, also der Tatsache, dass Schwarze Menschen öfter kontrolliert werden.

Sarbo ist deswegen an der Initiative »Ihr seid keine Sicherheit!« beteiligt, die unter anderem eine Einschränkung der Polizeibefugnisse und eine Abschaffung der Gefahrenzonen fordert. Auf die Frage eines Jungen Liberalen aus dem Publikum, wie das mit der hohen Kriminalitätsstatistik Berlins vereinbar sei, erklärt sie, dass solche Statistiken überhaupt erst dann nach oben gehen, wenn mehr kontrolliert werde. »Das hat dann häufig mit Ordnungswidrigkeiten oder kriminalisiertem Drogenkonsum zu tun. Mehr Polizeigewalt ist dafür keine Lösung.«

In der früheren rot-schwarzen Koalition habe die Linkspartei diesbezüglich aus der Opposition heraus deutlich mehr Druck durch kleine Anfragen ausgeübt als in der rot-rot-grünen Regierung. Dass die Befugnisse der Polizei nun auch noch ausgeweitet werden sollen, ist für Sarbo keine gute Regierungsgrundlage.

Auch die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen sieht Rassismus als ein Problem, da Menschen ohne deutschen Pass für den Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne weder unterschreiben noch abstimmen duften. Außerdem habe die rot-rot-grüne Regierung der Initiative viele Steine in den Weg gelegt, indem Innensenator Andreas Geisel (SPD) sich zum Beispiel über 400 Tage Zeit für die Prüfung gelassen habe, sagt Kilian Weißer von der Initiative. »Dafür gab es in der letzten Sammelphase viel Unterstützung der Linken, ohne die es sicher weniger Unterschriften geworden wären«, lobt er.

Von der neuen Regierung fordert er, den Willen der 56,4 Prozent der Berliner*innen, die für die Enteignung gestimmt haben – »und nicht für mehr Bauen« –, auch umzusetzen. Optimistisch ist er allerdings nicht. Mit der im Koalitionsvertrag verankerten Expert*innenkommission, die die Vergesellschaftung erst einmal prüfen soll, werde der Entscheid wohl nur »verschleppt«. Die Initiative fordert stattdessen eine konkrete Umsetzungskommission, in der sie dem Votum entsprechend zu 56,4 Prozent vertreten ist, »und da sollte keine Person drinsitzen, die Verflechtungen mit der Immobilienwirtschaft hat«, so Weißer.

Deutsche Wohnen & Co enteignen werde weiter aktiv bleiben, verspricht er, und die Bewegungen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Zum Beispiel könne die Bebauung und Versiegelung von Grünflächen, vor der ein Aktivist der Initiative 100 Prozent Tempelhofer Feld aus dem Publikum warnt, keine Lösung der Mietenkrise sein. Genau wie Weißer sieht auch Anna-Lena Füg von Fridays for Future die Initiativen jedoch in keiner Abhängigkeit von den Linken: »Die Bewegungen sind gut vernetzt. Wir brauchen dafür keine Partei«, sagt sie.

Andersherum will Ferat Koçak ihren Protest als »Aktivist im Parlament« unterstützen und gegen den Koalitionsvertrag stimmen: »Der Karstadt am Hermannplatz soll abgerissen und dort neu gebaut werden. Dadurch werden Menschen verdrängt, und auch die ganze Schikane der Polizei in der Innenstadt ist eine Gentrifzierungspolitik«, kritisiert er gegenüber »nd«. Der Großteil des Publikums macht jedenfalls deutlich, dass Regieren die Linkspartei nicht voranbringen wird, wenn sie sich dafür von den Bewegungen entfernt.

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