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Im Westen kaum Neues

Die Auswahl der Inszenierungen für das Berliner Theatertreffen 2022 steht fest

Jedes Jahr im Mai blicken die Theaterwelt und das interessierte Publikum nach Berlin. Im Rahmen des Theatertreffens werden dann zehn Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum gezeigt, die eine Jury zu den bemerkenswertesten des zurückliegenden Jahres zählt. In den letzten beiden Ausgaben wurde die Bestenschau ins Internet verlegt. Das hatte den Vorteil, dass sich über die Hauptstadt hinaus Zuschauer aus der ganzen Welt zuschalten konnten. Auch den Griff in die Geldbörse für Theaterkarten konnte man sich so sparen. Nun ist aber die Ersatzspielstätte digitaler Raum für die darstellende Kunst – anderslautender Behauptungen zum Trotz – ein undankbarer Ort. Wo bleibt das Gespräch in der Vorstellungspause? Und wie soll unter den Bedingungen der virtuellen Entfremdung so etwas wie Atmosphäre entstehen? In diesem Jahr gibt es wieder eine reelle Chance, dass das Theatertreffen am angestammten Platz, im Haus der Berliner Festspiele, stattfinden kann.

Am Donnerstag wurden in einer Pressekonferenz die zehn zu dem Festival eingeladenen Theaterproduktionen bekanntgegeben. Eine etwas müde Auswahl von allseits bekannten Größen des Theaterbetriebs. Berlin und München, Hamburg und Wien, Mannheim und Hannover, dazu Bochum und, der Ostquote wegen, Dresden. Weiter, soll auch heißen: genauer, hat man wieder nicht hingeschaut. Ohnehin waren lediglich 32 Inszenierungen überhaupt in der Diskussion. Angesichts der immensen Anzahl an Arbeiten, die nach der verordneten Schließung der Theater eng getaktet zur Premiere gebracht wurden, ist das mehr als erstaunlich.

Führt man sich genauer vor Augen, welche Nominierungen ausgesprochen wurden, wird schnell deutlich: Das gute alte Drama hat ausgedient. Zumindest wenn es nach den Juroren geht. »Die Jungfrau von Orleans« (Regie: Ewelina Marciniak, Nationaltheater Mannheim) gemahnt dem Titel nach am ehesten noch an den Kanon, wird selbstredend aber wieder nur »nach Friedrich Schiller« gegeben. Ähnlich dürfte es sich bei dem vom Chortheaterurgestein Volker Lösch inszenierten »Tartuffe« nach Molière am Staatsschauspiel Dresden verhalten, dem dieser den Beinamen »Kapital und Ideologie« nach Thomas Piketty hinzugestellt hat. Was passiert, wenn man Britney Spears, Meat Loaf und Dante Alighieri vermengt, kann man in der Bochumer Arbeit »Das neue Leben. Where do we go from here« (Regie: Theatertreffendauergast Christopher Rüping) betrachten.

Ansonsten wird geboten, was das Theater an Moden gerade so hergibt: eine sogenannte Performance-Installation (»Die Ruhe«, Regie: Signa Köstler, Deutsches Schauspielhaus Hamburg) und Ausflüge ins Musikalische (»All right. Good night.«, Regie: Helgard Haug, HAU Berlin und »Like Lovers Do«, Regie/Choreografie: Pınar Karabulut, Münchner Kammerspiele). Dazu gesellt sich ein bisschen absurdes Theater von dem japanischen Ausnahmekünstler Toshiki Okada (»Doughnuts«, Thalia Theater Hamburg) und eine Bühnenadaption der experimentellen Lyrik von Ernst Jandl durch die überaus überzeugende Regisseurin Claudia Bauer (»humanistää! eine abschaffung der sparten«, Volkstheater Wien).

Dass »Ein Mann seiner Klasse« (Regie: Lukas Holzhausen, Staatsschauspiel Hannover) ebenfalls zum Theatertreffen geladen ist, hat wohl mehr mit der sehr gelungenen Vorlage, dem autobiografischen Roman von Christian Baron, zu tun als mit der szenischen Darbietung. Für etwas Abwechslung dürfte »Slippery Slope. Almost a Musical« sorgen, das die israelische Regisseurin Yael Ronen an ihrem Berliner Stammhaus, dem Maxim-Gorki-Theater, inszeniert hat. Dabei handelt es sich um eine musikalisch-heitere, aber eben nicht nur heitere, Auseinandersetzung mit den enervierenden Debatten unserer Zeit um kulturelle Aneignung, »Cancel Culture«, Sprechverbote und Shitstorms.

Dass man sich innerhalb der Jury offenbar dagegen sperrt, Kontrapunkte zum Theaterallerlei zu setzen, ist bedauerlich. Künstlerische Wagnisse wären willkommen, um die Relevanz auch bei einem renommierten Festival unter Beweis zu stellen. Und der Blick über die Großstädte hinaus wäre dringend geboten, wenn man den eigenen Maßstäben gerecht werden will.

Das Berliner Theatertreffen findet vom 5. bis 22. Mai statt.
www.berlinerfestspiele.de

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