Gemeinsam in Dantes Hölle

Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine sind sich am Ende näher, als sie glauben

Das Genre der Doppelbiografie ist leider aus der Mode gekommen - doch das gemeinsame Ende der großen Zeiten von Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine fordert fast ihr Comeback: zwei Erzfeinde, die am Ende ihrer Karriere, nach Jahrzehnten des Miteinanders, Auseinanders und Gegeneinanders, in der exakt selben Ecke angekommen sind.

Soeben ist Gerhard Schröder von seiner Spezialoperation aus Moskau zurückgekommen. Spötter meinen, die Reise habe vor allem den Bedürfnissen seines Privatvermögens gegolten. Noch während er bei Putin antichambrierte, trat er von der Ehrenbürgerwürde der Stadt Hannover zurück, bevor die ihn von der Liste streicht. Ähnlich wird es wohl mit der SPD-Mitgliedschaft laufen. Beides ist ihm weniger wichtig, als von seinen Funktionen als Gasmogul zurückzutreten - was ihm zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht einmal Putin selbst übel nehmen würde.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Sein alter Erzrivale Lafontaine hingegen ist aus der Linkspartei ausgetreten, seiner eigenen Gründung. Sie sei ihm nicht mehr »friedenspolitisch« genug, womit er wahrscheinlich meint, dass es auch noch Vertreter der Partei gibt, die nicht eins zu eins die Kremlpropaganda nachplappern. Jetzt sind sie beide, Schröder und Lafontaine, zuguterletzt auf ihr publizistisches und unternehmerisches Glücksrittertum heruntergefallen; skurrile Gestalten, denen man kaum anmerkt, dass sie vor 20 Jahren noch Berge versetzt haben; verbunden nur mehr durch Ressentiments, Honorarverträge und den unerschütterlichen Willen, zu Putin zu halten, gleich, wie viel Blut der noch vergießt.

1998 hatten sie noch dem Monarchen Kohl ein Ende gesetzt, machten sich an den berühmten »Reformstau«. Entsetzt vom neoliberalen Programm Schröders, ergriff Lafontaine 1999 die Flucht, versammelte alle Kräfte links von SPD und Grünen. Die beiden Parteien wurden von Schröder und Fischer in rückgratlose Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft umgewandelt - womit sie, die aktuellen Corona-Beschlüsse zeigen es, bis heute Erfolg hatten. Schröders Hartz-IV-Programm verwandelte die Republik in das Paradox eines Erstwelt-Billiglohnlands, in dem die Angst vor Arbeitslosigkeit die Gesellschaft erfolgreich stratifizierte. Lafontaine hingegen sammelte Attac und PDS ein und organisierte linke Kräfte in einer Weise, wie man es in Europa wohl seit der Frühzeit der Arbeiterbewegung nicht mehr gesehen hatte.

Am Ende wurden sie sich immer ähnlicher: den eigenen Parteien zunehmend eine Last, Bremsklötze am eigenen Projekt, begannen sie schließlich, ihren jeweiligen Verein rücksichtslos zu sabotieren. Lafontaine wollte noch einmal rechts Wähler*innen abfischen, verstieg sich zu widerlichen Thesen zur Migration, hofierte Thilo Sarrazin und hoffte, in einer neuen Sammlungsbewegung alle möglichen Unzufriedenen von links bis rechts zu vereinigen. Der ehemalige Brioni-Kanzler Schröder stellte indes seinen Oligarchenwohlstand zur Schau, lieferte bizarre Haushaltsszenen auf Instagram und fixierte die SPD auf einen Pro-Putin-Kurs, dessen Preis Europa, allen voran die Ukraine, gerade jeden Tag zahlt. Lafontaine hingegen forderte noch am 14. Februar mehr »Putinversteher« für den Frieden - wenige Tage, bevor die ersten Raketen einschlugen.

Ihr mäandernder Lebensweg hat sie am Ende in der gleichen griechischen Fabelhölle zusammengeführt: Der quälende Ehrgeiz, der sie einst an die Macht brachte, wird es ihnen bis zum Tode unmöglich machen, einen Ruhestand in Würde und Bequemlichkeit zu führen. Noch bis zum letzten Atemzug Seite an Seite mit dem Intimfeind Diktatoren verteidigen müssen - eine Strafe, die sich Dante nicht plastischer hätte ausdenken können.

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