Pushbacks und Klagen

Das Verhalten der Behörden an den EU-Außengrenzen sollen Geflüchtete und Unterstützer*innen gleichermaßen abschrecken

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist eine verkehrte Welt: An den europäischen Außengrenzen schlagen Staatsbeamte Menschen mit Stöcken, werfen sie ins Meer oder drängen sie über Zäune und Gewässer. Damit wird Schutzsuchenden ihr Recht auf ein faires Asylverfahren mit Gewalt verwehrt. Doch nicht diese völkerrechtswidrig Handelnden kommen vor Gericht, sondern Geflüchtete und ehrenamtliche Fluchthelfer*innen. Nur ein schwacher Trost ist, dass Frontex-Chef Fabrice Leggeri im April wegen Verwicklungen der EU-Grenzschutzagentur in illegale Pushbacks zurückgetreten ist. Am System ändert sich dadurch wenig. Die Dokumentation dieser Rechtsbrüche wird auch immer schwieriger: In Polen hat der Staat eine ganz offizielle No-Go-Area an der Grenze zu Belarus eingerichtet. Aus Griechenland berichten Aktivist*innen davon, dass es zu gefährlich werde, das militarisierte Gebiet um den Evros zu betreten, über den Geflüchtete von Griechenland zurück auf die türkische Seite des Flusses gedrängt werden.

Dieses System funktioniert zweigleisig. Auf der einen Seite wird die Militarisierung und Gewalt gegenüber Geflüchteten an den EU-Außengrenzen normalisiert und verschleiert. Mittlerweile immer mehr ersteres als zweiteres. Auf der anderen Seite werden der Grenzübertritt der Menschen sowie lebensrettende Maßnahmen als »Beihilfe« zum Grenzübertritt und damit rechtswidrig dargestellt. Obwohl es von Rechts wegen eigentlich andersherum ist. Natürlich wäre es gut, wenn der Prozess gegen die Seenotretter*innen in Italien am Samstag eingestellt werden würde. Doch der Schaden beziehungsweise der erwünschte Effekt ist schon eingetreten: Seit fünf Jahren ist die Crew der »Iuventa« nicht mehr in der Lage, Schutzsuchende auf dem Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten. Außerdem wird damit ein Exempel statuiert und solidarische Menschen werden davon abgehalten, sich zu engagieren. Nicht jede*r kann oder will in Kauf nehmen, womöglich jahrzehntelang in einem italienischen Gefängnis zu sitzen.

Laut der Recherche »From Sea to Prison« (Vom Meer ins Gefängnis) wurden seit 2013 allein in Italien über 2500 Bootsfahrer*innen und Assistent*innen inhaftiert, viele von ihnen selbst Migrant*innen und Geflüchtete. Gerichtsverfahren dieser Art gibt es nicht nur in Italien. In Griechenland gab es allein in diesem Monat mindestens zwei Verfahren, in denen Geflüchtete angeklagt wurden, weil sie ein Boot steuerten, mit dem Menschen in die EU einreisen wollten. In beiden Fällen hat ein Unfall zum Tod von Menschen geführt. Im Fall der »Paros 3« wurden drei Syrer zu mehreren lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Im Fall der »Samos 2« wurde ein Mann freigesprochen, ein zweiter wurde zu einem Jahr und fünf Monaten auf Bewährung verurteilt. Positiv werten Expert*innen in diesen Fällen, dass die Gerichte zur Kenntnis nahmen, dass die Angeklagten selbst Geflüchtete waren und nicht als Schmuggler behandelt wurden.

Im Herbst letzten Jahres kamen Tausende Menschen über Belarus an die polnische Grenze. Auch hier gingen Aktivist*innen, die Geflüchtete besonders im Winter mit warmer Nahrung und Kleidung vor dem Erfrieren und Verhungern bewahrten, hohe Risiken ein. Laut dem Helsinki-Kommitee für Menschenrechte wurden seit März mindestens fünf Aktivist*innen wegen »Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt« angeklagt, sie müssen mit bis zu acht Jahren Haft rechnen. »Unsere Meinung ist, dass die Bereitstellung humanitärer Hilfe immer legal ist«, sagt Marta Górczyńska vom Helsinki-Komitee für Menschenrechte in Polen zu »nd.DieWoche«. Trotzdem würden Grenzbeamte Aktivist*innen mit Strafanzeigen bedrohen und behaupten, ihre Hilfe sei illegal. Diese Einschüchterung halte Menschen davon ab, Hilfe in den Wäldern zu leisten. »Es heißt nicht ohne Grund: Erst stirbt das Recht, dann der Mensch. Aus diesem Grund müssen wir dafür streiten, dass die Rechtsstaatlichkeit an der EU-Außengrenze wiederhergestellt wird und es keine Kriminalisierung von Flucht und Fluchthelfer*innen mehr gibt«, sagt Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag zu »nd.DieWoche«.

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