• Sport
  • Fußball-Europameisterschaft 1992

Jähes Ende einer goldenen Generation

Jugoslawiens Fußballer wollten vor 30 Jahren Europameister werden, wurden aber vom Krieg gestoppt

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 5 Min.
Die goldene jugoslawische Fußballgeneration um Robert Prosinečki (r.) scheiterte bei der WM 1900 gegen den späteren Vizeweltmeister Argentinien im Viertelfinale erst im Elfmeterschießen.
Die goldene jugoslawische Fußballgeneration um Robert Prosinečki (r.) scheiterte bei der WM 1900 gegen den späteren Vizeweltmeister Argentinien im Viertelfinale erst im Elfmeterschießen.

Die ukrainischen Fußballer haben gerade erst ihre Tränen getrocknet, nachdem sie mit einem 0:1 in Wales denkbar knapp die kommende Weltmeisterschaft in Katar verpasst hatten. Ein Zeichen der Hoffnung wollte das Nationalteam den Menschen in der Heimat mit einer Qualifikation für das WM-Turnier in Katar geben. Verglichen damit wären mögliche Erfolge in den kommenden Spielen der Nations League, beginnend an diesem Mittwoch in Irland, dagegen nur ein schwacher Trost in Kriegszeiten. Das Team des Aggressors darf gar nicht spielen – seit Anfang März ist Russlands Nationalmannschaft suspendiert und darf, obwohl für die Ausscheidungsspiele qualifiziert, auch nicht bei der WM antreten. Neu sind derartige Sanktionen nicht, vor ziemlich genau 30 Jahren wurde Jugoslawien ausgeschlossen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Im Herbst 1990 gehörte die jugoslawische Nationalmannschaft zu den besten der Welt. Ihre ersten Qualifikationsspiele für die Europameisterschaft 1992 gewann sie deutlich gegen Nordirland, Österreich und Dänemark. Die Führungsspieler kannten sich seit Jahren: 1987 hatten sie die Junioren-WM in Chile gewonnen, 1990 waren sie bei der Weltmeisterschaft der A-Nationalteams in Italien erst im Viertelfinale am späteren Vizeweltmeister Argentinien gescheitert. Und nun, vor der EM 1992 in Schweden, wollten sie eine Entwicklung, die immer weiter nach oben führte, mit dem perfekten Ergebnis abschließen – mit dem Titel.

Die Nationalmannschaft galt über Jahrzehnte als Symbol für den funktionierenden jugoslawischen Vielvölkerstaat. Auch 1990 bildeten Spieler aus allen sechs Teilrepubliken eine Einheit. Sie stammten aus Serbien, Kroatien, Bosnien, Mazedonien, Montenegro und Slowenien. »Die Spieler haben sich seit ihrer Jugend immer wieder in Sportschulen getroffen«, sagt Sozialwissenschaftler Dario Brentin, der sich mit Fußball auf dem Balkan beschäftigt. »Und sie begegneten sich in der jugoslawischen Liga, denn sie durften lange nicht ins Ausland wechseln. So entstanden Freundschaften, in denen nationale Herkunft und Identität nicht wirklich eine Rolle spielten.« Stars wie Robert Prosinečki, Darko Pančev oder Predrag Mijatović glaubten, dass sie einer »goldenen Generation« angehörten.

Von einer solchen Harmonie war in der Gesellschaft seit den 80er Jahren nichts mehr zu spüren. Wirtschaftskrisen und Spannungen förderten die Sehnsucht nach ethnisch homogenen Einzelstaaten. Der Nationalismus führte in den Stadien zu Hassgesängen, Gewalt, Spielabbrüchen. Als Roter Stern Belgrad 1991 den Europapokal der Landesmeister gewann, schwenkten seine Fans kaum noch jugoslawische, dafür aber vermehrt serbische Fahnen. In den kroatischen Stadien in Zagreb oder Split wurde während der jugoslawische Hymne gepfiffen. Das Nationalteam stürmte trotzdem Richtung EM. Beim 7:0 gegen die Färöer im Mai 1991 spielte die Mannschaft letztmalig in ihrer besten Besetzung.

Im Juni 1991 erklärten Kroatien und Slowenien ihre Unabhängigkeit. Die serbisch dominierte Volksarmee Jugoslawiens wollte vor allem das kroatische Gebiet wieder unter Kontrolle bringen. Im folgenden Krieg wurden mehr als 10 000 Menschen getötet und mehr als 250 000 vertrieben. Auch Hooligans von Roter Stern Belgrad kämpften in Kroatien und begingen Kriegsverbrechen, einige von ihnen zeigten später bei einem Ligaspiel in Belgrad ein Straßenschild aus Vukovar, einer weitgehend zerstörten Stadt im Osten Kroatiens. Heimspiele im Europapokal musste Roter Stern auf Anordnung der Europäischen Fußballunion Uefa im Ausland bestreiten. Die jugoslawische Nationalmannschaft durfte sich trotz des Krieges weiter auf die EM 1992 vorbereiten – inzwischen bereits ohne kroatische und slowenische Spieler.

Im März 1992 erklärte auch Bosnien-Herzegowina seine Unabhängigkeit. Die Minderheit der bosnischen Serben wollte das nicht akzeptieren, ihre Truppen zogen einen Belagerungsring um Sarajevo. Im Zentrum der bosnischen Hauptstadt lag das Stadion des FK Željezničar, direkt an der Front. Es kam zu Gefechten, der Rasen glich einem Krater. Ein serbischer Scharfschütze tötete einen Fußballfan, als dieser eine angeschossene Frau retten wollte.

In der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad vernahm Ivica Osim diese Nachrichten mit großer Sorge. Er war während des Zweiten Weltkrieges in Sarajevo geboren worden und identifizierte sich mit der Vielfalt Jugoslawiens. 1986 übernahm der Trainer das Nationalteam. Am 23. Mai, zweieinhalb Wochen vor dem Beginn der EM, trat er als Nationaltrainer zurück. Seine Rede wurde im Fernsehen übertragen. »Mein Land hat es nicht verdient, an der Europameisterschaft teilzunehmen«, sagte er unter Tränen. »Der Rücktritt ist das einzige, was ich für meine Stadt tun kann. Damit die Menschen sich erinnern, dass ich in Sarajevo geboren bin.« Auch ohne ihren beliebten Trainer begab sich die geschrumpfte jugoslawische Auswahl auf ihre Reise zum Turnier nach Schweden.

Ihr Quartier in der Küstenstadt Ystad lag in der Nähe eines Lagers für Balkan-Flüchtlinge. Die schwedische Polizei fürchtete Proteste gegen die Mannschaft und verlegte ihr Camp nach Leksand in Zentralschweden. Am 30. Mai 1992, elf Tage vor EM-Beginn, verabschiedeten die Vereinten Nationen die Resolution 757. Darin ging es um Sanktionen gegen Jugoslawien. Am Tag darauf wurde die jugoslawische Mannschaft von der EM ausgeschlossen.

»Heute blickt man auf dem Balkan sehr unterschiedlich auf das Jahr 1992 zurück«, sagt Richard Mills, Autor des Buches »The Politics of Football in Yugoslavia«. »In Kroatien gilt der Ausschluss von der Europameisterschaft nicht als Ende, sondern als Beginn einer großen Ära.« Die neue kroatische Nationalmannschaft erreichte schon bei der EM 1996 das Viertelfinale und belegte zwei Jahre später WM-Platz drei. Robert Prosinečki ging als erster Spieler in die Geschichte ein, der für zwei Länder WM-Tore schoss, 1990 für Jugoslawien und acht Jahre später für Kroatien. So begleitete der Fußball die Herausbildung der kroatischen Nation.

Doch in den Jahren danach zeigte auch der Fußball, wie schmal der Grat ist zwischen Patriotismus und Nationalismus. Ultras in Belgrad feierten den bosnisch-serbischen General Ratko Mladić, der 1995 für das Massaker von Srebrenica verantwortlich war, für den Tod von 8000 Bosniern. In Kroatien verklären Fans mitunter die Ustascha, eine faschistische Bewegung während des Zweiten Weltkrieges. In allen Nachfolgestaaten Jugoslawiens erinnern Anhänger aber auch mit Gesängen und Choreografien an die Opfer der Zerfallskriege. Und im jüngsten Staat, in Kosovo, verbinden viele Menschen mit dem Nationalteam einen gesellschaftlichen Aufbruch.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal