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»Und ich habe Deutschland so geliebt«
Rebecca Donner hat ein berührendes Buch über ihre Urgroßtante Mildred Harnack verfasst
Es ist eine der großen Heldensagen, nicht nur des deutschen, sondern auch des europäischen Widerstands gegen die deutsch-faschistische Barbarei. Eine Heldengeschichte, die nicht oft genug erzählt werden kann und doch noch zu wenig erzählt wurde, im Westen Deutschlands über Jahrzehnte gänzlich verschwiegen worden ist. Dort wurden deren mutige Protagonisten gar als »Landesverräter« diffamiert und denunziert. Erst in den späten Achtzigern beziehungsweise Anfang der Neunziger sollte sich dies allmählich ändern, wurden die Angehörigen des Widerstandskreises »Rote Kapelle«, wie der Fahndungsname der Gestapo lautete, von seriösen Historikern und antifaschistisch engagierten Menschen der Vergessenheit und Verleumdung entrissen, ihr vielfältiger Kampf gegen das Hitlerregime gebührend gewürdigt. Sie gehörten vielfach dem akademischen Milieu und der politischen und geistigen Elite an, halfen verfolgten Juden und politischen Oppositionellen, druckten Flugblätter, dokumentierten die Verbrechen der Diktatur – und versuchten, die Alliierten mit militärisch relevanten Informationen zu versorgen. Die deutschen Freundeskreise um Harro Schulze-Boysen, Offizier im Reichsluftfahrtsministerium, und Arvid Harnack, Nationalökonom im Reichswirtschaftsministerium, flogen auf, nachdem es der Gestapo gelungen war, einen Funkspruch von mit ihnen direkt oder indirekt in Kontakt stehenden, in Paris und Brüssel operierenden Gruppen zu entschlüsseln, die von Leopold Trepper, einem polnischen Kommunisten in Diensten des sowjetischen Nachrichtendienstes GRU, geleitet wurden. Woraus die Gestapo die Legende eines von Moskau angeleiteten kommunistischen Spionagerings strickte, die sich im Wesen zu Zeiten des Kalten Krieges zählebig hielt. Zu den frühen Mahnern wider die Mär gehörte der Schriftsteller Günther Weisenborn, der dem Widerstandskreis angehört hatte und Chefdramaturg der Hamburger Kammerspiele war. 1953 veröffentlichte er mit »Der lautlose Aufstand« einen ersten umfassenden Dokumentarbericht über den deutschen Widerstand im Westen. Sein Sohn Christian übernahm den verpflichtenden Staffelstab der Erinnerung, als er mit den Filmen »Verräterkinder« und »Die guten Feinde« (2015/17) den »Verschwörern« um Hitlerattentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg sowie der »Rote Kapelle« ein Denkmal setzte.
Im Herbst 1942 sind über 120 Angehörige der sogenannten »Roten Kapelle« verhaftet worden, im Winter erließ das »Reichskriegsgericht« 49 Todesurteile, die sogleich vollstreckt wurden. In der DDR galten sie als Helden. Bücher und Filme erschienen über sie. Überlebende Mitglieder des Widerstandskreises wie Heinrich Scheel, Vizepräsident der DDR-Wissenschaftsakademie, oder Greta Kuckhoff, erste Präsidentin der Deutschen Notenbank (der späteren Staatsbank der DDR), hielten die Erinnerung an die Ermordeten wach. Das Drehbuch zu dem populären Defa-Streifen »KLK an PTX« (1970) schrieb Claus Küchenmeister, Sohn eines gemeuchelten Angehörigen der »Roten Kapelle«. Von der Sowjetunion erhielten die von den Nazis Hingerichteten postum Orden – darunter die US-Amerikanerin Mildred Harnack. Sie war vom Reichskriegsgericht zunächst zu »nur« sechs Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden, Hitler persönlich ordnete das Todesurteil an.
Ihr Name ist auf einem 1976 errichteten Mahnmal im Hof des Hauptgebäudes der Hmboldt-Universität, Unter den Linden in Berlin, verewigt, wo die Literaturwissenschaftlerin aus Milwaukee als Dozentin gewirkt hat. In Bremen steht seit 1984 eine Skulptur des DDR-Bildhauers Fritz Cremer, »Der Freiheitskämpfer«, die ihr und ihren Mitstreitern gewidmet ist. Inzwischen wird ihrer auch in den USA gedacht. In Mildred Harnacks Geburtsstadt trägt eine Kunstschule ihren Namen. Lange keine Selbstverständlichkeit, wie Rebecca Donner zu berichten weiß.
Die US-amerikanische Publizistin hat ein wunderbares, feinfühliges, berührendes Buch über ihre Urgroßtante verfasst. Der englische Originaltitel »All the Frequent Troubles of Our Days« greift eine Zeile aus einem Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe auf: »Zu unsres Lebens oft getrübten Tagen«. In den letzten ihr verbliebenen Tagen hat Mildred Harnack in ihrer feuchten Gefängniszelle noch den deutschen Klassiker, den sie so liebte, ins Englische übersetzt. Sie liebte auch dessen Land: »Und ich habe Deutschland so geliebt.« Bevor es Nazischergen in die Hand fiel. Faksimiles im Buch zeigen papierschonend kleine Schriftzüge, mit einem Bleistiftfummel aufs Blatt gebracht, wie Harald Poelchau, Gefängnispfarrer im Zuchthaus Berlin-Plötzensee, in seinen Erinnerungen berichtete. Ihm ist es auch zu verdanken, dass Mildreds Übersetzungen überliefert sind. Als sie am 16. Februar 1943 ihren letzten Gang antreten musste, ließ er ihr Notizbuch in die Falten seines Gewandes gleiten.
Nach der militärischen Niederschlagung Nazideutschlands durch die Antihitlerkoalition leitete das Spionageabwehrkorps der U.S. Army eine Ermittlung ein. »Mildred Harnacks Taten sind lobenswert«, vermerkt ein Geheimdienstbeamter 1946. Ein anderer notiert: »Es ist durchaus wahrscheinlich, dass eine Ermittlung ein Kriegsverbrechen enthüllen wird.« Die Ermordung einer US-amerikanischen Zivilistin im »Dritten Reich«. Doch dann folgt die Order, nicht weiter zu ermitteln. Die War Crime Group der US-Army lässt den Fall schließen. »Mildred Harnack war tatsächlich maßgeblich in die Untergrundaktivitäten eingebunden, die darauf abzielten, die deutsche Regierung zu stürzen«, schrieb ein Mitarbeiter und resümiert sodann, dass deren Hinrichtung gerechtfertigt gewesen sei. Der Antikommunismus der McCarthy-Ära trieb die skurrilsten Blüten. Trotzdem würdigt im Dezember 1947 noch ein Artikel in der »New York Times« Mildred unter der Schlagzeile »Hitler lässt 1943 Amerikanerin aus politischer Vergeltung töten«, und kurz darauf preist die »Washington Post« sie als »eine der Anführerinnen des gegen die Nazis tätigen Untergrunds«.
Die vor 120 Jahren am 16. September in ärmlichen Verhältnissen geborene Tochter eines stets insolventen Fleischers zeigt früh Interesse am Zeitgeschehen. Sie erfüllt sich aus eigener Kraft ihren Studiumswunsch. Als Dozentin für deutsche Literatur an der University of Wisconsin-Madison begegnet ihr der deutsche Jurabsolvent und Rockefeller-Stipendiat Arvid Harnack, zufällig verirrte er sich in ihre Vorlesung. Die beiden verlieben sich ineinander, heiraten und übersiedeln nach Berlin, wo Mildred zunächst an einem Abendgymnasium Englisch unterrichtet und den Machtantritt der Nazis erlebt. Mit ihrem Mann, einem Cousin des oppositionellen, später ebenfalls von den Nazis ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer, sowie dem Schriftsteller Adam Kuckhoff und dessen Frau Greta gründet sie einen Diskussionszirkel, schart vorsichtig Gleichgesinnte um sich, lernt Harro Schulze-Boysen und dessen Frau, die Aristokratin Libertas, kennen, zu der sie anfangs ein etwas schwieriges Verhältnis hat. Mildred promoviert 1941 an der Ludwigs-Universität Gießen und wird Lehrbeauftragte an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Alma Mater.
Mildred Harnack ist eng mit Martha Dodd, Tochter des US-amerikanischen Botschafters in der deutschen Hauptstadt, befreundet, später auch mit Botschaftsrat Donald R. Heath und dessen Frau Louise. Deren Sohn spielt eine wichtige Rolle in Rebecca Donners Buch. Don, »der Junge mit dem blauen Ranzen«, figuriert als Kurier für die Widerstandskämpferin. Ein elfjähriger Spion. Yankee zumal wird er kaum verdächtigt, Konterbande zu schmuggeln. Donald Heath jr. schrieb später über Mildred: »Sie zog die Blicke der Leute auf sich. Sie entging einem selbst in einem überfüllten Raum nicht. Sie wirkte auf Männer. Sehr auffallend. Eine totale Präsenz, ihre Stimme, ihr Anblick, ihr Denken.«
Rebecca Donner hat kein klassisches biografisches Sachbuch verfasst, ihr Buch gleicht eher einem Roman. Lücken im Wissen um Mildreds Leben werden mit fiktiven Elementen gefüllt, die durchaus authentisch erscheinen. Die spärlichen persönlichen Zeugnisse, Briefe und Tagebucheinträge verknüpft sie mit Erinnerungen von Zeitzeugen und kürzlich freigegebenen Geheimdienstdokumenten sowie dank fachlicher Beratung etwa durch Hans Coppi, dem Sohn des ermordeten Funkerehepaars des deutschen Zweigs der »Roten Kapelle«, Hans und Hilde Coppi, und Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Berliner Stauffenbergstraße (in der es derzeit eine Sonderausstellung zum Thema gibt), zu einer eindrucksvollen, ergreifenden Erzählung über Zivilcourage in düsteren Zeiten. Ihr herzenswarmes Buch über Mildred, das fast zeitgleich mit der deutschen auch in französischer Übersetzung erschien, ist in den USA bereits mehrfach mit Preisen geehrt worden, darunter dem PEN Award. Es dürfte nicht verwundern, es wäre gar wünschenswert, wenn es die Vorlage für ein fimlisches Epos wird.
Rebecca Donner: Mildred. Die Geschichte der Mildred Harnack und ihres leidenschaftlichen Widerstands gegen Hitler. A. d. Amerik. v. Laura Su Bischoff, Erich Ammereller und Sabine Franke. Kanon, 613 S., geb., 36 €
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