Die unbekannte Wahl

Versicherte und Rentner werden 2023 erneut zur Mitbestimmung aufgerufen

Am 20. April wird der Auftakt sein, der 31. Mai ist der Stichtag für die 13. Sozialversicherungswahlen der Bundesrepublik. Auch wenn es sich um den drittgrößten Wahlgang hierzulande handelt, sind die Abstimmung und ihr tieferer Sinn vielen Menschen nicht bekannt. Ganz zu schweigen von der mäßigen Wahlbeteiligung: Beim letzten Mal im Jahr 2017 waren nur ein Drittel der Berechtigten dabei. Wegen eines neuen Gesetzes von 2021 hofft man auf eine Änderung zum Positiven. Details wurden bei einer Veranstaltung des Verbands der Ersatzkassen (Vdek) am Mittwoch in Berlin vorgestellt.

Gewählt werden unter anderem die Verwaltungsräte der Ersatzkassen, darunter die TK, Barmer und die DAK-Gesundheit. Allein für diesen Bereich sind 22 Millionen Versicherte wahlberechtigt. Hinzu kommen über die Rentenversicherung des Bundes noch einmal 29 Millionen Rentnerinnen und Rentner, die über die Zusammensetzung der Vertreterversammlung abstimmen.

Andere gesetzliche Krankenkassen, darunter Innungskrankenkassen und AOK, führen keine solche Urwahl durch, sondern nur Friedenswahlen ohne echte Wahlhandlung. Dabei können sich Interessenten auf die Sitze in den Gremien bewerben, während bei den Ersatzkassen und der Rentenversicherung Listen aufgestellt werden. Bei deren Zusammensetzung greift eine der wichtigsten Neuerungen: Hier gilt ab 2023 eine Quote von 40 Prozent für Kandidatinnen. Der Frauenanteil in den jeweiligen Vertretungen liegt aktuell im Schnitt bei 23 Prozent, in den Vorständen von Renten- und Unfallversicherungsträgern sogar nur bei 20 Prozent.

Listen werden traditionell etwa von Gewerkschaften aufgestellt. Hinzu kommen Listen aus dem Kreis der Versicherten selbst. Auch die Arbeitgeberseite nimmt an den Wahlen teil, denn auch die Unternehmen tragen mit einem Anteil die Kosten der gesetzlichen Versicherungen.

Die neue Quote, so die Hoffnung von Luise Klemens aus dem Verwaltungsrat der DAK Gesundheit, soll dazu beitragen, dass die Erkenntnisse der genderbezogenen Medizin sich in den Kassenleistungen widerspiegeln: »Es ist wichtig, dass auch die Sicht der Frauen auf ihre eigenen Interessen in die Arbeit der Verwaltungsräte einfließt.« Dazu gehört etwa, dass die Brustkrebsvorsorge auch für Frauen über 70 Jahre ein reguläres Kassenangebot wird, wozu es bereits Empfehlungen auf EU-Ebene sowie von deutschen Expertengremien gibt.

Die Verwaltungsräte haben in der Vergangenheit auch daran mitgewirkt, dass die Parität bei den Beiträgen der gesetzlichen Krankenkassen seit Januar 2019 wieder in Kraft gesetzt wurde, dass also Arbeitnehmer und -geber den gleichen Anteil bezahlen. Eine wichtige Rolle spielen die Ehrenamtlichen in den Widerspruchsausschüssen. Dort werden Widersprüche geprüft, die Versicherte gegen Bescheide der Sozialversicherung eingelegt haben. Zu den Aufgaben der sozialen Selbstverwaltung gehört auch die Anpassung von Satzungsleistungen bei den Krankenkassen.

Als Institution ist die soziale Selbstverwaltung mehr als 130 Jahre alt. Schon bei der Gründung der gesetzlichen Krankenversicherung 1883 wurde dieser das demokratische Prinzip in die Wiege gelegt. Den Handlungsrahmen indessen verengte oder erweiterte der Staat immer wieder, je nach den gesellschaftlichen Verhältnissen. Es wäre unzeitgemäß, das Ganze zu belächeln, gerade angesichts der wachsenden Beteiligung von Betroffenen in vielen Politikfeldern.

Die soziale Selbstverwaltung muss weiter modernisiert werden, und das nicht nur in Form der jetzt erstmals im Bereich der Ersatzkassen möglichen Online-Wahl. Doris Barnett, stellvertretende Bundeswahlbeauftragte für die Sozialwahlen, empfahl Kandidaten und schon Mitwirkenden in der Selbstverwaltung dringend mehr Selbstbewusstsein: »Die Selbstverwaltung muss sich nicht verstecken, sondern auch mal die Ellenbogen gegen die Politik ausfahren.« Das scheint nötig, haben die Bundesregierungen insbesondere zwischen 2017 und 2021 einen Abbau der Kassenrücklagen verordnet, bei denen es sich um Versichertengelder handelt. Die Abschaffung der sozialen Selbstverwaltung im Verwaltungsrat des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung konnte gerade noch abgewendet werden.

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