»Die Frau verliert eigentlich immer«

Trauerarbeit gegen das patriarchale System im Iran: Ein Gespräch mit Steffi Niederzoll über ihren Film »Sieben Winter in Teheran« (läuft in der »Perspektive Deutsches Kino«)

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 6 Min.
Dieser Film ist dafür da, Beweise zu sammeln, um zu überlegen, wie man sich nicht mehr hilflos fühlen kann.
Dieser Film ist dafür da, Beweise zu sammeln, um zu überlegen, wie man sich nicht mehr hilflos fühlen kann.

Sie haben einen Dokumentarfilm über Reyhaneh Jabbari gedreht, die 2014 im Iran nach sieben Jahren Haft gehängt wurde – nach dem dortigen Gesetz der »Blutrache«: Wenn man jemand getötet hat, muss man selbst sterben, wenn es die Familie des oder der Toten verlangt. Reyhaneh hatte in Notwehr einen Mann erstochen, der sie vergewaltigen wollte. Wie haben Sie sich dieser jungen Frau angenähert?

Interview

Steffi Niederzoll, Jahrgang 1981, ist freie Drehbuchautorin und Regisseurin. »Sieben Winter in Teheran« ist ihr erster langer Dokumentarfilm. Neben ihrer Arbeit an Filmprojekten beschäftigt sie sich mit interdisziplinären künstlerischen Arbeiten und war Mitglied der Kerngruppe des Kollektivs »1000 Gestalten«, das während des G20-Gipfels in Hamburg eine Performance aufführte. Gemeinsam mit Shole Pakravan schrieb sie das Buch »Wie man ein Schmetterling wird«, das im Januar im Berlin Verlag erschienen ist.

Herzstück des Films ist Material, das die Familie während Reyhanehs siebenjähriger Haft gedreht hat: Beispielsweise Handybilder, die heimlich bei Besuchen im Gefängnis gemacht wurden, oder auch eine Szene, in der ihre Mutter Shole im Auto vor dem Gefängnis sitzt und die Nachricht bekommt, dass ihre Tochter gehängt wird. Über dieses Material habe ich mich angenähert. Das Ganze war ja nicht für einen Film gedacht, sondern um Beweise zu sammeln. Ich musste überlegen, wie ich einen Film über jemanden mache, der schon gestorben ist, und habe entschieden, dass er auf Erzählungen von Menschen beruhen sollte. Reyhanehs Ebene sind Auszüge aus ihren Texten und Briefen, die aus dem Gefängnis geschmuggelt wurden.

Sie konnten selbst nicht in den Iran reisen – geschweige denn in den Gefängnissen drehen. Wie haben Sie Bilder für den Film gefunden?

Relativ schnell hatte ich das Bild von leeren Räumen der Wohnung im Kopf, in der Reyhaneh fast vergewaltigt wurde. Ich wollte klarmachen: Das ist ihre Erzählung. Ich weiß nicht, was in dieser Wohnung geschehen ist. Als ich anfing, den Film zu machen, waren beide Personen, die dort waren, schon tot. Deshalb zeige ich eine leere Wohnung. Und deshalb haben wir Modelle von Gefängnisräumen gebaut. Wir haben versucht, das so gut wie möglich zu recherchieren. Ich habe zum Beispiel mit verschiedenen Menschen gesprochen, die im Evin-Gefängnis in Isolationshaft saßen. Natürlich sieht es in den iranischen Gefängniszellen nicht so clean aus, wie im Film. Ich wollte den Film im Iran spielen lassen, aber es war klar, dass wir dort nicht drehen können. Der Film beleuchtet kritisch das iranische Recht, vor allem das Vergeltungsgesetz der Blutrachen und stellt sich somit gegen das islamische Gesetz der Scharia, was mit Gefängnis, schlimmstenfalls mit der Todesstrafe selbst vergolten wird. Der Filmemacher Sina Ataeian Dena hat uns sehr dabei geholfen, Bilder aus Teheran zu bekommen.

Wie wirkte Reyhaneh Jabbari auf Sie?

Ich kann nur von Texten und Erzählungen ausgehen, denn ich habe sie nie kennengelernt. So wie ich es wahrnehme, hat sie sich in den siebeneinhalb Jahren im Gefängnis extrem verändert. Vorher war sie eine 19-jährige Studentin aus der oberen Mittelklasse, hatte einen Nebenjob als Inneneinrichterin. Sie war sehr modebewusst. Ihre Mutter ist Schauspielerin und leitete ein Kulturzentrum. Reyhaneh war oft im Theater. Ich glaube, sie war eine Frau, die ihr Leben in die Hand nehmen wollte. Dann kam dieser verhängnisvolle Tag im Jahr 2007. Ein vermeintlicher neuer Kunde lockte sie in eine Wohnung und versuchte sie zu vergewaltigen. Sie stach ihm mit einem Küchenmesser in den Rücken. Reyhaneh wurde festgenommen, kam 58 Tage in Isolationshaft und wurde gefoltert. In den ersten drei Tagen blieb sie bei ihrer ersten Version der Geschichte. Laut der Verhörprotokolle änderte sich das dann.

Inwiefern hat sie sich im Gefängnis verändert?

Ich glaube, sie ist von einem sehr privaten Menschen zu jemandem geworden, der sich für andere eingesetzt hat, vor allem für Frauen. Sie hat durch den Kontakt zu Obdachlosen, Drogenabhängigen, Prostituierten und politischen Gefangenen einen anderen Zugang zur Gesellschaft und zu Frauenschicksalen bekommen. Das hat sie extrem geprägt. Sie hat erfahren, dass viele andere Frauen im Gefängnis vergewaltigt wurden. Deren Geschichten hat sie über ihre Mutter Shole veröffentlicht – zu einer Zeit, in der #MeToo noch nicht angekommen im Iran war. Reyhaneh wäre selbst beinahe vergewaltigt worden und wurde mit 30 Peitschenhieben bestraft. Wäre sie vergewaltigt worden, hätte sie 100 Peitschenhiebe bekommen, weil sie unehelichen Sex gehabt hätte. Ihr wurde klar: Nach dem iranischen Gesetz wirst du bestraft – egal, ob du dich wehrst oder nicht. Die Frau verliert eigentlich immer.

Warum wird ein junge Frau so lange eingesperrt und dann hingerichtet?

Ich sehe es so, dass ein patriarchales System einen Mann schützt, der für den Geheimdienst gearbeitet hat. Jemand, der religiös ist und für die Regierung arbeitet, vergewaltigt niemanden. Das geht nicht. Das ist auch ein Zeichen nach außen: Wir schützen euch, wir sind für euch da.

Sie selbst kommen aus dem Spielfilmbereich. Was hat Sie dazu bewogen, diesen Dokumentarfilm zu drehen?

Das war ein Zufall – obwohl ich im Nachhinein das Gefühl habe, dass die Geschichte mich gefunden hat. Über meinen damaligen iranischen Partner habe ich 2016 in der Türkei einen Teil von Reyhanehs Familie kennengelernt. Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich nicht aus dem Material, das sie dabeihatten, einen Film machen möchte. Eigentlich hatten sie jemanden aus dem Iran gesucht, einer großen Filmnation. Aber das war einfach zu gefährlich. Ich musste erst einmal überlegen, ob ich dem gerecht werden kann. Wie kann ich als Deutsche, die noch nie im Iran war, eine iranische Geschichte machen? Andererseits geht es um ein Frauenschicksal, das mich sehr berührt hat und an das ich anknüpfen kann. Als ich das Material sichtete, lernte ich Shole kennen. Das war für mich ein magischer Moment. Denn ich kannte sie nur von den Aufnahmen, aber habe mich sofort mit ihr verbunden gefühlt und wollte sie umarmen. Da habe ich gemerkt: Darin liegt die Stärke des Materials. Inzwischen leben Shole und ihre Töchter in Deutschland, sodass wir viel Zeit miteinander verbringen konnten.

Sie haben sich viele Jahre mit Reyhaneh und ihrer Familie beschäftigt. Was hat das bei Ihnen ausgelöst?

Es ist total berührend, aber auch anstrengend, sich mit Menschenrechtsverletzungen auseinanderzusetzen. Wir haben oft mit der Familie oder den Editoren zusammengesessen und geweint. Das war viel Trauerarbeit. Man fühlt sich hilflos und fragt sich: Was kann ich machen? Ich bin auch demütiger geworden. Bei aller Kritik, die man an Deutschland hat, ist es toll, dass man frei reden darf. Ich wurde auch in meiner Überzeugung bestärkt, dass die Todesstrafe noch mehr Gewalt in die Welt bringt. Ich finde es falsch, ein Menschenleben durch ein anderes aufzuwiegen. Es gibt auch viel, was mich inspiriert hat – vor allem Reyhanehs Familie. Shole engagiert sich für Frauenrechte und gegen die Todesstrafe. Es war schön, dass wir zusammen ein Buch schreiben konnten, in das noch mehr Hintergrund einfließen konnte.

»Sieben Winter in Teheran«. Deutschland / Frankreich 2023. Regie: Steffi Niederzoll. 97 Min. Weitere Vorstellungen: Sa, 18.2, 10 Uhr, Cubix 6, 18.30 Uhr Bundesplatz-Kino, So., 19.2.21.30 Uhr Filmtheater Friedrichshain, Sa., 25.2, 19 Uhr International
Shole Pakravan, Steffi Niederzoll: Wie man ein Schmetterling wird. Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari. Der Kampf der Frauen im Iran für ihre Rechte. Berlin Verlag, 272 S., geb., 24 €.

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