Die Angst vorm Hufeisen

Gefangen in der Defensive: Die Linke bezieht ihr Selbstverständnis nur noch aus der Abgrenzung von rechts

Schon in den 60er Jahren witzelte der große Sprachspielpoet Ernst Jandl in seinem Lyrikdebüt »laut und luise« von der Verwechselbarkeit – Pardon, Velwechserbalkeit! – von lechts und rinks. 1981 legte Erich Fried nach: »Wenn ein Linker denkt / daß ein Linker / bloß weil er links ist / besser ist als ein Rechter / dann ist er so selbstgerecht / daß er schon wieder rechts ist«. Das ist lange vorbei, linke Selbstverständigung ist gehörig aus der Mode geraten, und gedacht wird heute fast so selten wie gedichtet.

Nach dem vermeintlichen Ende der Geschichte wurde viel gefachsimpelt über das Ende einer linken Idee. Nun behaupten sich aber hier und da noch Menschen, die sich ihr Linkssein nicht streitig machen lassen wollen. Dass die deutsche Linke auch 30 Jahre nach dem großen Realitätseinbruch noch tief in der Defensive steckt, hat aber nicht nur historische Gründe. Die Außenwirkung des durchschnittlichen Linken ergibt sich vorrangig durch drei verhängnisvolle Eigenschaften: übermäßige Vorsicht, Aufgabe des wohlüberlegten Arguments zugunsten des moralischen Affekts und die zwanghafte – aber fast nie analytisch durchdrungene – Ablehnung »rechter« Politik.

Worin liegt das Problem, wenn man konsequent ablehnt, was Faschisten und andere Reaktionäre vertreten? Politik ist ein Strategiespiel, das wissen auch Rechte. Wenn die NPD sich etwa für einen Mindestlohn einsetzt, besteht die Aufgabe einer ernst zu nehmenden Linken nicht darin, den Mindestlohn zu bekämpfen, sondern die Waffe der Kritik zum Einsatz zu bringen. Aufklärungsarbeit könnte darin bestehen, aufzuzeigen, dass die NPD nicht alle meint, wenn sie von einem Mindestlohn für alle spricht und dass die vermeintlich soziale Politik ihre Grenzen bei Fragen des Eigentums findet.

Dieses sehr einfache Beispiel veranschaulicht, woran es derzeit politisch hapert. Natürlich zweifelt niemand ernsthaft die Sinnhaftigkeit eines Mindestlohns an. Aber wenn es um Kritik an der öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft geht, wird es von links leise angesichts des rechten Geraunes von »Zwangsbeitrag« und »Lügenpresse«. Ganz so, als könnte es eine eigenständige Kritik an der Presse nicht geben.

In verquerer Weise führten die Kurzzeit-Empathie der Merkel-CDU während der so bezeichneten Flüchtlingskrise 2015 und der Widerstand eines aufgebrachten Mobs dazu, dass Linke noch Monate später, als Merkel wieder die gleiche restriktive Flüchtlingspolitik betrieb wie konservative Regierungschefs vor ihr auch, vorrangig die Kanzlerin verteidigten, statt eine eigene Position zu behaupten.

Auch die Abarbeitung an Querdenkern und rechten Gegnern der Corona-Maßnahmen hat fatalerweise dazu geführt, dass Kritik an der Kaputtsparung des Gesundheitssystems und der fortschreitenden Privatisierung von Kliniken zu kurz gekommen ist, obwohl sie dringend geboten gewesen wäre. Aber ein linker Standpunkt, der die Sparpolitik anklagt, hätte den Fokus verschoben von diffusen rechten Verschwörungstheorien rund um die Pandemie. Dennoch war die Angst zu groß, mit jemandem in einen Topf geworfen zu werden, dessen politischen Ansichten man diametral entgegensteht. Der Preis, den man dafür gezahlt hat, ist hoch: Man lässt sich zum bereitwilligen Verteidiger herrschender Verhältnisse machen, weil man das größere Übel fürchtet.

»Der Feind meines Feindes ist mein Freund« lautet eine alte maoistische Weisheit. Das entspricht aber einer so degenerierten Denkweise, wie sie auch Ex-US-Präsident George W. Bush jun. eigen ist, der einst mit dem modifizierten Bibelwort »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns« seine Kriegsallianz schmiedete. Nicht das bloße Für und Wider zu einer bestimmten politischen Entscheidung kennzeichnet diese als links oder rechts. Es geht immer darum, das Richtige auch aus den richtigen Gründen zu vertreten und diesen Reflexionsvorgang niemals zugunsten banaler Gut-und-böse-Schemata zu unterlassen.

Über so viel politische Unbedarftheit, wie sie gegenwärtig von der Linken an den Tag gelegt wird, könnte man lachen, bräuchte es nicht gerade jetzt konsequente Stimmen gegen den Krieg. Das schließt freilich jene Meister der Paradoxie aus, die glauben, die Fortführung und Verschärfung des Krieges wäre auch ein probater Weg zu seiner Beendigung, früher oder später. Ein klares Nein zum Putin’schen Angriff schließt den Widerspruch gegen ukrainische Verteidigungsfantasien bis zum letzten Tropfen Blut keineswegs aus. Im Gegenteil.

Die billigen Argumente der moralisch erhabenen Waffenfetischisten, jede abweichende Meinung sei naiv oder zynisch, sind nervenaufreibend, lassen sich aber mühelos parieren. Tatsächlich naiv ist es, zu glauben, die Atommacht Russland ließe sich kurzerhand mit westlichen Waffen besiegen, und dann dürften sich alle wieder des Weltfriedens erfreuen. Die Ukraine wird nach dem großen Blutvergießen als ökonomisch nicht überlebensfähiger Staat noch lange mit ihrer Abhängigkeit den Preis für den westlichen Beistand im Krieg zu zahlen haben. Zynisch wiederum ist es, die Fortführung des Krieges als alternativlos darzustellen, solange man selbst in sicherer Entfernung sitzt und andere mit dem Leben bezahlen lässt.

Wem es wichtig ist, nicht mit den »falschen« Personen in einem Demonstrationszug gesehen zu werden, der sollte sich ohnehin auf die Suche nach einer anderen Protestform machen. Bekanntlich haben es Demonstrationen mit mehr als zwei Teilnehmern so an sich, dass nur ein gemeinsames Einzelanliegen geteilt wird und nicht das ganze Weltbild. Wenn etwa beim für den 25. Februar angekündigten »Aufstand für den Frieden!«, zu dem Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer aufrufen, von den Veranstalterinnen bereits signalisiert wurde, von rechten Bannern und Flaggen sei abzusehen, kann man etwas tun, um dem noch mehr Nachdruck zu verleihen: Linke könnten hier Haltung beweisen, an der Demonstration teilnehmen, statt schon vorher zu diskreditieren, was sie abzulehnen ohnehin beschlossen haben, und nicht den Rechten den Platz überlassen.

Die Rechten, die Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnen, tun das aus den unterschiedlichsten Gründen: aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Osten Europas, politischem Kalkül, Sympathie für den Autokraten Putin oder Ablehnung des US-Imperialismus. Die wenigsten davon dürften grundsätzlich entschiedene Gegner von Militarismus und Krieg sein. Hinzu kommt der Umstand, dass es durchaus Rechte und Rechtsextreme gibt, die ein Interesse daran haben, den Krieg weiter eskalieren zu lassen. Die rechten Unterstützer von Waffenlieferungen werden aber erstaunlich selten angeführt, wenn es darum geht, die eigene Stellung in der Frage zu rechtfertigen.

Linke, die auf schwer durchschaubare rechte Positionen im Ukraine-Konflikt reagieren, indem sie Waffenlieferungen gutheißen, haben, oft ohne es zu merken, längst jegliche linken Überzeugungen aufgegeben und sind eigentlich nicht mehr ernst zu nehmen. Und auch dem Letzten, der gestern noch vorgab, ein offenes Ohr für die Wünsche der Opfer zu haben, sollte so langsam dämmern, wohin das führt, wenn von offizieller ukrainischer Seite Phosphorbomben und Streumunition eingefordert werden.

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