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  • Berlin
  • Ausstellung »Casa Noastră/Unser Haus«

Verdrängung von Roma* Community: Zerrissene Gemeinschaft

Kinder gestalten Ausstellung über ihr verlorenes Leben in der Straße der Pariser Kommune

Da waren sie noch zusammen: eines der Lieblingsbilder der Kinder, das in der Ausstellung zu sehen ist.
Da waren sie noch zusammen: eines der Lieblingsbilder der Kinder, das in der Ausstellung zu sehen ist.

Eine große, selbstgebastelte Fahne hängt von der Decke bis fast auf den Boden. Darauf abgebildet sind die Farben und Symbole der rumänischen und der Roma*-Flagge sowie zwei Kinder. Die jungen Schöpfer*innen der Fahne tanzen zu Akkordeonmusik und klatschen im Rhythmus. Anlass ist die Eröffnung der Ausstellung »Casa Noastră/Unser Haus« am vergangenen Freitag im Franz-Mehring-Platz 1. Gleich nebenan in der Straße der Pariser Kommune wohnten einst etwa 40 Roma*-Familien aus Rumänien, die sich alle gut kannten, aber im Winter ihr Haus verlassen mussten. Die Besitzerin will es für einen Neubau abreißen lassen.

»Es ist nicht gut, was die Frau uns angetan hat, und wir wollen zurück in unser Haus«, sagt der elfjährige Pavel während der Ausstellungseröffnung zu »nd«. Seine Freunde pflichten ihm bei. Gerade noch haben die Kinder ein großes Bild des nun leeren Gebäudes gemalt: Sie haben die leeren Fenster mit Einblicken aus ihrem Leben dort gefüllt. »Da haben wir gewohnt«, sagt Pavel und zeigt auf eine der bemalten Flächen. Etwa 20 Kinder tummeln sich im Foyer des »nd«-Gebäudes, erkunden die Gänge und laufen von Bild zu Bild durch die Ausstellung.

Die Bilder zeigen die Kinder selbst, wie sie spielen und glücklich sind, rund um ihr altes Zuhause, das sie aufgeben mussten. Das Haus war zwar stark heruntergekommen und in einem fürchterlichen Zustand, doch die Kinder haben trotzdem gekämpft, um zu bleiben. Dort seien sie alle zusammen aufgewachsen, erzählt Pavel. Seit 2015 lebten die Roma*-Familien gemeinsam in dem Haus, bis sie zum Auszug gezwungen wurden.

Pavel zeigt auf sein Lieblingsbild, auf dem er und zwei Freunde mit einem Rad und einem Roller zusammen vor dem Haus stehen und grinsend den Daumen nach oben halten. Ein weiteres Lieblingsbild der Kinder ist eines, auf dem sie zusammen draußen sitzen und Eis essen. Dann laufen sie noch zu einem Foto, auf dem sie gerade Fußball spielen. Kurz darauf diskutieren sie miteinander, ob auf dem Foto ein verbotenes Handspiel zu sehen ist oder nicht.

»Es war nicht richtig, uns zu trennen«, sagt Pavel. Der Elfjährige erzählt, dass die Familien nun nicht mehr zusammen wohnten, sondern in verschiedenen Häusern in der Stadt. Einige der Kinder sähen sich zumindest noch regelmäßig in der Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung Regenbogenhaus in der Kadiner Straße, knapp einen Kilometer vom ehemaligen Wohnhaus entfernt. Andere wohnten inzwischen zu weit weg.

David Paraschiv musste nach Hellersdorf ziehen, seine Eltern zogen nach Neukölln. »Ich habe über sieben Jahre in dem Haus gewohnt, zusammen mit meiner Familie«, sagt der Aktivist der Initiative Roma Trial und angehende Erzieher zu »nd«. »Es wurden sogar Familien zerrissen.« Die ehemaligen Bewohner*innen des Hauses seien sauer, sagt er. »Es gibt keine Konsequenzen für die Verantwortlichen und keine Perspektive für uns«, so Paraschiv. Er verlangt auch, dass das Bezirksamt Verantwortung übernimmt für die Vertreibung und Zerstreuung der Hausgemeinschaft. »Wir haben so viel Wut und Ärger.«

Die versprochene Perspektive für die Familien ist der Wiedereinzug in das Haus, sobald es nach dem geplanten Abriss neu gebaut und bezugsfertig ist. Für die Zwischenzeit hätten sie auf drei Jahre befristete Untermietverträge mit der Besitzerin in verschiedenen Wohnungen in der Stadt vereinbart, sagt Lorna Johannsen zu »nd«. Sie ist Mitarbeiterin des Regenbogenhauses, das die Familien unterstützt. Danach soll der Neubau fertig sein und die Familien sollen wieder einziehen können. Doch bisher wurde nicht einmal das alte Haus abgerissen. Die Familien fürchten, dass die Untermietverträge ablaufen, bevor das neue Haus bezugsfertig ist.

»Die Ausstellung ist ein Teil des Kampfes um das Haus«, sagt Johannsen. Man sei daran gescheitert, den Auszug der Familien zu verhindern. Deshalb sei es nun umso wichtiger, die weiteren Vorgänge im Blick zu behalten und die Besitzerin »in die Pflicht zu nehmen«, den Familien den Wiedereinzug zu ermöglichen. Bis dahin müsse man angemessene Wohnverhältnisse für die vertriebenen Familien schaffen, sagt Johannsen. Gegenwärtig lebten einige in unwürdigen Zuständen. »Eine Familie ist in einer Notunterkunft in Moabit, mit zehn Leuten in zwei Räumen«, sagt sie.

In ihren Augen hat die Bezirkspolitik versagt, sich angemessen um die Bewohner*innen zu kümmern. »Niemand fühlt sich zuständig für die Familien, die jetzt in der ganzen Stadt verteilt sind«, sagt sie. Es sei ein Problem, dass die Familien für die Ausweichwohnungen Untermietverträge mit der Besitzerin hätten, aber keine Verträge mit den Wohnungsbaugesellschaften. So würden sie nun aufgefordert, doppelt Kaution zu zahlen, es drohe sogar eine Kündigung. »Dagegen gehen wir vor«, sagt Johannsen.

Schon vor dem Auszug habe die Besitzerin versucht, die Familien mit allen Mitteln »rauszuekeln«. Während der Auszüge sei sie »mit maximaler Rohheit« vorgegangen. »Die Kinder hatten mit ihren gepackten Kisten noch nicht das Haus verlassen, als die bezahlten Demolierer schon angefangen haben, ihr Zuhause zu zerstören«, erzählt sie.

Die Ausstellung, die Johannsen maßgeblich mitorganisiert hat, sei auch eine Form der Verarbeitung solcher traumatischer Erfahrungen, wie sie die Kinder machen mussten. Im Regenbogenhaus hätten die Kinder und Jugendlichen aus dem Haus schon lange ihre Freizeit verbracht, weil es sich in direkter Nähe zu ihrem ehemaligen Wohnhaus befinde. »Zusammen mit anderen Initiativen unterstützen wir die Community in ihrem Kampf«, so Johannsen. Die Kunstwerke der Ausstellung seien alle als Kollektivwerke zu verstehen – so auch die große Fahne, die die Kinder erschaffen und auf der Rückseite mit Abbildungen ihrer Lieblingsorte, auch dem Regenbogenhaus, versehen haben.

Casa Noastră/Unser Haus, bis 11. Mai 2023, Franz-Mehring-Platz 1

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