Vier-Tage-Woche: Offensiv in die Tarifverhandlungen

Die IG Metall fordert die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich

Die IG Metall hat am Mittwoch für die im November beginnende Tarifrunde der nordwestdeutschen Eisen- und Stahlindustrie ihre Forderungen vorgestellt: Sie will eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 35 auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich sowie eine Lohnerhöhung um 8,5 Prozent. Die Gewerkschaft betonte, dass die Erhöhung notwendig sei, um die nach wie vor hohe Inflationsrate auszugleichen. Mit der Arbeitszeitverkürzung wolle die Metallgewerkschaft die Vier-Tage-Woche in der Branche einführen, teilte der Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen und Verhandlungsführer, Knut Giesler, mit.

Kapitalvertreter lehnen die Forderung der Gewerkschaft entschieden ab, wie es in einer Reaktion des Arbeitgeberverbands Stahl vom Mittwoch heißt. Laut Berechnungen des Industrieverbands impliziere allein die Verkürzung der Arbeitszeit auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich schon eine Lohnerhöhung von 8,6 Prozent. Zusammen mit der nominalen Lohnforderung würde das laut Gerhard Erdmann, Geschäftsführer des Verbands, zusätzliche Lohnkosten von über 17 Prozent bedeuten. »Das überfordert die Leistungsfähigkeit der deutschen Stahlindustrie endgültig und gefährdet sie existenziell«, erklärte er.

»Wir sehen es nicht so, dass unsere Forderung die Existenz der Stahlindustrie gefährdet«, entgegnete der Sprecher der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, Mike Schürg, im Gespräch mit »nd« auf die Vorwürfe. »Wir glauben, dass höhere Löhne und die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich Mittel sind, um die Stahlindustrie wettbewerbsfähig zu halten und Fachkräfte zu erhalten.« Eine Arbeitszeitverkürzung würde die Bedingungen in der Branche attraktiver machen und Beschäftigung sichern, sagte er.

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Diese sei aus Sicht der Gewerkschaft gefährdet, weil mit modernen und produktiveren Anlagen zukünftig weniger Arbeitskräfte gebraucht würden. »In den nächsten Jahren werden ohne die Arbeitszeitverkürzung Tausende Menschen in die Arbeitslosigkeit gehen. Das wollen wir mit unseren Forderungen verhindern. Wir brauchen neben der grünen auch eine soziale Transformation«, sagt Schürg.

Die Gewerkschaft agiere dabei aus einer Position der Stärke. »In der Tarifkommission wurden die Forderungen einstimmig entschieden«, erklärt der Gewerkschafter. An einer Befragung zu den Tarifforderungen hätten rund 11 000 Beschäftigte teilgenommen. »75 Prozent der Befragten unterstützen die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich«, sagt Schürg. In der Branche sind laut IG Metall rund 68 000 Menschen beschäftigt.

Dass es Herausforderungen in der energieintensiven Eisen- und Stahlindustrie gibt, sieht auch die IG Metall. Darum fordert sie mit den Verbänden der energieintensiven Industrien den sogenannten Brückenstrompreis. »Stahlhersteller, Chemiebetriebe oder Aluminiumhütten ächzen unter den hohen Strompreisen«, teilte die Gewerkschaft Ende August mit. Der staatlich subventionierte Strompreis für die Industrie solle so lange gelten, bis grüner Strom in Deutschland günstiger werde. Als Entgegenkommen gegenüber den Konzernen begreift die IG Metall das nicht. »Wir sehen die Notwendigkeit, weil es aktuell keine international wettbewerbsfähigen Strompreise gibt«, erklärt Schürg.

Wenn sich die IG Metall mit ihrer Forderung nach 8,5 Prozent mehr Lohn durchsetzen sollte, läge sie nominal im oberen Bereich der bislang in diesem Jahr durch die Gewerkschaften erzielten Tarifabschlüsse. Das geht aus einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung hervor, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Danach sind die Löhne in Deutschland im Schnitt um nur 5,6 Prozent gestiegen. »Vor dem Hintergrund der sehr hohen Inflationsrate konnten die Tariflohnzuwächse bislang die Preissteigerungen nicht ausgleichen«, erklärte der für die Studie zuständige Leiter des WSI-Tarifarchivs, Thorsten Schulten. Die Inflationsrate wird für das erste Halbjahr 2023 auf 7,4 Prozent beziffert. Das bedeutet laut WSI einen Reallohnverlust von rund 1,7 Prozent.

Für das zweite Halbjahr geht das WSI von einem starken Rückgang der Inflation aus. »So ist am Jahresende eine deutlich positivere Tarifbilanz absehbar«, erklärt Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Schulten. Damit könnten aktuelle Reallohnverluste stärker begrenzt werden. Zudem erwarten die Wissenschaftler*innen vom WSI trotz einiger ungelöster Tarifkonflikte, dass die Tariflohndynamik im zweiten Halbjahr 2023 anhält. »Die aktuellen Tarifabschlüsse, die oft erst nach umfangreichen Warnstreiks erzielt werden konnten, zeigen einen deutlichen Trend hin zu höheren Tariflohnzuwächsen«, zeigt sich Schulten zuversichtlich.

Teil davon werden auch die Verhandlungen in der Metall- und Stahlindustrie sein. Die erste Runde ist für Mitte November geplant und die Friedenspflicht endet Ende November. Unterstützung erhielt die IG Metall am Donnerstag vom Vorsitzenden der Linkspartei Martin Schirdewan. Er begrüßte die Forderungen der Gewerkschaft. »Mehr als 70 Prozent der Menschen in Deutschland befürworten die Vier-Tage-Woche«, unterstrich er.

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