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Streit um PotAS und Sportförderung: viel Polemik, zu wenig Geduld

Die datenbasierte Spitzensportförderung durch PotAS braucht mehr Zeit, um wirken zu können

Jubel hier, Frust dort: Die deutschen Basketballer waren Außenseiter und holten WM-Gold, während die Leichtathleten medaillenlos heimkehrten.
Jubel hier, Frust dort: Die deutschen Basketballer waren Außenseiter und holten WM-Gold, während die Leichtathleten medaillenlos heimkehrten.

Ein bewegter Sportsommer 2023 neigt sich seinem Ende zu, und auch wenn er keine Olympischen Spiele zu bieten hatte, ist und bleibt der September der Monat, in dem in Deutschland alljährlich über die Spitzensportförderung debattiert wird. Dieses Mal schossen sich zwei Prominente auf das Potenzial-Analyse-System (PotAS) ein, auf dessen Basis die Sportverbände mit dem Bundesministerium (BMI) die Höhe der Förderung für die nächsten Jahre abstimmen. Der längst zurückgetretene Diskus-Olympiasieger Robert Harting forderte »zwingend den Tod« für PotAS, und auch der Präsident des Deutschen Basketball-Bundes (DBB), Ingo Weiss, ließ es sich nach dem Gewinn von WM-Gold durch das Männerteam am vergangenen Sonntag nicht nehmen zu sagen: »PotAS tut dem Sport überhaupt nicht gut. Das Geld, das man in PotAS steckt, sollte man lieber in die Verbände stecken.« Am besten angelegt wäre es derzeit in der Leichtathletik.

Warum die Aufregung, mag man sich fragen. Nun ja: Die bis heute aktuelle Analyse des Leistungssports hatte im Jahr 2021 ergeben, dass der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) das größte Potenzial unter allen olympischen Fachverbänden habe, bei künftigen Großereignissen Medaillen zu liefern. Der DBB hingegen lag ganz hinten auf dem letzten Rang. Zwei Jahre später aber gewann eine Basketballmannschaft WM-Gold, die 71 Leichtathleten des DLV bei ihren Titelkämpfen in Budapest jedoch nicht eine Medaille. Der logische Schluss für Harting und Weiss: PotAS gehört abgeschafft. Harting betreibt hier nur Polemik – entweder in Unkenntnis oder Ignoranz gegenüber den Fakten rund um das Analysetool. Weiss muss man dagegen fast schon vorwerfen, mit seiner Kritik bewusst von eigenen Nachlässigkeiten abzulenken. So oder so: Es ist Zeit für Aufklärung.

Die PotAS-Kommission nahm 2017 ihre Arbeit auf. Deutsche Sportlerinnen und Sportler hatten bei Großereignissen immer schlechter abgeschlossen als noch Jahrzehnte zuvor, weshalb aus Gesellschaft und Politik Stimmen laut wurden, nach denen die millionenschwere Förderung des Spitzensports besser kontrolliert und auf eine überprüfbare Datenbasis gestellt werden solle. Also wurden Kriterien geschaffen, nach denen das Geld künftig gezielter und transparenter verteilt wird: Wer nachweislich erfolgreich ist, sich zudem professioneller aufstellt, durchdachte Konzepte erstellt und damit mehr Talente an die Weltspitze bringt, sollte mehr Geld bekommen als andere Verbände.

Doch das System zeigte schnell Schwächen: Die Einteilung in Cluster, bei der die schwächsten Verbände einen kompletten Mittelentzug fürchten mussten, wurde wieder abgeschafft. Außerdem war der Fragenkatalog zu lang, und seine Beantwortung band zu viele Ressourcen. »Potas wird bereits überarbeitet, weil sich Verbesserungsbedarf gezeigt hat«, bestätigte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) in dieser Woche.

Weiss und Harting aber wollen keine Änderungen, sie plädieren für eine Abschaffung: »Bei uns läuft es exzellent, obwohl PotAS uns kein Potenzial bescheinigt hat. Dadurch gehen uns jährlich 250 000 Euro verloren, das tut uns weh«, behauptete DBB-Chef Weiss. Doch das ist falsch. Schließlich konnten die Fachverbände nur durch die Einführung von PotAS bei der Politik seit 2016 sogar eine Verdopplung der Förderung durchsetzen. »Ohne PotAS hätten wir diese Aufwüchse nicht gesehen. Das war bei allen Politikern zu hören: Es scheint beim Sport jetzt wissenschaftlicher zuzugehen«, bestätigte BMI-Staatssekretär Markus Kerber bei der Vorstellung des letzten PotAS-Berichts. Der DBB zum Beispiel bekam 2022 mehr als zwei Millionen Euro vom Bund, vor PotAS waren es nicht mal 700 000. Will Weiss wirklich wieder dahin zurück? Sicher nicht.

Dass die Basketballer so weit hinten lagen im letzten Ranking, hatte seine Gründe: In drei von vier Disziplinen (3x3 bei beiden Geschlechtern und das Frauen-Nationalteam) war die Olympiaqualifikation verfehlt worden. Auch bei Welt- und Europameisterschaften waren keine Spitzenplatzierungen erreicht worden. »Der Erfolg in der jüngeren Vergangenheit ist aber der beste Prädiktor für Erfolge in der Zukunft, den wir haben«, sagte der Vorsitzende der PotAS-Kommission Urs Granacher. Daher wird diesem Kriterium im Analyse-Algorithmus auch viel Gewicht zugesprochen. Der DBB hatte über Jahre hinweg nur in die Männer-Nationalmannschaft investiert. Erst nach dem Gewinn von EM-Bronze 2022 war Weiss eingefallen: »Jetzt wird es aber Zeit, dass wir auch was für die Frauen tun«, wie er selbst gegenüber »nd« sagte.

Zudem ist der WM-Titel kaum dem Verband zuzurechnen. Er hat das Trainerteam gestellt und in der Jugend einige Lehrgänge veranstaltet. Die Hauptarbeit aber erledigen die Profivereine. Beispielsweise wurden fünf der zwölf Weltmeister irgendwann in ihrer Karriere von Alba Berlin ausgebildet. Auch der Wissensaustausch geht nicht über den DBB. Alba hat sich in Eigenregie mit Vereinen im ganzen Land vernetzt, um Erfahrungen weiterzugeben, wie Kindern Angebote zum Sporttreiben geboten und Talente überhaupt gefunden werden. Die größten Stars Dennis Schröder, Daniel Theis, Isaac Bonga sowie die Wagner-Brüder Moritz und Franz wuchsen erst in der NBA zu den Spitzenathleten heran, die sie heute sind. Die brauchen zum Glück kein Geld vom BMI.

Im Frauenteam des DBB standen bei der Europameisterschaft zuletzt sogar nur zwei Bundesligaspielerinnen. Weiss hatte Bundestrainerin Lisa Thomaidis übrigens nur für dieses Turnier angestellt. Sie hatte sich durch einen Zufall beim DBB beworben, war also nicht nach einem Auswahlprozess engagiert worden. Klingt das nach einem professionellen Verband, der an die Spitze der Förderung gehört? Selbst Thomaidis sagte gegenüber »nd«, die Trainingsbedingungen rund um das Männerteam seien gerade mal »auf Mindestniveau«. Ihre Frauen sind noch nicht einmal auf diesem Level angelangt.

Dass die Leichtathleten ganz vorn im Ranking lagen, ließ sich mit ihrem guten WM-Abschneiden 2019 erklären. Wie aber sollte PotAS vorausahnen, dass die damaligen Medaillengewinner Niklas Kaul, Johannes Vetter, Gesa Krause, Malaika Mihambo und Konstanze Klosterhalfen vier Jahre später allesamt verletzt aufgeben oder gar nicht erst anreisen würden. »Wäre Sport berechenbar, hätten wir keine Wettbüros«, hatte der einstige DOSB-Vorstand Dirk Schimmelpfennig schon bei der Vorstellung der PotAS-Zahlen 2021 zu Bedenken gegeben.

Das Polemische an den Aussagen von Weiss und Harting ist aber, dass PotAS nie vorhersehen sollte, wie viele WM-Medaillen 2023 gewonnen werden sollten. Von Anfang an war klar: PotAS greift frühestens bei Olympia 2024. Der ganz große Sprung soll 2028 geschafft sein. Auch Geher Christopher Linke, der das DLV-Team bei der WM als Kapitän anführte, wies daraufhin, dass deutsche Leichtathleten in den Nachwuchsbereichen in den vergangenen beiden Jahren auf europäischem und Weltniveau Medaillen gewinnen konnten. Linke beklagte zwar auch, dass »in der Welt anders professionell gearbeitet wird, während ich mich teils unter sehr amateurhaften Bedingungen vorbereiten muss. Aber wir haben einen sehr guten Nachwuchs. Man braucht Zeit und kann nicht von 18-Jährigen verlangen, schon Weltklasse zu sein. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir 2028 ein starkes Team am Start haben werden«.

PotAS hat den Basketballern übrigens nicht jedes Medaillenpotenzial abgesprochen, wie DBB-Chef Ingo Weiss behauptet. Ganz im Gegenteil: »Wir haben der Disziplin Basketball Männer 100 Prozent, also ein maximales Kaderpotenzial attestiert und somit die Wahrscheinlichkeit für diese Leistungsentwicklung zur EM 2022 mit dem dritten Platz und dem WM-Titel für wahrscheinlich gehalten. Die Verbandsförderung wurde auch disziplinspezifisch dafür ausbezahlt«, sagte Granacher am Freitag dem »nd«. Doch die anderen drei Disziplinen zogen mit jeweils null Punkten den DBB komplett herunter. Da einige Nachwuchsteams zudem nicht einmal in der europäischen A-Gruppe spielten, war auch kaum Potenzial für eine Verbesserung erkennbar.

Ohnehin ist PotAS weniger ein Prognoseinstrument, dafür vergleicht es eher die Erfolge und Strukturen deutscher Fachverbände untereinander. Rein strukturell betrachtet lagen übrigens die Ruderer auf dem letzten Platz, was sich mit dem Absturz auf nur noch eine Medaille bei der WM nun auch bestätigte. Ähnlich war das Bild bei Fechtern und Eisschnellläufern. Insofern ließen sich auch Beispiele finden, in denen PotAS die Realität schon jetzt gut abbildet.

»Die jüngsten Ergebnisse sollten gemeinsam mit der PotAS-Kommission analysiert werden, um Rückschlüsse für eine Weiterentwicklung ziehen zu können«, teilte der DOSB am Montag dennoch beschwichtigend mit. So sollen bürokratische Aufwände reduziert werden. Am wissenschaftlichen Ansatz wird aber nicht gerüttelt, selbst wenn PotAS-Chef Granacher sagt: »Optimal wird das System nie werden. Wir haben leider keine Glaskugel, wir können uns immer nur annähern.«

Im Grunde müsste PotAS sogar noch aufgestockt werden. Die Kosten betrugen anfangs 700 000 Euro, seitdem wurde die Geschäftsstelle mit gerade einmal vier Mitarbeitern auch nie signifikant aufgestockt. Dabei wäre das wohl nötig, um nicht nur das Vorhandensein etwa von Nachwuchskonzepten bei Verbänden abzufragen, sondern diese auch qualitativ zu prüfen. Thomas Berlemann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Sporthilfe, kritisierte genau diesen Zustand: »Die Daten, die in PotAS eingegeben werden, müssen auch überprüft werden, ob sie korrekt sind. Ich glaube, dass da ein Stück weit mehr Ehrlichkeit Einzug halten sollte.«

Urs Granacher hatte bereits 2021 gesagt, dass er »mehr qualitative Kriterien in den Katalog bekommen« möchte. Das dafür nötige Geld zu bekommen, ist aber unrealistisch. Schließlich will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Spitzensportförderung um fast 30 Millionen Euro kürzen. Nächste Woche trifft sich der Bundestags-Sportausschuss, um den Haushaltsentwurf zu debattieren. Dann dürfte auch über den neuesten Beschluss der Sportministerkonferenz vom Freitag gesprochen werden, wonach die Gründung einer unabhängigen Sportagentur geplant sei. Die soll dann über die Verteilung der Fördergelder entscheiden, und PotAS werde in diese neue Agentur integriert.

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