Mindestlohnerhöhung blockiert

Bundestag lehnt Linke-Anträge zu Entgeltuntergrenze und Minijobs ab

Letztlich war es wohl wieder einmal die FDP, die in der Ampel-Koalition den Takt vorgab: Am Donnerstag diskutierte der Bundestag immerhin mehr als eine Stunde lang über drei Anträge der Linken, lehnte deren Vorschläge aber anschließend geschlossen ab. Es ging einerseits um die bereits seit Juni vorliegende Forderung der Linken, den gesetzlichen Mindestlohn entsprechend einer EU-Richtlinie jedes Jahr anzupassen, und zwar auf der Grundlage des jeweils aktuellen Median-Bruttolohns. In einem weiteren Antrag hatte Die Linke gefordert, Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu überführen.

Darüber hinaus hatte sie neu die Forderung eingebracht, den Mindestlohn sofort von derzeit 12 auf 14 Euro pro Stunde anzuheben. Dieser Antrag wurde noch nicht abgestimmt und zur Weiterbehandlung an den Sozialausschuss des Parlaments verwiesen.

Die Vizevorsitzende der Fraktion, Susanne Ferschl, sagte in der Debatte, schon die aktuelle Entgeltuntergrenze sei angesichts der hohen Inflation viel zu niedrig. Und die von der Mindestlohnkommission im Juni beschlossene Anhebung um gerade 41 Prozent reiche »hinten und vorne nicht«. Die Bundesregierung stehe daher in der Verantwortung, dafür zu sorgen, »dass der Mindestlohn nicht erneut zum Armutslohn verkommt«, so Ferschl.

Die Linke-Abgeordnete kritisierte die Unternehmervertreter in der Mindestlohnkommission, die gegen die Stimmen der Gewerkschaften diese geringfügige Erhöhung durchgesetzt habe. Das sei eine »Retourkutsche« für die Anhebung durch den Gesetzgeber auf 12 Euro im vergangenen Jahr gewesen. Auch deshalb müsse im Mindestlohngesetz festgelegt werden, dass die Untergrenze künftig mindestens 60 Prozent des mittleren Einkommens betrage, wie in der EU-Richtlinie vorgesehen. Die Kommission ist mit jeweils drei Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern, zwei Experten und einer oder einem Vorsitzenden besetzt.

Mit Blick auf die Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, den entsprechenden Antrag wie auch jenen zu den Minijobs abzulehnen, sagte Ferschl, es sei »sehr traurig«, dass SPD und Grüne gegen Beschlüsse ihrer eigenen Fraktionen entscheiden würden – was sie dann auch taten. Gleichwohl unterstützten etwa der Grünen-Abgeordnete und frühere Chef der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, die frühere Vorsitzende der Jusos, Annika Klose, und andere Abgeordnete die Forderungen der Linken.

Rednerinnen und Redner von CDU, CSU und AfD lehnten die Forderungen der Linken ab. Dabei hatte jüngst auch Nordrhein-Westfalens CDU-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann dasselbe wie die Linke gefordert. In einem Interview mit der »Rheinischen Post« sagte er: »Warum nehmen wir nicht einfach das, was die EU-Richtlinie auch vorschlägt, nämlich eine doppelte Grenze: Die Lohnuntergrenze soll nicht unter 60 Prozent des Medianlohns und nicht unter 50 Prozent des Durchschnittslohns der jeweiligen Länder liegen.« Laumann nannte zudem die Mindestlohnkommission eine »Katastrophe«. Deren Beschluss vom Juni sei »ein Witz« gewesen. Nachdem die Gewerkschaften dort zuletzt mithilfe der Vorsitzenden überstimmt worden seien, sei das Gremium ohnehin am Ende. »Ich denke nicht, dass die Gewerkschaften sich im Interesse der von ihnen vertretenen Beschäftigten weiter an dem Prozess der Mindestlohnfindung unter solchen Vorgaben beteiligen wollen«, sagte Laumann.

Im Bundestag berief sich Frank Bsirske auf den CDU-Politiker und kritisierte die Mindestlohnkommission ebenfalls scharf. Das Resultat von deren Entscheidung vom Juni sei ein »drastischer Reallohnverlust«. Unter den herrschenden Bedingungen würden sich die Gewerkschaften nicht mehr in die Arbeit der Kommission einbringen. Eine Anhebung auf 60 Prozent des Medianlohns sei notwendig, auch weil davon Frauen und Ostdeutsche überdurchschnittlich profitieren würden. Zudem würde sich der Mindestlohn damit automatisch »nachlaufend an der Tariflohnentwicklung orientieren«. Die Grünen, so Bsirske, setzten sich für eine Reform des Mindestlohngesetzes und für Änderungen in Zusammensetzung und Arbeit der Kommission ein: »Wir werden versuchen, dafür einen Konsens für entsprechende Gesetzesänderung zu finden.«

Solchen Hoffnungen erteilten derweil die FDP-Abgeordneten eine Absage. So betonte Carl-Josef Cronenberg, beim Ansinnen der Linken handele es sich um einen weiteren Eingriff in die Tarifautonomie. Zudem heize eine administrative Mindestlohnerhöhung »in Zeiten hoher Inflation die Lohn-Preis-Spirale an«, behauptete der Liberale. Seine Partei sei zwar auch für armutsfeste Löhne, so Cronenberg, setze aber auf »selbstständigen Aufstieg aus eigener Kraft«. Bildung und Qualifizierung seien der Weg dorthin, ebenso Investitionen. Diese steigerten die Produktivität, und das ziehe »die Löhne hoch«. Daher habe die Koalition das Wachstumschancengesetz beschlossen. Zuvor hatte bereits Bundesfinanzminister Christian Lindner betont, er sehe keinen Korrekturbedarf bei der Ermittlung des Mindestlohns.

Die Grünen-Abgeordnete Beate Müller-Gemmeke unterstützte die Forderung der Linken nach einer Sozialversicherungspflicht für Minijobs. Ihre Fraktion befürworte dies, um insbesondere die finanzielle Abhängigkeit von Frauen und ihre Armut im Alter zu verhindern. Dass die Grünen dieses Ziel innerhalb der Ampel-Koalition nicht hätten erreichen können, sei für ihre Fraktion »schmerzhaft« gewesen, so Müller-Gemmeke. »Minijobs dürfen nicht zur Teilzeitfalle werden, und Vollzeitjobs dürfen nicht durch Minijobs ersetzt werden«, betonte sie.

Immerhin, so die Grünen-Politikerin, habe die Koalition durch Reformen bei den sogenannten Midijobs, also solchen mit Bruttoeinkommen von mehr als 520 und weniger als 2000 Euro brutto monatlich, die Hürden für einen Wechsel in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gesenkt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal