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Stolpern im Galopp

Heute beginnt in Leipzig die Buchmesse – linke Verlage haben es schwerer denn je

Was liest die Jugend der Cosplayer in Leipzig? Bücher eher nicht.
Was liest die Jugend der Cosplayer in Leipzig? Bücher eher nicht.

Sie sei »im vollen Galopp aufgesprungen«, sagt Astrid Böhmisch, die neue Direktorin der Leipziger Buchmesse gern. Sie hat ihren Posten erst am 1. Januar angetreten, da war die Messe, die am Mittwoch beginnt und bis Sonntag geht, schon ziemlich fertig organisiert. Die 49-Jährige war lange im Filmgeschäft tätig und dann erst Marketingchefin bei Piper und anschließend Managerin bei Bookwire, einem Unternehmen für »digitale Lösungen« im Buchgeschäft.

Anders als in der Musikindustrie hat die Digitalisierung den Buchmarkt bislang nicht erschüttert. Oder kennen Sie jemanden, der oder die Bücher ausschließlich als E-Book liest? In der U-Bahn sieht man diese Nutzer selten, nur dann und wann im ICE und meistens sind es gutsituierte Leute aus der Generation 50 plus – auf keinen Fall die berühmte Jugend. Wie es aussieht, wurde sie wohl auch »im vollen Galopp« der Branche verloren. Was verdächtig stimmt: Warum sieht man so wenig Kinder, die »Micky Maus« oder »Bravo« lesen? Das waren früher einmal die klassischen Medien, bevor der Nachwuchs auf die Smartphones starrte.

Wen oder was die Messe auf jeden Fall verloren hat, das ist »Die Bühne der linken Verlage«. Sie wurde im »vollen Galopp« abgeworfen und zwar von der Leipziger Messe selbst. Seit 2012 hatte sie »gesellschaftlich engagierten Autorinnen und Autoren« eine vier mal vier große Ausstellungsfläche zur Verfügung gestellt, die »ehrenamtlich kuratiert« wurde – das heißt kleine, finanzschwache Verlage hatten hier die Möglichkeit, ihre Bücher kostenlos vorzustellen und Diskussionen zu organisieren. Das wurde gern genutzt und führte desöfteren zu produktiven Präsentationen, ungefähr 40 bis 50 Mal pro Messe.

Dieses Jahr ist damit Schluss, die Messe will sich das anscheinend nicht mehr leisten. Ein Brief, den die Verlage Karl Dietz, Argument, Büchner und VSA im Dezember an Böhmisch als designierte neuer Chefin schrieben, blieb unbeantwortet. Auf Nachfrage teilte die Messe den Verlagen mit, sie könnten die Fläche gerne anmieten, was die sich aber nicht leisten können. Ist das ein implizites politisches Signal für die Zukunft aus Sachsen? In einem Bundesland, in dem die AfD in Umfragen bei 30 Prozent liegt und SPD und Linke um den Wiedereinzug in den Landtag bangen müssen.

Zumindest liegt diese administrative Verweigerung quer zur Kulturwirtschaftsförderung, die die Bundesregierung seit 2019 mit der Verleihung des Deutschen Verlagspreises an ebenso ökonomisch prekäre wie kulturell wertvolle Kleinverlage praktiziert. Und auch quer zum Hurra-wir-sind-wieder-da-Gejubel, mit dem die Messe seit letztem Jahr ihr Comeback nach der Coronakrise feiert. Denn anders als ihr Konkurrent in Frankfurt am Main wurde sie dreimal hintereinander abgesagt (2022 waren die kleinen linken und alternativen Verlage plus drei, vier große, die ersatzweise und eigenständig in Leipzig-Connewitz eine »Pop-up-Messe« organisierten). Bei der Wiedereröffnung 2023 kamen 2082 Aussteller, vor der Pandemie 2019 waren es noch rund 2500 Aussteller gewesen. Auch die Besucher wurden etwas weniger: 274 000 Besucher (inklusive »Leipzig liest«) wurden 2023 gezählt, 12 000 weniger als 2019. Böhmisch rechnet damit, dass es dieses Jahr wieder mehr werden, es gebe auch wieder etwas mehr Aussteller.

Was sie an einer Messe gut findet, sei, um es einmal wissenschaftlich auszudrücken, das Prinzip der Serendipität, verriet Böhmisch dem »Börsenblatt« im Interview: Gemeint ist »das Stolpern über eine Sache, nach der man nicht gesucht hat. Ich finde das als Konzept toll«. Das stolpernde Spazierengehen, oder besser Sichdurchdrängeln durch fünf Messehallen kann durchaus überraschend sein. Interessanter sind aber meistens die »Leipzig-liest«- Veranstaltungen, die sich über die ganze Stadt verteilen: 2500 Stück an 300 Orten.

Das nd präsentiert am Donnerstag im linXXnet /Interim eine Lesung von Lydia Meyer aus ihrem Buch »Die Zukunft ist nicht binär« und am Freitag »Das Ende des Romantikdiktats« von Andrea Newerla. Am Samstag gibt es im Haus der Demokratie für einen Tag eine »Bühne der linken Verlage«. Unter anderem stellt Ralf Ruckus sein neues Buch vor: »Der kommunistische Weg zum Kapitalismus«. Davon träumten viele. Bei näherer Betrachtung geht es um was? Ah, China seit 1949. Hätte man sich denken können.

Do, 21.3. linXXnet/Interim, Demmeringsstraße 32, 20 Uhr: Lydia Meyer; Fr., 22.3., linXXnet/Interim, Andrea Newerla; Sa, 23.3. Haus der Demokratie, Bernhard-Göring-Straße 152, ab 14 Uhr Lesungen von Margareta Steinrücke, Jürgen Göpfert, Peter Wahl, Ralf Ruckus u.a.

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