Krise der KPD vor 100 Jahren: Die alte linke Gretchenfrage

Vor 100 Jahren übernahm der ultralinke Flügel der KPD die Berliner Parteizentrale und stürzte die Partei in eine tiefe Krise

  • Karsten Krampitz
  • Lesedauer: 13 Min.

Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) war einmal die mit Abstand weltweit stärkste kommunistische Partei außerhalb der Sowjetunion. Dies ungeachtet ihrer Abspaltungen und einer überaus fluktuierenden Anhängerschaft. Die Menschen der frühen Weimarer Republik hatten noch Erfahrungen machen müssen, die man heute und hierzulande nur vom Hörensagen kennt oder aus den Nachrichten: das Abschlachten von Millionen Menschen im Krieg, Hunger, der einen irre werden lässt, das Scheitern einer Revolution. Aber sie kannten auch Stolz. Die KPD gab ihren Mitgliedern eine Hoffnung zurück, die manche lange schon verloren hatten. Zu Beginn der zwanziger Jahre hatten viele noch das Gefühl, in einer revolutionären Zeit zu leben. Andere waren erschöpft – von der Revolution, der Inflation, von Abstiegssorgen und Verlustängsten. Und vom Hass.

In der Berliner KPD-Zentrale trafen zwei Vorstellungen linker Politik aufeinander, wie der Historiker Klaus Kinner schreibt: »Dem Versuch einer linkssozialistisch intendierten Realpolitik im Kapitalismus, mit dem Ziel diesen zu überwinden, stand eine Politik gegenüber, die fundamentalistisch am Konzept der Weltrevolution … festhielt.« Allen voran die aufstrebende Ruth Fischer, die, wie ihr Parteivorsitzender Heinrich Brandler klagte, zur Sitzung immer zu spät komme und früher wieder weggehe; sie lese schöngeistige Literatur, »grinst und beteiligt sich fast nicht«. So nachzulesen in der großartigen Ruth-Fischer-Biografie von Mario Keßler.

Der Kommunist Heinrich Brandler gehörte, wie im Übrigen auch Clara Zetkin, zu jener letztlich unterlegenen Strömung in der KPD, die für ein revolutionär-demokratisches Politikverständnis stritt, im Gegensatz zum revolutionär-diktatorischen der Ultralinken um Ruth Fischer. Daher auch Brandlers Eintreten für die Arbeiterregierungen von SPD und KPD in Thüringen und Sachsen im Oktober 1923, die Reichspräsident Ebert mithilfe der Reichswehr nach wenigen Wochen für abgesetzt erklärte. »Wenn es in Deutschland jemals eine Chance gab«, so Mario Keßler, »dass die KPD sich in Richtung eines demokratischen Kommunismus hin hätte entwickeln können, an dessen Ende freilich der Bruch mit jeder Art von Avantgarde-Theorie gestanden hätte, dann war es im Sommer und Herbst 1923 gewesen, als nicht die sozialistische Revolution, wohl aber die Arbeiterregierung auf der Tagesordnung stand.« Diese Chance sollte nie wieder kommen.

Das Phänomen Ruth Fischer

Der »Linke Radikalismus« aber, von dem Lenin schrieb, er sei »die Kinderkrankheit des Kommunismus«, stellte sich als chronisches Leiden heraus. Statt die eigene Position mit der Realität abzugleichen, zogen es die Ultralinken vor, im politisch Trüben zu fischen. Die spätere KPD-Chefin Ruth Fischer scheute dabei weder Phrasen noch Klischees – auch keine antisemitischen, obwohl sie selbst jüdischer Herkunft war. In einer Rede vor kommunistischen und völkischen Studenten fragte sie im Sommer 1923: »Sie rufen auf gegen das Judenkapital, meine Herren?«, um wenig später fortzufahren: »Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie. Aber, meine Herren, wie stehen Sie zu den Großkapitalisten, den Stinnes, Klöckner …?«

Auch davon erzählt Mario Keiler: Vor 100 Jahren, während der bayerischen Landtagswahl im April 1924, beschlagnahmte die Nürnberger Polizei in einem kommunistischen Büro nicht weniger als 70 Flugblätter mit der Aufschrift »Nieder mit der Judenrepublik«. Die KPD habe damals sogar die abenteuerliche Taktik verfolgt, die völkische Bewegung durch Eintritte zu unterwandern. Das sei allerdings ebenso fehlgeschlagen wie die vorherigen Versuche der Anbiederung.

Mit Ruth Fischer gelangte im April 1924 die weltweit erste Frau an die Spitze einer Massenpartei. Sie war gebildet, hochintelligent, aber keine Intellektuelle. In der Berliner Mitgliederzeitschrift »Der Funke« verglich sie schon mal den »Brandlerischen Zentralismus« mit einem »Tripperkranken« und die Berufung auf Rosa Luxemburg mit dem »Einflößen von Syphillisbazillen«. Die Härte und Verbitterung, mit der in dieser Zeit parteiinterne Auseinandersetzungen geführt wurden, erschreckt noch heute. In jenem Jahr verlor die Kommunistische Partei Deutschlands bis zur Reichstagswahl im Dezember eine Million Wähler und noch dazu 100 000 Mitglieder. Die Parteiführung unterließ jedoch jede Selbstkritik und Analyse. Die KPD-Basis schrumpfte auf rund 150 000 Mitglieder. Die meisten gingen von sich aus; wie viele jedoch wegen »rechter Abweichungen« ausgeschlossen wurden, ist nicht bekannt.

Zu den Exkommunizierten gehörten auch zwei heute vergessene Mitbegründer der KPD, namentlich Johannes (Hans) Holm (1895–1981) und Hans Westermann (1890–1935). Beide protestierten gegen ihren Parteiausschluss – beim »Heiligen Offizium« in Moskau. War doch das Exekutivkomitee der Komintern (EKKI) seinerzeit für Millionen Kommunisten die höchste moralische und politische Instanz. Holms und Westermanns »Memorandum über die Politik der deutschen Parteileitung im Jahre 1924 an die Exekutive der Komintern« dokumentiert die traurige Verfasstheit, in welcher die Vorgängerin der heutigen Linkspartei steckte. Die 78-seitige Beschwerdeschrift handelt von Intrigen, von der »Strangulierung des Leninismus« und von einer Entfremdung der Partei von der Arbeiterschaft, die mit einem Verzicht auf lebendige Tagespolitik einhergehe. Aus nächster Nähe gaben Holm und Westermann Zeugnis davon, wie sich die Linke in Deutschland selbst zerfleischte, während die Rechte stärker und stärker wurde.

Das Dokument wurde vor etlichen Jahren in Moskau von dem Historiker Reinhard Müller, auch Autor von »Die Akte Wehner«, im Komintern-Archiv entdeckt. Für die Forschung ein Glücksfall, denn der Zugang zu den Akten der Kommunistischen Internationale ist mittlerweile und auf lange Zeit versperrt. Holm und Westermann adressierten ihre Denkschrift im Februar 1925 direkt an den Komintern-Vorsitzenden Grigori J. Sinowjew. Nach Lenins Tod im Januar 1924 tobte im Kreml noch immer der Machtkampf um dessen Nachfolge. Sinowjew war ein Vertrauter Stalins (was ihn später nicht retten sollte). Ob das Memorandum tatsächlich im EKKI diskutiert wurde, ist nicht bekannt. Der Text aber gibt einen Eindruck, wie 1924 in der KPD-Hierarchie Teile der mittleren Ebene das Agieren der neuen ultralinken Parteiführung – die vorgebliche »Bolschewisierung« – erlebt haben.

Die Autoren des Memorandums

Holm hatte bereits dem Spartakusbund angehört, Westermann war bei den Bremer Linksradikalen gewesen, dann 1918 bei den revolutionären Matrosen in Kiel. Den Parteiausschluss empfanden sie als Respektlosigkeit von Seiten derer, die erst nach der Novemberrevolution ihren Reihen beigetreten waren. »Bei fast allen Ausgeschlossenen handelt es sich um Genossen, die zum ältesten und treuesten Stamm des Kommunismus in Deutschland gehören, die für den Kommunismus noch in der alten Sozialdemokratie der Vorkriegszeit auf ihrem linken Flügel, geschart um das Banner von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, gerungen haben, die nach dem Zusammenbruch der 2. Internationale für die Gründung der Kommunistischen Partei während des Krieges im Spartakusbund kämpften …«

Holm und Westermann hatten in Hamburg zur kleinen Gruppe derer gehört, die im April 1920 nicht der Abspaltung KAPD beigetreten waren, also dem ehemals linken Flügel der Partei, der sich dem Parlamentarismus komplett verweigert hatte. Als Hauptgrund für ihren Parteiausschluss 1924 gaben sie ihre Stellung zur Gewerkschaftsfrage an. Beide hatten sich gegen die Gründung kommunistischer Gewerkschaften ausgesprochen und damit gegen den Kurs der neuen Parteiführung opponiert. Eine Spaltung der Gewerkschaftsbewegung widersprach auch tatsächlich der Komintern-Linie von der »Einheitsfrontpolitik von unten« – so gesehen waren die Genossen um Ruth Fischer, Arkadi Maslow und Werner Scholem die Abweichler; ebenso Ernst Thälmann, dessen »Arbeitergruppe« im Politischen Büro mit den Ultralinken paktierte.

Westermann, ein gelernter Schneider, war seit 1921 hauptamtlicher Parteisekretär und Beisitzer im Hamburger Parteivorstand, zuständig für die Betriebsrätebewegung. Holm wiederum war als Leiter des Carl-Hoym-Verlages, der zur Komintern gehörte, für die KPD nach außen hin nicht in Erscheinung getreten, wenngleich er in der KPD-Anfangszeit in Hamburg sogar als Organisatorischer Leiter fungierte. Als sich auch in der Hansestadt 1920/21 der linke Flügel der USPD mit der KPD vereinte, soll er die von Thälmann geführten »Unabhängigen« verstimmt haben. Auf Holms Initiative hin waren alle Parteiämter paritätisch besetzt worden. Darüber schrieb er amüsiert 1969 in einem Brief an das Berliner Institut für Marxismus-Leninismus: »Da die KPD eine Kaderpartei mit zahlenmäßig wenigen Mitgliedern im Vergleich zur USPD war, waren nach Verteilung der Funktionen bei der KPD eine nennenswerte Anzahl der Mitglieder nicht mehr vorhanden. Als Gen. Thälmann davon hörte, hat er mit Recht herzhaft geflucht.« Im Oktober 1923 dann – im Vorfeld des sogenannten Hamburger Aufstands – hatte Holm von Thälmann persönlich den Auftrag bekommen, eine illegale Druckerei für die Flugblätter zu organisieren.

Über das Scheitern jener »Oktoberkämpfe« wurde schon viel geschrieben. Doch anders als die Parteiführung erklärten Holm und Westermann das Desaster im Herbst ’23 nicht zur Ursache für das Wahldebakel Ende 1924. Beide Männer kamen aus der Rätebewegung und sahen im Reichstag nicht das hauptsächliche Wirkungsfeld für linke Politik. Die heute anzutreffende Vorstellung, dass die Verhältnisse sich automatisch besserten, sobald nur die richtigen Leute gewählt würden, war ihnen fremd. Dennoch galt ihnen das Parlament als wichtige Möglichkeit der politischen Einflussnahme. Für das allgemeine und gleiche Wahlrecht, auch für Frauen, hatte die Arbeiterbewegung viele Jahrzehnte gekämpft!

Massenkampagne plus Partei?

Das »Memorandum über die Politik der deutschen Parteileitung« befasste sich nicht nur ausführlich mit dem Absturz bei der Reichstagswahl vom 7. Dezember 1924, sondern auch mit dem Erfolg der vorausgegangenen Abstimmung. Was war in den sieben Monaten dazwischen geschehen?

Bei der Reichstagswahl am 4. Mai konnte die KPD, die bei ihrer Gründung die Teilnahme an Wahlen abgelehnt hatte, ganze 12,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinen! Die SPD erhielt 20,5 Prozent. Das entsprach einem Zuwachs für die Kommunist*innen von über 10 Prozent – und das keine zwei Monate, nachdem das reichsweite Parteiverbot aufgehoben worden war, das seit der »Oktoberniederlage« gegolten hatte. In manchen Industriegebieten hatte man die Sozialdemokratie sogar überflügelt: etwa im Wahlkreis Oppeln/Oberschlesien, wo die Kommunisten im Mai das Fünffache der SPD-Stimmen gewonnen hatten, in Düsseldorf war es das Doppelte und im Ruhrgebiet immerhin das 1,3-fache der für die SPD abgegebenen Stimmen. Selbst in Berlin hatten beide Arbeiterparteien fast gleichauf gelegen!

Das Ansehen der Partei war enorm gestiegen, so Holm und Westermann in ihrer Denkschrift – auch bei denen, die nicht KPD gewählt hatten. »Die Massen waren gespannt darauf, was nun die Kommunisten mit ihrer 60 Mann starken Fraktion im Reichstag tun würden.« Es habe die Möglichkeit bestanden, durch eine gute Massenkampagne und in Verbindung mit dem Auftreten der Partei im Reichstag an politischem Terrain zu gewinnen. Die Parteiführung aber hätte diese einmalige Gelegenheit verstreichen lassen. »Dann wurde in der Hauptsache Obstruktion gemacht.« Was das hieß, erzählt Mario Keßler: Manche KPD-Abgeordnete gefielen sich darin, die Reichstagssitzungen durch den Einsatz von Trillerpfeifen und Kindertrompeten »aufzulockern«. Kritik daran wiegelte die Vorsitzende des Politischen Sekretariats der KPD mit folgenden Worten ab: »Der Klamauk hat einen demonstrativen Charakter. Er will unversöhnliche Opposition der kommunistischen Abgeordneten gegen den bürgerlichen Klassenstaat zeigen.«

Ruth Fischer, nunmehr ebenfalls Mitglied des Reichstags, sei gar nicht in den Sinn gekommen, so ihr Biograf, »dass der ›Kampf‹ gegen bürgerliche Umgangsformen ein eher schwacher Ersatz für den Klassenkampf war«. In den Landes- und Stadtparlamenten bot sich das gleiche Bild. Mario Keßler schreibt: Um die vorgeschriebene Verpflichtung von Stadtverordneten durch Handschlag des Bürgermeisters ins Lächerliche zu ziehen, seien die Kommunist*innen mancherorts mit roten Fausthandschuhen zur Sitzung erschienen. Andere hätte sich im Anschluss in mitgebrachten Waschschüsseln demonstrativ die Hände gewaschen.

»Sehen wir uns nun die Kommunalpolitik der Partei im Jahr 1924 an«, schreiben die kommunistischen Realpolitiker Holm und Westermann. In der Öffentlichkeit habe »das Absägen von sozialdemokratischen Bürgermeistern, Magistratsbeamten usw.« die Hauptrolle gespielt, und zwar »durch die Kommunisten mithilfe der Bürgerlichen in allen Gemeinden , in welchen die Sozialdemokraten und die Kommunisten gemeinsam eine Mehrheit haben«. Diese Politik sei von der Parteiführung angeordnet worden mit der Begründung, die Partei müsse mit der bisherigen Einheitsfronttaktik auf kommunalpolitischem Gebiet brechen. Durch das Absägen oder Nichtwählen von Sozialdemokrat*innen müsse die KPD laut demonstrieren, »dass sie die Sozialdemokratie als eine bürgerliche und faschistische Partei betrachte«.

Zwar hatten Holm und Westermann einige Seiten zuvor klargestellt, dass die SPD der »gefährlichste Feind der revolutionären Arbeiterklasse« sei und es dort keinen Platz gäbe »für ehrliche revolutionäre Arbeiter«. Angesichts dieser neuen Linie aber sind sie entsetzt: »Unserer Auffassung nach hat dieses blöde, mechanische Absägen von Sozialdemokraten überhaupt nichts mit Politik zu tun und noch weniger mit kommunistischer Politik.« Der SPD werde zudem ein »glänzender Agitationsstoff« geboten, wenn man den Arbeitern erzählen könne, »dass mithilfe der Kommunisten anstelle eines Sozialdemokraten irgendein Deutschnationaler oder Vertreter der Industrie gewählt worden war«.

Pirna, die Industriestadt in Ostsachsen, (die unlängst, im Jahr 2024, einen AfD-Oberbürgermeister wählte), hatte vor hundert Jahren noch eine Mehrheit von Sozialdemokraten und Kommunisten im Stadtparlament. Holm und Westermann berichten: »Vor der Wahl der Gemeindeleitung traten nun die Sozialdemokraten an unsere Genossen heran und schlugen ihnen vor, für einen Sozialdemokraten als ersten Bürgermeister zu stimmen, sie würden dann für die Wahl eines Kommunisten zum zweiten Bürgermeister stimmen. Außerdem wollten sie einen Kommunisten mit zum ersten Bürgervorsteher wählen und verlangten den Posten des zweiten Bürgervorstehers.« Ein Teil der KPD-Genoss*innen vor Ort, unter ihnen auch der Reichstagsabgeordnete Siegfried Rädel, sei nun dafür eingetreten, das SPD-Angebot nicht rundweg abzulehnen. Vielmehr solle man ein kommunalpolitisches Programm erarbeiten, ein Angebot, das man den Sozialdemokraten dann vorlegen könne.

So weit wäre es womöglich gekommen, wäre zur Funktionärskonferenz nicht Ernst Schneller auf den Plan getreten, ein Vertreter der Parteizentrale. »Dieser sprach scharf gegen die Auffassung des Genossen Rädel«, so Holm und Westermann, und trat dafür ein, mit der SPD überhaupt nicht zu verhandeln, sondern für alle Posten eigene Kandidaten aufzustellen und nur für diese zu stimmen, wenn dadurch auch Bürgerliche gewählt würden. Eine solche Haltung führender KPD-Vertreter beobachteten Holm und Westermann auch in den Landtagen und im Reichstag. Für das Gros der kommunistischen Parlamentarier sei es ein besonderer Stolz und eine besondere Freude, »wenn sie gemeinsam mit den Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei gegen die Sozialdemokratie stimmen können«.

Die Quittung

In dem kurzen Zeitraum von Mai bis Dezember 1924 hatte sich der Wind gedreht: Die KPD errang bei der Neuwahl nur noch 8,9 Prozent der abgegebenen Stimmen und lag weit abgeschlagen hinter der verhassten SPD, die 26 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Im Holm-Westermann-Memorandum liest sich das wie folgt: »Am 4. Mai erhielt die Partei 62,4 Prozent der Stimmenzahl, die die Sozialdemokratie erhielt. Am 7. Dezember jedoch nur 34,4 Prozent.« Es seien vor allem Stimmen der Arbeiter*innen verloren gegangen. Im proletarischen Milieu war der kommunistische Einfluss auf dramatische Weise zurückgegangen, und ohne Einfluss gab es keine Macht. Warum sollte man auch Menschen in Verantwortung wählen, wenn diese die Verantwortung letztlich ablehnen?

Den Tiefpunkt sollte die KPD allerdings erst noch erreichen: Bei den Reichspräsidentenwahlen – Friedrich Ebert war am 28. Februar 1925 im Amt gestorben – bestanden die Abgeordneten auch im zweiten Wahlgang auf einem eigenen Kandidaten, entgegen dem Anraten der Komintern in Moskau. Die 6,4 Prozent der Wähler, die am 26. April 1925 für Ernst Thälmann votierten, fehlten dem von der SPD unterstützten Zentrumspolitiker Wilhelm Marx. »Hindenburg von Thälmanns Gnaden«, schrieb der sozialdemokratische »Vorwärts« damals.

Der ultralinke Kurs der Parteiführung hatte also in die Sackgasse geführt. Ruth Fischers Tage an der KPD-Spitze waren gezählt. Mario Keßler berichtet ausführlich von ihrem Sturz: Sie war für Moskau nicht zu radikal, sondern ihre Loyalität galt als nicht berechenbar.

Für Holm und Westermann sollte der damalige Parteiausschluss nicht der letzte gewesen sein: Laut Handbuch der deutschen Kommunisten wurde Hans Westermann 1925 zunächst wieder in die KPD aufgenommen. Zwei Jahre später wählte man ihn in die Bezirksleitung Wasserkante und noch dazu in die Hamburger Bürgerschaft, um ihn dann 1930 als »Versöhnler« erneut aus der KPD auszuschließen. 1935 wurde Hans Westermann im KZ Fuhlsbüttel grausam ermordet. Seine Frau Käthe Latzke, die ebenfalls als »Versöhnlerin« aus der KPD ausgeschlossen worden war, starb im KZ Ravensbrück an Typhus.

Hans Holm sollte nach einer Odyssee durch halb Europa das Konzentrationslager Sachsenhausen überleben. Nach dem Krieg übernahm er in der SBZ/DDR wichtige Funktionen im Verlagswesen. Hier trafen ihn bald die stalinistischen »Säuberungen«, die sich vor allem gegen Westemigranten richteten: Es folgten der Parteiausschluss, die Versetzung in die Provinz, schließlich aber die Wiederherstellung der Parteimitgliedschaft und Leitung des Urania-Verlages in Leipzig. Schon im Rentenstand wurde Holm ein Jahr lang durch die Staatssicherheit observiert, später erfolgte aber noch die Ehrung mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold. Hans Holm starb 1981 in Berlin.

Der Artikel entstand im Rahmen eines Forschungsprojekts der Rosa-Luxemburg-Stiftung, das sich dem Leben und Wirken des Verlegers und Antifaschisten Hans Holm widmet.
Zum Weiterlesen: Mario Keßler: Ruth Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten (1895–1961), Böhlau-Verlag 2013.

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