Linke Digitalpolitik: Der Feind meines Feindes ist mein Freund?

Mit dem Digital Markets Act will die EU den Einfluss von Big-Tech-Unternehmen begrenzen. Ein linker Blick auf Chancen der Digitalpolitik

  • Malte Engeler
  • Lesedauer: 6 Min.
Nach wie vor entscheidet eine geringe Anzahl von Menschen und Konzernen darüber, wie unsere digitale Welt aussieht.
Nach wie vor entscheidet eine geringe Anzahl von Menschen und Konzernen darüber, wie unsere digitale Welt aussieht.

Ende März verkündete die Europäische Kommission in einer Pressemitteilung, dass sie in ihrer Rolle als Wettbewerbsbehörde Verfahren gegen Apple, Alphabet (Mutter des Google-Konzerns) und Amazon eingeleitet habe. Hintergrund des Verfahrens ist das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA). Der DMA ist ein seit letztem Jahr vollständig anwendbares europäisches Gesetz. Es sieht neue Wettbewerbspflichten für Unternehmen vor, die zentralen Plattformdienste anbieten. Das sind Dienste, die von besonders viele Menschen innerhalb der Europäischen Union genutzt werden. Der DMA nennt diese Unternehmen Gatekeeper. Die Europäische Kommission benannte im September 2023 sechs Gatekeeper, darunter Apple, Alphabet und Amazon.

Bei einigen der Dienste dieser Gatekeeper vermutet die Kommission Verstöße gegen den DMA. Es bestehe der Verdacht, dass Alphabet mit der Programmierung des Android-eigenen Appstores (Google Play) und der Bevorzugung eigener Angebote in der Google-Suche, Apple mit der engen Kontrolle über ihren App Store und des Auswahlbildschirms für den Standard-Webbrowser sowie Meta mit seinem neuen Bezahl-Modell gegen den DMA verstoße. Dass die Europäische Kommission so früh nach Anwendbarkeit des DMA und Benennung der Gatekeeper bereits Maßnahmen einleitet, gilt in Teilen der digitalpolitischen Szene als Machtdemonstration.

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Es läge für die digitale Linke nahe, sich diese Härte gegenüber Big Tech zu eigen zu machen. Eine Grundskepsis gegen US-amerikanische Technologiekonzerne ist in weiten Kreisen der Linken schließlich Teil des Grundkonsenses. Ist der Feind des Feindes hier also ein Freund? Sollte linke Digitalpolitik sich die Mahnung der Europäischen Kommission zu mehr Wettbewerb zu eigen machen?

Diese Frage darf eindeutig verneint werden. Natürlich ist die Forderung nach mehr Wettbewerb keine linke Position. Die Idee, dass die unsichtbare Hand des Marktes als kapitalistisches Instrument der Bedürfnisbefriedigung grundsätzlich funktioniert, solange nur faire Wettbewerbsbedingungen gelten, ist eine wirtschaftsliberale Erzählung. Sie blendet aus, dass der Markt nur jene Bedürfnisse aufgreift, deren Befriedigung Profit verspricht. Sie blendet aus, dass dieser Profit systembedingt mit der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft einhergeht. Und sie blendet aus, dass der Markt undemokratisch ist. Denn nur eine geringe Anzahl an Menschen entscheiden darüber, wie unsere (digitale) Welt aussieht: Jene, die die ökonomische Macht haben, ihren Willen – vermittelt über privates Eigentum an Digitalunternehmen oder Risikokapitalanteilen – in die Wirklichkeit umzusetzen.

Der Rest von unser wird reduziert auf die Rolle als Konsumierende. Daran ändert »mehr Wettbewerb« nur insofern etwas, als das die Auswahl an Diensten, die unsere Bedürfnisse zu kommerzialisieren versuchen, erweitert wird. Big Tech ist insoweit nur Symptom des kapitalistischen Wettbewerbs, in dem Onlinedienste gezwungen sind, auf Kosten der Menschen um Profite zu kämpfen. Und genau so darf man das Vorgehen der Europäischen Kommission auch einordnen: Als Symptombekämpfung. Allzu überschwängliche Freude über wettbewerbsrechtliche Härte ist im Grunde Ausdruck jener linksliberalen Perspektive auf die Datenökonomie, die sich auf besonders evidente Symptome und toxische Ausdrucksformen wie Plattform- oder Überwachungskapitalismus konzentriert, statt die strukturellen Probleme der zugrundeliegenden Wirtschaftsweise zu thematisieren: Kapitalismus hui, Bindestrich-Kapitalismus pfui. Und natürlich kann man nicht ausblenden, dass alle bisher von der Kommission als Gatekeeper benannten Unternehmen außereuropäische Konkurrenten für den europäischen Binnenmarkt sind. Das Handeln der Kommission hat – jedenfalls mittelbar – das Potential, die Position der europäischen Digitalwirtschaft im internationalen Wettbewerb zu verbessern. Es geht, ganz ökonomisch, um den Schutz europäischer Werte.

Trotzdem liegt auch im Wettbewerbsrecht ein transformativer Funke. Sein rechtlicher Instrumentenkasten könnte einer wahrlich transformativen Alternative zu kommerziellen Onlinediensten den Weg ebnen: Vergesellschaftung. Vor wenigen Wochen erst war genau das Gegenstand der zweiten Vergesellschaftungskonferenz am Werbellinsee. Ein Teil der dortigen Überlegungen betraf dabei auch Google Maps, den Marktführer in Sachen Karten- und Navigationsdienste.

Google Maps spielt eine zentrale Rolle für lokale Einrichtungen, Lieferdienste, Restaurants oder Mobilitätsangebote. Design- und Funktionalitätsentscheidungen werden trotzdem nicht entsprechend den Bedürfnissen der Millionen Nutzerinnen, sondern ultimativ entlang der wirtschaftlichen Zielsetzungen des Alphabet-Konzerns getroffen. Diese Priorisierung ist dem kapitalistischen Wettbewerb nun einmal immanent. Und deshalb wäre auch ein europäischer Wettbewerber keine strukturelle Antwort. Jede Konkurrenz wäre den gleichen Marktbedingungen und Profitzwängen unterworfen. Erst eine Vergesellschaftung, also die Überführung von Diensten in eine demokratische und dem Gemeinwohl dienende Verwaltung stellt insofern eine strukturelle Alternative dar.

Die Vergesellschaftung großer internationaler Onlinedienste steht freilich vor vielen Herausforderungen. Bei einer von ihnen könnte das Wettbewerbsrecht aber potentiel helfen, denn es kennt als schärfstes Schwert die sogenannten Zerschlagung. Der DMA spricht von strukturellen Abhilfemaßnahmen, einschließlich der erzwungenen vollständigen oder teilweisen Veräußerung von Geschäftsbereichen. Dieses rechtliche Werkzeug wäre ein denkbarer Teil einer wettbewerbsrechtlich durchgesetzte Abspaltung einzelner Dienste. Diese Abspaltung müsste dann einhergehen mit einer Überführung der so isolierten Teile in eine demokratisch kontrollierbare Rechtsform mit Sitz in Europa und könnte so ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem Betrieb außerhalb der kapitalistischen Konkurrenzlogik sein.

Dass eine eigentumsrechtliche Neuordnung allein nicht das Ziel sein kann, zeigt der Blick auf die Entwicklungen rund um das soziale Netzwerk Tiktok in den USA. Dort verabschiedete das Repräsentantenhaus kürzlich ein Gesetz, mit dem das hinter Tiktok stehende chinesische Unternehmen Bytedance zu einem Verkauf des US-Geschäfts an US-Bürger gezwungen werden könnte. Die dort geführte Debatte erinnert in ihrer Argumentation und den formulierten Zwischenzielen teilweise an Überlegungen über die Vergesellschaftung von Onlinediensten. Auch in der US-Debatte um Tiktok werden bestimmte gesellschaftsschädliche Auswirkungen des Dienstes zum Anlass genommen, um radikale Antworten zu diskutieren. Und auch dort wird ein erzwungener Eigentumsübergang als Lösung erwogen.

Die dortige Pläne formulieren aber fundamental unterschiedliche Endpunkte. Anders als bei einer gemeinwohlorientierten Transformationen im Sinne der hier beschriebenen Vergesellschaftung wohnt im Herzen der US-Pläne vor allem roher Nationalismus. Weder der kommerzielle Betrieb von Onlinediensten soll überwunden, noch soll er in eine demokratische und gemeinwohlorientierte Verwaltung überführt werden. Als gelöst gilt des Tiktok-Problem stattdessen bereits dadurch, dass das Soziale Netzwerk in das Eigentum eines Billionärs mit US-Staatsangehörigkeit übergeht. Meredith Whittaker ist Präsidentin der Signal-Stiftung und verantwortlich für den gleichnamigen Messengerdienst. Mit Blick auf die USA warnte sie erst kürzlich davor, »die globale Überwachungs- und Propagandamacht weiter in den Grenzen einer einzigen Regierung zu konzentrieren« und kommentierte dazu treffend: »Es ist immer gefährlich Nationalstaaten wie sein vermeintliches Heimteam zu betrachten.«

Sich von Debatten wie in den USA abzugrenzen und zu zeigen, dass Überlegungen zur Vergesellschaftung von digitalen Diensten mehr als Nationalismus sind und eine inklusive, partizipatorische Verwaltung im Interesse der Allgemeinheit möglich ist, wird eine der vielen Aufgaben weiterer Arbeiten zu diesem Thema sein. Festhalten lässt sich hier und jetzt nur so viel: Weder die Pläne des Repräsentantenhauses der USA noch die Wettbewerbsmaßnahmen der EU-Kommission liefern dafür wertvolle Impulse.

Malte Engeler ist Richter am Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht und politisch bei der Linkspartei in der BAG Netzpolitik aktiv. Derzeit ist er an ein Bundesministerium abgeordnet, der Text spiegelt aber ausschließlich seine persönliche Auffassung wider.

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