Die Linke: Ein Schutzschirm für Karlsruhe

Linke will Bewegung in Debatte über bessere Absicherung des Bundesverfassungsgerichts bringen

Ordnung muss sein in Karlsruhe, nicht nur am Beratungstisch.
Ordnung muss sein in Karlsruhe, nicht nur am Beratungstisch.

Wie kann man das Bundesverfassungsgericht gegen etwaige Angriffe schützen? Diese Frage hätte lange als theoretisches Debattenthema gegolten. Denn im Grundgesetz und im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht sind alle wichtigen Punkte geregelt. Könnte man meinen. Allerdings haben Polen und Ungarn, aber auch Israel gezeigt, wie rechtskonservative Regierungen versuchen, Verfassungsgerichte zu entmachten und unbequeme Richter auszuschalten.

Wäre so etwas auch in Deutschland denkbar? Das Erstarken der AfD gibt da vielen zu denken. Im Grundgesetz sind zwar im Wesentlichen Aufgaben und Befugnisse des in Karlsruhe ansässigen Bundesverfassungsgerichts fixiert; wo es ins Detail etwa zur Wahl der Verfassungsrichter gehen müsste, steht jedoch in Artikel 94 der Satz: »Ein Bundesgesetz regelt seine (des Bundesverfassungsgerichts) Verfassung und das Verfahren und bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen Gesetzeskraft haben.« Der entscheidende Unterschied: Veränderungen im Grundgesetz brauchen eine Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat; ein einfaches Gesetz kann mit einfacher Mehrheit beschlossen oder verändert werden – es müssen mehr Für- als Gegenstimmen abgegeben werden. Das beträfe im Fall des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes beispielsweise Fragen der Richterwahl, der Amtsdauer und der Verbindlichkeit von Entscheidungen des Gerichts.

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Das erscheint in Sachen Bundesverfassungsgericht nicht wenigen als zu unsicher angesichts des Aufschwungs rechtspopulistischer und rechtsextremer Kräfte. Deshalb warnte beispielsweise ein Unionsabgeordneter im Herbst vergangenen Jahres vor einer Verwundbarkeit dieses Gerichts und forderte dazu auf, über dessen besseren Schutz nachzudenken. Und Anfang 2024 plädierten zwei ehemalige Verfassungsrichter in einem Zeitungsbeitrag dafür, substanzielle Regelungen ins Grundgesetz aufzunehmen.

Inzwischen beschäftigt das Thema die Bundespolitik; Ampel-Koalition und Unionsparteien begannen darüber zu sprechen, denn nur sie gemeinsam können die nötige Zweidrittel-Mehrheit erreichen. Und im Hintergrund befasst sich eine Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz der Länder mit diesen Fragen, in der CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne und Linke vertreten sind. Doch die Gespräche zwischen Ampel und Union gerieten ins Stocken; Vorwürfe des medialen Vorpreschens standen im Raum, und wie immer dürften auch Wahlkampferwägungen und politische Tauschhändel hineinspielen. Jedenfalls wollte die Union im Februar nicht mehr weiterreden.

Dabei ist die zur Verfügung stehende Zeit nicht üppig. Nach aller Erfahrung beginnt der Wahlkampf für die Bundestagswahl 2025 bereits Anfang des kommenden Jahres; was bis dahin nicht geregelt ist, bleibt chancenlos. Deshalb will die Linke-Gruppe im Bundestag wieder Bewegung in die Debatte bringen. »Ampel und Union verlieren sich seit Monaten in Ankündigungen«, erklärte der Ko-Vorsitzende der Bundestagsgruppe, Sören Pellmann, dazu. »Darum legen wir jetzt einen Gesetzentwurf vor.«

Denn es sind durchaus heikle Fragen zu beantworten, wofür Debattenzeit nötig ist. So hat die Zweidrittel-Mehrheit für Grundgesetzänderungen eine Kehrseite: ein Drittel der Stimmen reicht aus, um solche Änderungen zu verhindern – oder die Wahl neuer Verfassungsrichter zu blockieren. Dafür bräuchte es dann einen Plan B. Dass dies keine Phantomsorgen sind, zeigt das Beispiel Thüringen; in den Ländern stehen ja ähnliche Fragen an. Nicht umsonst rief dort der AfD-Frontmann Björn Höcke für die Landtagswahl im September 2024 das Ziel »33 plus x« aus.

Die Linke greift mit ihrem Gesetzentwurf für mehr »Resilienz des Bundesverfassungsgerichts gegen autoritär-populistische Bestrebungen« bisherige Debatten auf. So soll in Grundgesetzartikel 93 der Passus aufgenommen werden, dass Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bindend sind für »die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden«. In Artikel 94 soll einfließen, dass die Verfassungsrichter mit Zweidrittel-Mehrheit je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden. Auch die Amtszeit von zwölf Jahren und der Auschluss einer erneuten Wahl sollen Verfassungsrang erhalten. Gleiches gilt laut Pellmann für die Struktur des Verfassungsgerichts, also seine Aufteilung in zwei Senate.

Der Linke-Vorschlag enthält auch Überlegungen für den Fall, dass eine Partei mit mehr als einem Drittel der Abgeordneten sich nicht an der Suche nach Kompromissen bei der Richterwahl beteiligt, sondern die Zweidrittel-Mehrheit blockiert. Auch dafür wurden schon Varianten ins Spiel gebracht, an die Die Linke anknüpft. Denkbar ist ein Gremium, das aus Richtern beziehungsweise den Präsidenten der anderen Bundesgerichte besteht – Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesfinanzhof, Bundesarbeitsgericht und Bundessozialgericht – und anstelle eines nicht entscheidungsfähigen Bundestags oder Bundesrats Verfassungsrichter bestimmen könnte.

Endlos Zeit ist für solche Fragen nicht mehr. Deshalb forderte der Deutsche Juristinnenbund die Union vor einiger Zeit auf weiterzuverhandeln, damit das Bundesverfassungsgericht »besser vor Verfassungsfeinden geschützt werden« kann. Inzwischen reden Ampel und Union wieder miteinander – vorerst ohne Ergebnis.

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