Heimliche Polizeiaktion: Gesichtserkennung aus parkendem Fahrzeug

Polizei in Berlin nutzt biometrische Rasterfahndung aus Sachsen, Strafrechtsprofessor bezweifelt Rechtsgrundlage

Anwendungen wie »FaceVACS-VideoScan« von Cognitech aus Dresden können Gesichter in Echtzeit-Videodaten suchen.
Anwendungen wie »FaceVACS-VideoScan« von Cognitech aus Dresden können Gesichter in Echtzeit-Videodaten suchen.

Zur Strafverfolgung nutzt die Polizei in Sachsen für langfristige Observationen eine Gesichtserkennungssoftware, die aufgenommene Personen mit einer Datenbank abgleicht. Die intelligente Videotechnik ist entweder fest installiert oder in Fahrzeugen verbaut, die unauffällig am Straßenrand geparkt sind.

Der Einsatz einer solchen Technik im Bereich der »grenzüberschreitenden Bandenkriminalität« wurde im März durch eine Kleine Anfrage aus Berlin bekannt. In der Antwort ist die Rede von »zwei Verfahrenskomplexen«. Das dabei eingesetzte Überwachungssystem stammte aus Sachsen, bestätigt die Staatsanwaltschaft dem »nd«. Die Amtshilfe sei notwendig, »da in Berlin die entsprechende Technik nicht vorhanden ist«. Der Freistaat habe auch die Kosten für den Einsatz in der Hauptstadt übernommen.

Die Software verarbeitet Gesichtsbilder »mit der zeitlichen Verzögerung von wenigen Sekunden«, so die Staatsanwaltschaft. Technisch gesehen ist dies ein Abgleich in Echtzeit zur Feststellung einer verdächtigen Person an einem bestimmten Ort. Hierzu werden alle im Umkreis erfassten Personen mit Bildern von Tatverdächtigen aus einem konkreten Ermittlungsverfahren abgeglichen. Entdeckt die Software eine verdächtige Person, wird der Fund durch einen Polizeibeamten überprüft.

Als rechtliche Grundlage für den Einsatz der biometrischen Überwachung nennt die Staatsanwaltschaft den Paragraf 98a der Strafprozessordnung zur Rasterfahndung. Er erlaubt die Maßnahme bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung, wenn andere Methoden »erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert« wären.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Nach dem Gesetz zur Rasterfahndung dürfen alle von der Technik erfassten Personen »mit anderen Daten maschinell abgeglichen werden«. Bei den Observationen mit Videokameras geraten also sämtliche Personen im Umkreis ins polizeiliche Raster. Die Staatsanwaltschaft Berlin meint: »Es erfolgt somit nur mit Hilfe technischer Mittel eine gezielte Überwachung bestimmter Personen, aber keine flächendeckende Überwachung einer unbestimmten Zahl von Personen.«

Dieser Einschätzung widerspricht Tobias Singelnstein, Professor für Strafrecht an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt: »Eine solche Maßnahme greift in erheblichem Maße in die Rechte von völlig Unbeteiligten ein, weil je nach Umständen eine Vielzahl von Personen erfasst wird«, sagt Singelnstein zum »nd«. Die Rechtsgrundlagen in der Strafprozessordnung sähen eine solche Maßnahme auch gar nicht vor.

Details zur Funktionsweise der Software wollen die Berliner Polizei und Justiz nicht beantworten und verweisen auf die Kollegen in Sachsen. Dort unterliegt die »Observationstechnik für verdeckte Maßnahmen« jedoch der Geheimhaltung, sagt ein Polizeisprecher dem »nd«. So regele es eine Polizeidienstvorschrift.

Über Zahlen, wie oft die Video-Rasterfahndung in anderen Ermittlungen eingesetzt wurde, verfügt die sächsische Polizei nach eigener Aussage nicht. So lässt sich auch nicht herausfinden, ob die in Antifa-Verfahren durchgeführten Observationen damit erfolgten.

Ein bekannter Hersteller derartiger Biometrietechnik ist die Firma Cognitech aus Dresden. Zum Portfolio gehört die Software »FaceVACS-VideoScan«, die Gesichter aus Live-Videostreams mit Bilddatenbanken abgleichen kann. Aufgenommene Personen sollen gezählt, im Raum verfolgt sowie in Geschlechter und Altersgruppen eingeteilt werden können. Wird eine gesuchte Person entdeckt, erfolgt eine Echtzeit-Benachrichtigung an Polizeibeamte.

In der Oberlausitz nutzt die sächsische Polizei ein »Personen-Identifikations-System« (PerIS), das ebenfalls Gesichter sowie Kennzeichen abgleichen kann – angeblich aber nicht in Echtzeit. Bei dem nun in Berlin bekannt gewordenen Einsatz handele es sich laut dem Sprecher nicht um das PerIS-System. Die in Amtshilfe aus Sachsen eingesetzte Anlage kann jedoch laut der Berliner Innenbehörde auch Bilder »von Fahrzeugen erstellen und untereinander biometrisch abgleichen«.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.