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Kampf um den Kult-Balkon in der Warschauer Straße
Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg prüft Vorkaufsrecht für das marode Eckhaus an der Warschauer Straße 25
Im durchgentrifizierten Friedrichshain sticht das Haus an der Warschauer Straße 25 hervor. So sehr, dass es tausendfach auf Fotos verewigt ist. Es ist vor allem der mit einer Holzkonstruktion gestützte Balkon an der Ecke des Hauses, über dem zwei hohe Säulen thronen, die den Altbau zum beliebten Fotomotiv machen. Die Holzkonstruktion deutet es schon an: Das Haus ist sanierungsbedürftig. Und es soll verkauft werden. Wie der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mitteilt, wird zurzeit geprüft, ob das bezirkliche Vorkaufsrecht gezogen werden kann.
Das Eckhaus wurde zusammen mit sieben anderen Häusern verkauft, aber nur für dieses eine wird der Vorkauf geprüft. »Nach intensiver Befassung mit dem baulichen Zustand der Gebäude wurde festgestellt, dass die bestehenden Mängel die Erheblichkeitsschwelle gemäß den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts überschreiten«, teilt der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit. Mit einem Urteil im November 2021 wurde das Vorkaufsrecht erheblich eingeschränkt. Nur noch in Ausnahmefällen, wenn etwa ein Gebäude baufällig ist, können die Bezirke beim Verkauf einer Immobilie dazwischengrätschen und den Verkauf an einen gemeinwohlorientierten Dritten ermöglichen.
In einer Pressemitteilung beschreiben die Bewohner*innen das Haus als »eine der letzten Inseln bezahlbaren Wohnraums mitten in Berlin«. Claudia Winkler-Görbe lebt schon seit 33 Jahren dort. Sie fürchtet wie der Rest der Hausgemeinschaft mit dem Verkauf Mietsteigerungen, Entmietung und den Verlust ihres Wohnraums. »Wenn auf dem Berliner Wohnungsmarkt 27 Mietparteien gleichzeitig eine Wohnung suchen, mag man sich gar nicht ausmalen, wie das dann endet«, sagt sie zu »nd«.
Es ist aber nicht nur die Angst, keine neue Wohnung zu finden, die die Bewohner*innen umtreibt. »Wir sind einfach eine tolle Hausgemeinschaft«, sagt Winkler-Görbe. Als es etwa einmal für fünf Wochen in Teilen des Hauses kein Wasser gab, konnten die Betroffenen bei Nachbar*innen duschen und auf die Toilette gehen. Müssten sie die Wohnungen verlassen, wenn ein potenzieller neuer Eigentümer das Haus komplett sanieren würde, so würde das die über Jahrzehnte währende Gemeinschaft zerstören.
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Dass am Haus gearbeitet werden muss, kann Winkler-Görbe bestätigen. »Wir haben immer gedacht, wir wohnen in einem sanierungsbedürftigen Haus, aber im Vergleich wohnen wir im Penthouse.« In anderen Wohnungen im Gebäude seien Decken eingestürzt. Es habe Wasserrohrbrüche gegeben. »Ich kann in meiner Wohnung wohnen, aber andere sind so feucht, dass Handwerker den Bewohnern gesagt haben, sie müssen wegen Schimmels sofort ausziehen«, erklärt sie. Dieser Zustand ist nicht neu. Schon beim Einzug 1992 hätten Handwerker ihr gesagt, dass die Fenster schlecht seien. »Und die sind in 33 Jahren nicht besser geworden.«
Der Zustand des Hauses, der es überhaupt erst ermöglicht, dass der Bezirk das Vorkaufsrecht prüft, macht aber auch Probleme. Ein potenzieller Drittkäufer müsste erheblich investieren, um alle Wohnungen bewohnbar zu machen. Wie die Bewohner*innen mitteilen, gibt es teilweise noch Kohleöfen und Außentoiletten. Seit den 90er Jahren wurde im Haus nicht modernisiert. Um die notwendigen Maßnahmen sozialverträglich stemmen zu können, bräuchte es Fördergelder.
Was sich im Laufe der Zeit auch nicht geändert hat, ist der hohe Anteil an leeren Wohnungen. Mindestens ein Drittel des Wohnraumes stehe leer, sagt Florian Schmidt, Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, in einer Pressemitteilung. Zum Teil sei das schon so, seit sie im Haus wohne, berichtet Winkler-Görbe. Wenn Mieter*innen auszögen, würden die Wohnungen einfach nicht neu vermietet.
»Wenn auf dem Berliner Wohnungsmarkt 27 Mietparteien gleichzeitig eine Wohnung suchen, mag man sich gar nicht ausmalen, wie das dann endet.«
Claudia Winkler-Görbe
Mieterin Warschauer Str. 25
Dieser Umstand lässt den Bezirk über neue Möglichkeiten nachdenken. »Die Immobilie weist durch den Leerstand das Potenzial auf, mehrere Ziele des Landes Berlin erfüllen zu können«, so Baustadtrat Schmidt. Das Bezirksamt werde in den kommenden Wochen ein Konzept für eine soziale Bewirtschaftung der Häuser entwickeln und dieses mit Kooperationspartnern und dem Senat abstimmen. »Träger, die Housing First oder Azubi-Wohnkonzepte im Rahmen von unbefristeten Mietverträgen zur ortsüblichen Miete anbieten, sind aufgerufen, sich beim Bezirksamt zu melden, um mögliche Kooperationen zu prüfen.«
»Die Ziele des Erhaltungsrechts können bei diesem Vorkaufsfall mit denen der sozialen Wohnraumversorgung modellhaft kombiniert werden. Ich hoffe auf eine breite Unterstützung für diesen innovativen und kostensparenden Ansatz«, so Florian Schmidt. Die Frist, um dieses ambitionierte Vorhaben umzusetzen, endet am 9. Juni.
Die Bewohner*innen wollen nicht tatenlos zuschauen. Nicht nur treffen sie sich regelmäßig, um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen, sie haben auch eine Kundgebung geplant, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Am kommenden Samstag um 13 Uhr wollen sie vor ihrem Haus demonstrieren.
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