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Generalbundesanwalt erhebt Anklage gegen sechs Antifaschisten
Auslieferung nach Ungarn wohl vom Tisch. Verteidigung kritisiert Anklageschrift
Sechs der sieben Antifaschist*innen, die sich Anfang des Jahres den deutschen Behörden gestellt hatten und dem sogenannten »Budapest-Komplex« zugeordnet werden, wurden vom Generalbundesanwalt (GBA) angeklagt. Das teilten ihre Verteidiger*innen in einer Presseerklärung mit. Die Generalbundesanwaltschaft soll die Anklageerhebung gegenüber dem Rechtsmagazin LTO bestätigt haben.
Die Eröffnung des Strafverfahrens in Deutschland könnte auch Auswirkungen auf mögliche Auslieferungsverfahren nach Ungarn haben, wo ebenfalls Haftbefehle vorliegen und wo der bereits überstellten Person Maja T. derzeit der Prozess gemacht wird. Rechtsanwalt Lukas Bastisch, der eine der Angeklagten vertritt, bezeichnete die Einleitung des Verfahrens gegenüber »nd« als »Auslieferungshindernis«. Der GBA habe bereits vor der Anklage betont, »dass dem deutschen Strafverfahren der Vorzug zu geben ist«. Bastisch betont: »Die formelle Bestätigung durch das zur Entscheidung für die Auslieferung zuständige Gericht steht noch aus.«
Nicht angeklagt wurde Zaid A., ein syrischer Staatsbürger, der sich ebenfalls gestellt hatte. Gegen ihn hat die Bundesanwaltschaft keinen Haftbefehl beantragt. Derzeit liegt gegen ihn ausschließlich der Europäische Haftbefehl aus Ungarn vor. Laut seiner Anwältin ist noch unklar, welches Gericht über seine Auslieferung entscheiden wird.
Die Verteidigung kritisiert die Anklage scharf, insbesondere die juristische Bewertung einzelner Taten. Der GBA werte zwei der Angriffe auf Neonazis in Budapest als versuchten Mord. »Selbst die drakonische, politisch agierende ungarische Justiz hat bei diesen Taten gerade keinen Tötungsvorsatz gesehen«, heißt es in der Mitteilung der Verteidigerinnen. Bastisch ergänzt: »Die gegenüber meiner Mandantin erhobenen Vorwürfe sind rechtlich nicht haltbar. Der Generalbundesanwalt ist mit dem Vorwurf der Begehung eines versuchten Tötungsdeliktes bereits im Ermittlungsverfahren gescheitert. Die Vorwürfe werden nun durch das OLG Düsseldorf kritisch zu prüfen sein.«
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Kritik kommt auch hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit: Dass das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf geführt werden soll, hält die Verteidigung für politisch motiviert. Zwar hatten sich zwei der Tatverdächtigen in Nordrhein-Westfalen gestellt, doch die Mehrheit der Angeklagten habe ihre sozialen Bindungen in der Nähe von Jena. Ein Bezug der Vorwürfe zu NRW bestehe nicht.
»Insofern drängt sich der Eindruck auf, dass eine Anklage beim OLG in Jena gezielt nicht erfolgen sollte, weil in dieser Region Bedrohungen und Übergriffe durch rechte Kräfte Alltag sind«, heißt es in der Stellungnahme der Verteidigung. Die antifaschistische Szene sei dort entsprechend stark organisiert. Der GBA scheine »eine Verhandlung in einer Stadt, in der den Angeschuldigten die Unterstützung durch ihre Familien, Freund*innen und breite Solidarität von Antifaschist*innen sicher ist, (...) vermeiden zu wollen«. Diese Unterstützung zeigte sich zuletzt Mitte Juni bei einer Demonstration in Solidarität mit den Angeklagten des »Budapest-Komplexes«. Laut Veranstalter*innen nahmen daran rund 10 000 Personen teil, der MDR sprach von »mehr als 5000 Menschen«.
Den aktuellen Anklagen liegen Ereignisse vom Februar 2023 in Budapest zugrunde. Anlässlich des »Tags der Ehre« versammelten sich dort Neonazis aus mehreren europäischen Ländern. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, in diesem Zusammenhang als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung gezielt Personen angegriffen und schwer verletzt zu haben. Laut LTO richtet sich die Anklage gegen Nele A., Emilie D., Paula P., Luca S., Moritz S. und Clara W.
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