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Tokio-Hotel und das Comeback der Teenie-Stars

Ob die Kaulitz-Brüder mit Tokio Hotel oder LaFee: Frühere Teenie-Idole sind wieder in aller Munde, freut sich Nadia Shehadeh

Im August feierte die Band Tokio Hotel mit Bill Kaulitz (vorn) und Tom Kaulitz 20 Jahre »Durch den Monsun« in der Berliner Wuhlheide.
Im August feierte die Band Tokio Hotel mit Bill Kaulitz (vorn) und Tom Kaulitz 20 Jahre »Durch den Monsun« in der Berliner Wuhlheide.

Manchmal offenbart sich die Zukunft der Popmusik nicht in den Charts, sondern in Pausenräumen von Aushilfsjobs. Bei mir war das mitte der Nullerjahre jedenfalls so. Ich war Studentin in meinen Zwanzigern und meine gleichaltrigen Raucherpausen-Kolleg*innen und ich hatten ein Lieblingsgesprächsthema: Teenie-Popstars. Das ging ganz gut, denn in dieser Zeit wurden ordentlich junge Idole gehyped und gecastet – bei »Popstars«, »Deutschland sucht den Superstar« und »The Voice«. Memes kannten wir damals nicht, aber wir konnten sie in real life performen: »Heul doch« von LaFee singen, wenn man zu spät zum Dienst erschien, oder bei Geburtstagen der Kolleg*innen mit dem Karaoke-Spiel Singstar »Durch den Monsun« plärren. Manchmal waren wir neidvoll, manchmal anerkennend.

Wir waren von niemandem (offiziell) Fan, aber wir wussten, dass die Kaulitz-Brüder für ihr Alter solide musizierten und LaFee eine stabile Diva war. Aber es gab auch Figuren, die man ganz offen einfach nur schlimm und peinlich fand. Jimi Blue Ochsenknecht stand da ganz oben auf der Liste. Spross der gleichnamigen Schauspieler-Dynastie, ehemaliger »wilder Kerl«, für uns quasi völlig grundlos im Musikfernsehen gelandet. »All Alone« hieß sein erster Song, den er irgendwie rappte. Uns war schon klar, wie der Plattenvertrag zu dieser Geschichte zustande gekommen sein musste – auch wenn wir den Terminus »Nepo-Baby« noch nicht kannten. Damit hat ihm niemand einen Gefallen mit getan, dachte ich mir und predigte meinen Kolleg*innen: »Ich schätze mal, die Jungs von Tokio Hotel werden sich in der Zukunft musikalisch nichts vorwerfen müssen. Aber dieser Jimi Blue… Der wird sein komisches Rap-Lied irgendwann bereuen.«

Nadia Shehadeh
Bielefeld

Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie war lange Kolumnistin des »Missy Magazine« und ist außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Zuletzt hat Shehadeh bei Ullstein das Buch »Anti-Girlboss. Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen« veröffentlicht. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Pop-Richtfest«.

Pie mal Daumen 20 Jahre später ist die heilige Dreifaltigkeit der deutschen Teenie-Idole wieder in aller Munde: Tokio Hotel und insbesondere die Kaulitz-Brüder begeistern auf allen Kanälen und sind nach ein paar Jahren in der Versenkung wieder eine stabile Marke. Erst Kult, dann ein bisschen verhöhnt oder vergessen, jetzt wieder Kult. Was auch immer man an Tokio Hotel irgendwann mal lachhaft gefunden haben kann, tragen die Jungs nun wie eine Auszeichnung vor sich her. Und egal was sie tun – sie tun es erstklassig.

Eine fantastische Doku-Serie die stilmäßig irgendwo zwischen »Fussbroichs« und »Keeping Up With The Kardashians« operiert. Mit »Kaulitz Hills« ein Podcast, der aus guten Gründen mehrfach prämiert wurde, treue Fans hat und mittlerweile über 200 Episoden zählt. Und nach wie vor: Solides und gutes musikalisches Schaffen. Was auch immer man früher von Tokio Hotel gehalten haben will: Spätestens jetzt ist ein guter Zeitpunkt, Teil der Fanmasse zu werden. Man wird es nicht bereuen.

Auch LaFee ist zurück: Einst Emo-Idol der 13-Jährigen, in ihren Hochphasen von der Presse als »Mischung aus Shakira und Gothic-Maus« verniedlicht oder als »rheinländisches Rock-Rumpelstilzchen« verlacht, verschwand sie für ein paar Jahre in der Erwachsenenwelt. Ein bisschen TV-Business, ein bisschen schauspielern, ein bisschen Musik. Eine Hochzeit und ein Kind später kündigte sie eine Comeback-Tour an, die sich fix ausverkaufte. Strategisch zurück, um ihr eigenes Meme nicht nur zu feiern, sondern mit Stolz auferstehen zu lassen. Mit einem Augenzwinkern, ein bisschen Reife und genug Emo-Pathos, um die alten Teenie-Songs nicht ins Lächerliche zu ziehen. LaFee wusste: Ihr Comeback ist Nostalgie pur – und das ist 2025 eine Währung, auf die man sich verlassen kann.

Und dann ist da Jimi Blue Ochsenknecht: ständig in der Presse, oft nicht aus guten Gründen. Während andere ihr Image aus alten Zeiten erfolgreich recyclen, scheint er die einzige Jugend-Ikone zu sein, deren Comeback nicht mal auf einer Baumarkt-Eröffnung gebucht würde. Als Kinderschauspieler gefeiert, als Rapper gescheitert, als Sohn der Ochsenknecht-Familie für immer ein Nepo-Baby. Nie wirklich frei, sondern immer schon Teil eines Familienpanoptikums. Einer, dem nicht mal wirklich der Sprung ins Trash-TV-Gewerbe gelingt: Als Teilnehmer des Formats »Villa der Versuchung« schmiss er jüngst freiwillig das Handtuch. Die lukrative Teilnahme an diesem Reality-Format hätten »andere mehr verdient« als er. Ein nobler Rücktritt. Und ihm scheint zu dämmern, dass er immer noch nicht so recht weiß, wo jetzt sein Platz sein soll.

Was früher mal als halbe Miete erschien – berühmter Vater, hochklassige Kinder-Kino-Rollen, Bravo-Poster, ein bisschen Musik für 12-Jährige – ist heute das Problem. Man weiß gar nicht, was die andere Hälfte eigentlich sein soll. Reality-Star? Schauspieler? Unternehmer? Am Ende war es nur ein bisschen von allem – und genau dieses »bisschen« ist das Gegenteil von Marke. Jimi Blue betreibt sein Dasein in der deutschen Popkultur wie ich meine Steuererklärungen: halbherzig und immer zu spät.

Und trotzdem: Weil bei ihm so vieles nicht klappt, weil er stolpert, scheitert und trotzdem dranbleibt, bleibt er faszinierend. Er ist der Gegenentwurf zum geglätteten Comeback und zeigt, wie brüchig Ruhm sein kann. Jimi Blue führt vor, wie tief die Risse im Pop-Traum eigentlich sind. Und vielleicht hat er – trotz aller Makel – genau deswegen seinen Platz in der Deutschpop-Erinnerung. Einen, den man ihm neidlos gönnen kann.

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