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»Demokratie leben!«: Ministerin lässt NGOs durchleuchten

Familienministerin droht Demokratieprojekten mit Verfassungsschutz und will statt NGOs nun auch »Marktwirtschaft« fördern

In dem 2015 begonnenen Programm wurden über 3000 Projekte aus Bundesmitteln begünstigt – einige müssen nun darum fürchten.
In dem 2015 begonnenen Programm wurden über 3000 Projekte aus Bundesmitteln begünstigt – einige müssen nun darum fürchten.

Nach der Kleinen Anfrage vom Februar mit 551 Fragen zur politischen Neutralität von Nichtregierungsorganisationen müssen sich diese nun auf den nächsten Generalangriff der Unionsfraktion vorbereiten. Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) hat in einem bekanntgewordenen Schreiben an die Abgeordneten ihrer Fraktion angekündigt, dass im 2015 begonnenen Förderprogramm »Demokratie leben!« künftig »grundlegende Änderungen« greifen sollen. Wichtigster Punkt: »Nach wochenlanger Arbeit und mit dem Bundesministerium des Innern abgesprochen« sei bereits eine breit angelegte Prüfung des Inlandsgeheimdienstes zu bestehenden Projekten eingeleitet worden. Welche Konsequenzen ein Verdachtsmoment hätte, sagt Prien nicht.

Das könnte besonders NGOs betreffen, die Anfang des Jahres 2024 auf die Straße gingen, nachdem das Recherche-Magazin »Correctiv« ein Treffen von Rechtsextremen und AfD-Politikern in Potsdam öffentlich gemacht hatte, und als links oder linksliberal gelten. Von der konservativen Fragewut betroffen waren etwa die Kampagnenorganisation Campact, Greenpeace, Foodwatch, das Netzwerk Recherche, die auf Migrationsthemen zielenden Neuen Deutschen Medienmacher*innen sowie »Correctiv« selbst.

Das Programm »Demokratie leben!« läuft noch bis 2032. Bis 2029 werden darin insgesamt rund eine Milliarde Euro vergeben. In dem Brief, den das Portal netzpolitik.org vergangene Woche veröffentlicht hat, erklärt die Ministerin: »Wer Zuwendungen des Bundes zum Schutz unserer Demokratie erhält, muss selbst Vorbild sein!« In dem über mehrere Legislaturen laufenden Programm seien mehr als 400 direkte Partner und mehr als 3000 Projekte als Letztempfänger von Bundesmitteln geführt.

Mit dem Vorstoß zieht die sogenannte Hufeisentheorie auch bei dem größten deutschen Förderprogramm für NGOs ein. Gemeint ist ein umstrittenes politikwissenschaftliches Modell, das die politischen Extreme von links und rechts als gleich gefährlich für die bürgerliche Mitte betrachtet – die wiederum mit Demokratie assoziiert wird. Die Theorie findet auch in den weiter rechts stehenden Teilen der Unionsfraktion großen Widerhall. Zuletzt war etwa die Parlamentspräsidentin Julia Klöckner (CDU) damit aufgefallen, dass sie das rechtsextreme Krawallportal »Nius« mit der linken »Taz« gleichgesetzt hatte.

Netzpolitik.org erinnert daran, dass 2011 bereits die damalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder die berüchtigte »Extremismusklausel« eingeführt hat. Diese verpflichtete vom Bund geförderte Initiativen, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen – eine Auflage, die NGOs für ihre Partner in eine Art Haftung nahm und Bündnisarbeit dadurch erschwerte.

2014 wurde die Klausel zwar wieder abgeschafft, doch in den Folgejahren wurde die Durchleuchtung mithilfe des Verfassungsschutzes – jedenfalls für Einzelfälle – fortgesetzt. Zwischen 2015 und 2018 leitete das Familienministerium bei 51 Projekten Daten an den Inlandsgeheimdienst weiter, damals noch unter Präsident Hans-Georg Maaßen. Die Pointe: Der einstige CDU-Politiker wird inzwischen selbst vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Rechtsextremist geführt.

Fortan soll auch »Marktwirtschaft« in das Programm aufgenommen werden, genannt werden »die Arbeits-, Wirtschafts- und Unternehmenswelt«.

Die Überprüfung der Projekte in »Demokratie leben!« soll mit dem »Haber-Verfahren« erfolgen – eine 2017 von der damaligen Staatssekretärin im Bundesinnenministerium Emily Haber eingeführte Regelung. Sie ermöglicht Bundesministerien, beim Verfassungsschutz eine Überprüfung von Organisationen oder Personen anzufordern, die staatliche Fördergelder beantragen oder bereits erhalten. So sollte verhindert werden, dass »extremistische Gruppen« staatliche Unterstützung erhalten oder durch die Teilnahme an offiziellen Veranstaltungen den Anschein staatlicher Akzeptanz erwecken.

Jedoch hatte ein Bundestagsgutachten das »Haber-Verfahren« als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft: Die Abfragen des Verfassungsschutzes erfolgen ohne Wissen der betroffenen Organisationen und könnten dadurch einen unzulässigen Grundrechtseingriff darstellen. Zweifelhaft sei auch, ob für die Schützenhilfe des Dienstes für die Ministerien eine gesetzliche Grundlage bestehe: Denn das Bundesverfassungsschutzgesetz sieht keine Abfrage durch andere Behörden vor. Zudem wird befürchtet, dass die Praxis abschreckend auf zivilgesellschaftliche Projekte wirkt und dadurch die Förderlandschaft verengt werden könnte.

In dem Schreiben an die Unionsfraktion hat Prien weitere Änderungen bei »Demokratie leben!« klar umrissen. So werde zukünftig »die gesamte Bandbreite aktueller demokratiefeindlicher Phänomene« abgebildet, dazu würden »neue Partnerschaften« geschlossen – was wohl Projekte auch gegen angeblichen »Linksextremismus« beinhalten dürfte. Wer nicht ordentlich liefert, dessen Förderung wird eingestellt. Die Richtlinien des Programms werden derart überarbeitet, dass »bei Verstößen« Gelder auch zurückgefordert werden können.

Zudem soll fortan auch die »Marktwirtschaft« als Aktionsfeld in das Programm aufgenommen werden. Genannt werden dazu »die Arbeits-, Wirtschafts- und Unternehmenswelt«. Schließlich kündigt die Familienministerin eine weitere Stärkung der Zusammenarbeit »mit den Sicherheitsbehörden und der wissenschaftlichen Extremismusforschung« an. Mit weiteren Hufeisenwürfen ist demnach zu rechnen.

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