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Wahlkreiskampf in Friedrichshain-Kreuzberg

Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sorgt der Neuzuschnitt von Wahlkreisen für Streit

Oberbaumbrücke in Friedrichshain-Kreuzberg. Ob Wähler auf beiden Seiten der Spree im selben Wahlkreis sein sollen, ist strittig.
Oberbaumbrücke in Friedrichshain-Kreuzberg. Ob Wähler auf beiden Seiten der Spree im selben Wahlkreis sein sollen, ist strittig.

»Dass das Gerrymandering ist, ist offensichtlich«, sagt Linke-Politiker Damiano Valgolio im Gespräch mit »nd«. Der direkt gewählte Berliner Abgeordnete bezieht sich auf einen Vorgang im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Dort müssen für die Abgeordnetenhauswahl 2026 die Wahlkreise neu zugeschnitten werden. Der Bezirk muss nun mit fünf, anstatt wie bei der letzten Wahl sechs Wahlkreisen auskommen. Um diesen Vorgang tobt im Bezirk eine heftige Auseinandersetzung, die am Montag um ein Kapitel reicher wurde.

Gerrymandering bezeichnet die Verschiebung von Wahlkreisgrenzen, um eigene Erfolgsaussichten zu verbessern. Genau das werfen Linke, SPD und CDU den Grünen vor, die im Bezirk ihre Hochburg haben. Das grün geführte Bezirksamt hatte im August gegen die Stimmen der drei Parteien einen von den Grünen entworfenen Wahlkreiszuschnitt beschlossen, der von den vom Wahlamt erarbeiteten Vorschlägen erheblich abweicht.

Am Montag kam dann aber die überraschende Wende: Erst lehnten die Fraktionen der Linken, SPD und CDU in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) den Bezirksamtsvorschlag geschlossen ab, dann beschlossen sie einen von zwei Vorschlägen des Wahlamts, der sich an vergangenen Wahlkreisen orientiert. Während im Bezirksamt die Grünen durch die doppelte Gewichtung der Stimme der Bezirksbürgermeisterin eine Mehrheit herstellen können, sind sie in der BVV einem Zusammenschluss von Linke, SPD und CDU zahlenmäßig unterlegen.

Die Linke übt heftige Kritik am Konzept der Grünen. Dieses sieht vor, dem Wahlkreis vier ein großes Stück Kreuzberg zuzuschlagen, von der Spree, nördlich der Skalitzer Straße bis zum Kottbusser Tor. Zuletzt lag der Wahlkreis komplett in Friedrichshain. Bei der letzten Abgeordnetenhauswahl war er der einzige im Bezirk, der nicht von den Grünen, sondern von der Linken mit Damiano Valgolio gewonnen wurde. Der Vorwurf: Die Grünen wollen dem Wahlkreis Gebiete zuschlagen, die traditionell einen hohen Anteil Grünen-Wähler haben und so verhindern, dass die Linke den Wahlkreis erneut gewinnt. »Dabei wurden alle Kiezgrenzen, an denen man sich bisher orientiert hat, missachtet. Kieze werden willkürlich zusammengefügt«, so Valgolio. Dass das so »offensichtlich und schamlos« gemacht werde, sei bisher noch nie vorgekommen.

»Die Grünen haben eine Hegemonie im Bezirk und denken, sie könnten machen was sie wollen.«

René Pérez-Domínguez
Linke-Fraktion Friedrichshain-Kreuzberg

Der zweite Kritikpunkt: Der Kreuzberger Norden werde durch den Vorschlag der Grünen in drei Teile geteilt. Dort, nördlich des Landwehrkanals, wohnen verhältnismäßig viele arme Menschen. Durch die Aufteilung dieses Teils des Bezirks würden diese Kreuzberger ihrer Stimme beraubt, sagt der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bezirk, René Pérez-Domínguez zu »nd«.

Auch das Vorgehen der Grünen stößt bei der Linken auf wenig Gegenliebe. »Die Grünen haben eine Hegemonie im Bezirk und denken, sie könnten machen, was sie wollen«, sagt Pérez-Domínguez. Dem habe man mit dem BVV-Beschluss einen Riegel vorgeschoben. »Normalerweise wird immer ein Kompromiss zwischen allen Parteien gefunden«, sagt Valgolio. Das sei erstmals aufgekündigt worden. »Das Vorgehen ist so schlimm, weil es wenig Respekt vor demokratischen Vorgängen und vor den Menschen, die im Bezirk wohnen, zeigt.« Die von den Grünen beabsichtigte radikale Veränderung der Wahlkreise führe auch dazu, dass die Wähler*innen die Arbeit ihrer Abgeordneten nicht mehr überprüfen könnten, so Valgolio weiter. »Dann fehlen demokratische Rückkopplung und Kontrolle.«

»Den Vorwurf, wir würden Gerrymandering betreiben, weisen wir entschieden zurück«, sagt Milan Bachmann vom Geschäftsführenden Ausschuss, vergleichbar mit einem Kreisvorstand, der Grünen im Bezirk. Die Vorschläge des Wahlamts hätten erhebliche Unterschiede bei der Anzahl an Wahlberechtigten in den Wahlkreisen gehabt. Das habe man mit dem eigenen Vorschlag korrigiert. »Wir haben vor allem darauf geachtet, Kieze zu berücksichtigen und die Wahlkreisgröße gerecht zu gestalten«, so Bachmann weiter.

Auch den Vorwurf, mit dem Wahlkreis vier die Linke zu benachteiligen, weist er zurück. »Wenn man sich Wahlergebnisse der Bundestagswahl anschaut, wäre es mitnichten so, dass wir diesen Wahlkreis gewinnen würden«, so der Grünen-Politiker. Vielmehr wolle man die Trennung zwischen Ost und West, die es leider immer noch gebe, auf diesem Wege zumindest auf der Verwaltungsebene etwas überwinden. »Uns ist es wichtig, diese Grenzen weiter abzubauen.«

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Auch die Aufteilung des Kreuzberger Nordens sieht Bachmann gut begründet. »Vom Gleisdreieck bis zur Spree ein Wahlkreis – das würde kiezmäßig keinen Sinn machen.« Insbesondere Friedrichshain-Kreuzberg zeichne sich dadurch aus, dass wohlhabendere und ärmere Menschen in einem Kiez wohnen. »Diese Mischung soll sich auch in den Wahlkreisen zeigen.«

Man habe intensiv mit der SPD und der Linken verhandelt, so Bachmann weiter. Aber vor allem die Forderung der Linken, den Wahlkreis vier komplett in Friedrichshain zu belassen, hätte eine zahlenmäßig gerechte Aufteilung unmöglich gemacht, welche ebenfalls die Kiezstrukturen berücksichtige.

Ob das Bezirksamt dem nicht bindenden Entschluss der BVV folgt, ist unklar. Der nächste mögliche Schritt im Kampf um den Zuschnitt wäre, dass der Bezirk die Bezirksaufsicht einschaltet. Bachmann sagt, derzeit gebe es eine Entscheidung des zuständigen Bezirksamts und eine andere Entscheidung der BVV. Daher müsse geklärt werden, was nun gelte. Um die politische Frage wird es dabei aber nicht gehen. »Die Bezirksaufsicht schaut sich aber den Zuschnitt gar nicht an, sondern überprüft nur, ob der Vorgang formal korrekt abgelaufen ist«, sagt Linke-Politiker Pérez-Domínguez. Ob die Bezirksaufsicht eingeschaltet wird, ist noch nicht klar. Das Bezirksamt beantwortete eine nd-Anfrage nicht innerhalb einer gesetzten Frist. »Alle Mitglieder des Bezirksamts wären gut beraten, den Beschluss der BVV zu akzeptieren«, sagt Damiano Valgolio.

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