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Keine Entscheidung bei »Rigaer94«-Prozess
Eine Briefkastenfirma will die Bewohner des linksradikalen Hausprojekts in Berlin-Friedrichshain loswerden.
Ein Polizist betreibt Mikromanagement. Vor dem Landgericht in der Listenstraße darf am Mittwoch zwar demonstriert werden, aber ein Banner über ein Absperrgitter halten, das geht nicht. Rund 50 Demonstrant*innen haben sich im Schatten der Ruine der Franziskaner-Klosterkirche versammelt. Knapp zwei Dutzend Polizist*innen, darunter mehrere Beamte des Staatsschutzes, beobachten sie. Sie protestieren wegen Räumungsklagen gegen das linksradikale Hausprojekt »Rigaer94« in Friedrichshain.
»Die Häuser denen, die drin wohnen«, ruft die Menge zwischen verschiedenen Redebeiträgen. Vor Gericht geht es um sechs Klagen, mit denen die Bewohner*innen aus dem Vorderhaus des Gebäudes herausgeklagt werden sollen. Die Eigentümergesellschaft, eine Briefkastenfirma mit Sitz in Großbritannien, verlangt, dass die Menschen das Haus räumen. Entsprechende Klagen hat das Amtsgericht Kreuzberg als unzulässig abgewiesen. Der Hauseigentümer hat dagegen Berufung eingelegt. Darum befasst sich nun die nächste Instanz mit den Fällen.
Eine Entscheidung wird es in der Sache aber so schnell nicht geben. Das machte das Landgericht Berlin zum Auftakt der mündlichen Verhandlung deutlich. Dem Gericht liegen zwölf Berufungsverfahren vor. Über sie soll in weiteren Verhandlungen am 17. und 24. September beraten werden. Seine Entscheidungen dazu wird das Gericht erst im Anschluss treffen, wie der Vorsitzende Richter sagte. Derzeit seien die Fälle nicht »entscheidungsreif«.
Das Amtsgericht Kreuzberg hat alle vorliegenden Räumungsklagen des Hauseigentümers aus formalen Gründen als unzulässig abgewiesen, wie der Richter sagte. Demnach verfügt die Klägerseite nicht über die Legitimation, eine Räumung anzustreben. Zu einer inhaltlichen Prüfung möglicher Ansprüche der britischen Gesellschaft ist es deswegen nicht gekommen.
Nach bisheriger Beratung teile die Kammer diese Auffassung, sagte der Vorsitzende Richter. Würde die Kammer bei dieser Auffassung bleiben, widerspräche sie einem Urteil der nächsthöheren Instanz, des Berliner Kammergerichts. Dieses hatte im Sommer 2024 entschieden, die Gesellschaft habe ihren Verwaltungssitz in England und sei deswegen handlungs- und prozessbefugt.
Von der Klärung der juristischen Fragen rund um die »Rigaer94« erwarten die Demonstrant*innen draußen wenig. »Wir glauben nicht, dass Gerichte für unsere Interessen entscheiden«, sagt eine Rednerin. Man sehe immer wieder, dass vor Gericht keine Gerechtigkeit zähle, sondern lediglich Geld und Prestige. »Vor Gericht wird entschieden, ob Menschen für Profitinteressen auf die Straße gesetzt werden«, so die Rednerin weiter.
Eine Rednerin aus dem Neuköllner Hausprojekt »H48« berichtet von so einem Fall. Während die Bewohner*innen, Wohngemeinschaft für Wohngemeinschaft, mit zahlreichen Räumungsklagen überzogen wurden, hatte die Hausgemeinschaft vergeblich versucht, dem Eigentümer das Haus abzukaufen. Aber auf dem völlig eskalierten Berliner Immobilienmarkt waren zwölf Millionen Euro, die die Hausgemeinschaft aufgebracht hatte, nicht genug. Sie stellt sich die Frage, ob das die richtige Strategie war: »Wäre die Sache anders gelaufen, wenn wir nicht versucht hätten zu verhandeln, sondern eine Besetzung organisiert hätten und wie die ›Rigaer94‹ nicht auf Verträge, sondern auf Druck gesetzt hätten?« Das scheine die Sprache zu sein, die Hausbesitzer und Immobilienhaie sprächen.
Anders als in manchen Zeitungberichten kolportiert wird, ist die Solidarität mit der »Rigaer94« breit. Von zahlreichen linksradikalen Gruppen, wie etwa der Migrantifa Berlin, bis hin zu Teilen von Die Linke und den Grünen finden sich Solidaritätsbekundungen im Netz. Und auch auf der Kundgebung kommen Solidaritätsnoten von zahlreichen weiteren Gruppen.
Parallel zu den Klagen gegen einzelne Bewohner*innen läuft ein Verfahren gegen die Kneipe »Kadterschmiede«. Die Betreiber, die sich als Verein organisiert haben, nutzen Räume im Seitenflügel des Komplexes seit Ende 2013 ohne Mietvertrag. Die Gesellschaft hat mehrfach erfolglos versucht, dagegen vorzugehen. Am 17. September soll über eine erneute Klage in erster Instanz von anderen Richtern am Landgericht verhandelt werden. mit dpa
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