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Alexanderplatz in Berlin: Unterstützung statt Vertreibung
Das Bündnis gegen Obdachlosigkeit protestiert gegen die Umbaupläne am Bahnhof Alexanderplatz
»Im Bahnhofsgebäude am Alex war ich nicht so oft – und wenn, dann nur nachts, um aufs Klo zu gehen«, sagt Janina zu »nd«. Ihren Nachnamen möchte die bis vor Kurzem wohnungslos gewesene Frau nicht in der Zeitung lesen. Dem Bahnhof Alexanderplatz konnte Janina nie viel abgewinnen, weil es dort kaum Sitzmöglichkeiten gebe. Nun plant die Deutsche Bahn, den Bahnhof umzubauen und »Aufenthaltsmöglichkeiten für Nichtreisende, wie zum Beispiel Wohnungslose«, zu reduzieren – so seht es in der Plangenehmigung des Eisenbahnbundesamts für das Vorhaben. Aus dieser geht auch hervor, dass Flächen im Untergeschoss des Bahnhofs für die Öffentlichkeit gesperrt werden sollen, unter anderem um »Störungen durch sich nicht sozialadäquat verhaltende Nichtreisende« zu verringern.
Die Vertreibung von wohnungslosen Menschen aus Bahnhöfen kritisiert Janina scharf. »Sobald du einmal das Stigma hast, so aussiehst oder vielleicht mal nicht so gut riechst, wirst du überall rausgeschmissen.« Sie selbst habe es in ihrer Zeit ohne Wohnung geschafft, sich so unauffällig zu verhalten, dass ihr so etwas nie passierte. Aber sie hat es auch geschafft, nach zwei Jahren eine Wohnung zu finden – andere hätten weniger Glück, sagt sie. Die Aktivistin ist unter anderem beim »Frauen*salon« der Wohnungslosenstiftung aktiv, einer Plattform, die Vernetzung, Austausch und gegenseitige Hilfe zwischen wohnungslosen Frauen ermöglicht.
Janina kann nachvollziehen, dass Menschen vor die Tür gesetzt werden, die sich stark daneben benehmen – auf dem Bahngleis rauchen, Alkohol trinken und pinkeln, zum Beispiel. Aber das dürfe man nicht verallgemeinern. »Wenn sich jemand normal verhält, auch wenn man es sieht, dass der Mensch wohnungslos ist – ich verstehe nicht, warum diese Menschen vertrieben werden«, sagt sie. Außerdem würden aus ihrer Sicht potenzielle Maßnahmen, um den Bahnhof für wohnungslose Menschen unangenehm zu gestalten, auch alle anderen Reisenden betreffen – weniger Sitzplätze etwa oder das Abspielen von lauter Musik. »Obdachlose und wohnungslose Menschen sind auch Menschen und wollen auch so behandelt werden«, sagt Janina.
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Gegen wohnungslosenfeindliche Maßnahmen am Alexanderplatz und die Verdrängung aus dem öffentlichen Raum protestiert das Bündnis gegen Obdachlosigkeit und Zwangsräumungen an diesem Donnerstag ab 18 Uhr unter dem Fernsehturm. »Es braucht am Bahnhof Anlaufstellen und direkte Hilfe für wohnungslose Menschen, anstatt sie wegzuschicken«, sagt Nicole Lindner vom Bündnis zu »nd«. Am besten wären rund um die Uhr geöffnete Aufenthaltsmöglichkeiten mit Beratungsangeboten, findet sie. Der Straßensozialarbeits-Verein Gangway startete bereits eine Petition für einen Tagestreff für obdachlose Menschen am Alexanderplatz. »Wir wollen soziale Lösungen finden«, sagt Lindner.
Die Deutsche Bahn habe auf eine Anfrage des Bündnisses mit Gesprächsbereitschaft reagiert, sagt Lindner. Ein Vertreter wolle sich im Oktober mit den Aktivist*innen treffen, um den Umbau am Alexanderplatz zu besprechen. Lindner hofft, dass auch Vertreter*innen des Berliner Senats an dem Gespräch teilnehmen werden. »Jetzt muss die Senatsverwaltung reagieren und sich dazu positionieren.«
Die Senatssozialverwaltung äußert sich auf Anfrage des »nd« nicht zu konkreten Umbauplänen am Bahnhof Alexanderplatz. Man stehe aber Vorhaben zur Verdrängung wohnungsloser Menschen sehr kritisch gegenüber. »In Großstädten sind Bahnhöfe faktisch auch Aufenthaltsorte für Menschen, die keine andere Bleibe haben. Auch für diese Menschen braucht es Räume in unserer Stadt. Verdrängung ist keine nachhaltige Sozialpolitik«, sagt Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) zu »nd«.
»Sobald du einmal das Stigma hast, so aussiehst oder vielleicht mal nicht so gut riechst, wirst du überall rausgeschmissen.«
Janina ehemals wohnungslos
Die Sozialverwaltung trete dafür ein, »dass wohnungs- und obdachlose Menschen nicht pauschal verdrängt werden, sondern dass es für sie passende Unterstützungsangebote gibt, wie etwa die mobile Straßensozialarbeit«, teilt die Pressestelle mit. Ob Vertreter*innen an einem Gespräch mit der Deutschen Bahn und dem Bündnis gegen Obdachlosigkeit teilnehmen werden, wird offen gelassen. »Die Senatssozialverwaltung steht im regelmäßigen Austausch mit den relevanten Akteuren der Wohnungsnotfallhilfe und befürwortet einen konstruktiven Dialog auch mit der Deutschen Bahn«, heißt es vage.
Für einen etwaigen Tagestreff am Alexanderplatz wäre der Bezirk Mitte zuständig. Auf Anfrage des »nd« teilt die Pressestelle des Bezirksamts mit, dass ein solcher zwar vom Sozialamt befürwortet wird, allerdings weder eine passende Immobilie noch die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stünden. Schon 2020 sei die Notwendigkeit einer Tagesstätte festgestellt worden, seitdem würde »nach geeigneten und finanzierbaren Immobilien sowie anderen Lösungen gesucht«.
Der Bezirk Mitte verweist aber auch darauf, dass die »Bekämpfung von Obdachlosigkeit ganz Berlin betrifft« und eine »Finanzierung nur im gesamtstädtischen Kontext möglich ist«. Die Sozialverwaltung hatte auf nd-Anfrage bezüglich eines zukünftigen Tagestreffs auf die Zuständigkeit des Bezirks verwiesen. Bei Projekten von gesamtstädtischer Bedeutung liege der Schwerpunkt der Sozialverwaltung aufgrund der Sparmaßnahmen im Landeshaushalt auf bereits bestehenden Angeboten.
Die Deutsche Bahn bestätigt auf Anfrage des »nd«, dass ein Treffen mit dem Bündnis gegen Obdachlosigkeit und Zwangsräumungen geplant ist. »Es ist ein offener Austausch zum Thema Obdachlosigkeit an Bahnhöfen vorgesehen«, sagt ein Sprecher. Die geplanten Umbaumaßnahmen dienten vorrangig dem Brandschutz. Zur Reduktion von Aufenthaltsmöglichkeiten wohnungsloser Menschen, wie in der Plangenehmigung beschrieben, äußerte sich die Bahn nicht. Man wünsche sich aber einen stärkeren Dialog mit Bezirks- und Senatsverwaltungen, weil die Unterstützung von wohnungslosen Menschen kommunale Aufgabe sei – so auch die Einrichtung eines Tagestreffs oder von rund um die Uhr geöffneten Aufenthaltsmöglichkeiten.
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