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Anti-War-Café: Wladimir Putin in Dauerschleife
Überraschungen im 20 Jahre alten Antikriegscafé in Berlin-Mitte
Am Eingang des Anti-War-Cafés in der Berliner Rochstraße 3 wehen Fahnen mit dem Kopf des Revolutionärs Ernesto Che Guevara. Drin erklingen kubanische Rythmen des 1996 veröffentlichten Albums »Buena Vista Social Club«. Auf einem Plakat an der Wand ist Karl Liebknecht abgebildet, der während des Ersten Weltkriegs im Reichstag gegen die Kriegskredite stimmte und der ins Gefängnis gesperrt wurde, weil er ausrief: »Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!«
Von der Atmosphäre lassen sich drei Touristen aus Polen anlocken – Vater, Mutter und Tochter. Sie sind fasziniert von der Einrichtung. Der Vater strahlt übers ganze Gesicht und schwärmt, was für ein wirklich cooles Café das sei. Er bestellt zwei Glas Wein. Doch plötzlich stutzt er, als sein Blick auf einen Flachbildschirm fällt. Es läuft dort in Dauerschleife ein im russischen Fernsehen ausgestrahltes Interview mit Präsident Wladimir Putin.
Darauf angesprochen, bekennt der hinter dem Tresen stehende Heinrich Bücker, er sei ein Putin-Unterstützer. Der Pole reißt überrascht die Augen auf. Wie das denn? Putin habe doch die Ukraine überfallen und sei beinahe so böse wie Adolf Hitler. Ausgerechnet in einem mit Friedenssymbolen geschmückten Antikriegscafé einen Befürworter des russischen Präsidenten zu treffen, damit hat der Tourist nicht gerechnet. »Oh, das ist seltsam«, sagt er, schüttelt verständnislos den Kopf, bezahlt den Wein und geht grußlos.
So etwas komme immer wieder mal vor, erzählt Heiner Bücker. Doch aus seiner Sicht ist es kein Widerspruch, den Frieden zu lieben und Wladimir Putins Handlungsweise zu verstehen. Nach Überzeugung von Bücker führt Russland keinen Angriffskrieg, sondern wurde vom Westen provoziert und verteidigt sich in der Ukraine gegen ein weiteres Vorrücken der Nato auf seine Grenzen. Er habe auch schon mit ukrainischen Flüchtlingen gesprochen, die sein Café besuchten. Natürlich tun ihm die Menschen leid, die in diesem Krieg ihre Wohnungen oder Angehörige verloren haben, versichert Bücker. Er wolle nur nicht, dass Waffen geliefert oder am Ende gar Bundeswehrsoldaten in die Ukraine geschickt werden.
Für eine Rede, die Bücker am 22. Juni 2022 gehalten hat, fand er sich danach im April 2023 vor dem Amtsgericht und im Februar 2024 vor dem Landgericht wieder. Der 22. Juni 2022 war der 71. Jahrestag des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion. Am Ehrenmal im Treptower Park trat Bücker bei einer kleinen Kundgebung der Berliner Friedenskoordination auf. Er soll dabei exakt vier Monate nach dem Vordringen russischer Truppen in die Ukraine deren Angriffskrieg gebilligt haben.
Bückers Rede sei eine Ermutigung zu Angriffskriegen, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer vor dem Landgericht. Die Meinungsfreiheit habe Grenzen. Der Angeklagte hatte die Anschuldigung zurückgewiesen. »Meine Einstellung gegen den Krieg ist eindeutig. Ich bin gegen alle Kriege«, betonte Bücker. In seiner Rede im Juni 2022 hatte er erinnert, dass im Zweiten Weltkrieg 27 Millionen Sowjetbürger umgekommen seien, darunter 1,5 Millionen ukrainische Juden. Ukrainische Nationalisten wie der heutzutage als Nationalheld verehrte Stepan Bandera haben mit den Nazis gemeinsame Sache gemacht und Juden, Polen und pro-sowjetische Ukrainer ermordet. Solche Kräfte haben nach Bückers Überzeugung aktuell wieder Einfluss in der Ukraine. 2014 sei ein rechtsradikales Regime durch einen Putsch an die Macht gekommen. Mit solchen Kreisen sollte Deutschland nach den bitteren Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs nicht erneut kooperieren, argumentierte Bücker. Im Prozess führte er aus, dass er die Handlungsweise von Präsident Putin auch deshalb verstehen könne, weil die Nato, anders als 1990 versprochen, immer weiter an die russischen Grenzen herangerückt sei.
2022 war der im niedersächsischen Oldenburg geborene Bücker noch Mitglied der Linken. Ende 2023 ist er ausgetreten – enttäuscht darüber, von seinen Genossen im Gerichtsverfahren nicht unterstützt worden zu sein. Geholfen hat ihm stattdessen die Deutsche Kommunistische Partei (DKP). Doch der ist er nicht beigetreten, sondern parteilos geblieben.
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An vielen Stellen im Anti-War-Café ist die Losung zu lesen: »Frieden mit Russland! Raus aus der Nato!« 2005 hatte Bücker das Café in der Rochstraße mit seiner Frau und einem Geschäftspartner eröffnet. Seitdem dieser Geschäftspartner 2006 ausstieg, heiße es auch offiziell Anti-War-Café, berichtet Bücker. Gewinn habe er niemals damit gemacht, sondern im Gegenteil immer mehr Geld hineingesteckt. Er habe sich vorher durch Flohmarkthandel ein kleines Vermögen verdient und das Café sei seit 20 Jahren sein »Vollzeit-Hobby«.
Für eine Flasche Bier verlangt Bücker von seinen Gästen zwei Euro, für die teuerste Sorte auch bloß 2,50 Euro. Das ist extrem wenig in der so teuer gewordenen Berliner Innenstadt, zumal direkt hier im Dreieck von Alexanderplatz, Hackescher Markt und Rosa-Luxemburg-Platz. 3000 Euro Miete werden jeden Monat fällig für den sehr schmalen Raum im Erdgeschoss und für den darunter liegenden Keller, der für Veranstaltungen eingerichtet ist – zum Beispiel einen Auftritt der Kabarettistin Jane Zahn am 19. September um 19 Uhr. Dort unten steht eine Gitarre bereit und an der Wand hängt die Kopie einer Ausgabe der sowjetischen Tageszeitung »Prawda« vom 10. Mai 1945. Ein großes Bild von Josef Stalin ist auf der Titelseite zu sehen und daneben ein kleines vom britischen Premierminister Winston Churchill. Berichtet wird über die bedingungslose Kapitulation der Faschisten zwei Tage zuvor.
Ob das Anti-War-Café bestehen bleibt, stand zuletzt auf der Kippe. Der alte Mietvertrag lief aus und Bücker zögerte, einen neuen für fünf weitere Jahre abzuschließen. Denn seine finanziellen Reserven sind inzwischen aufgebraucht. Außerdem hat der mittlerweile 71-Jährige gesundheitliche Probleme. Nun ist eine Lösung gefunden: Ein zum 1. Juli eigens gegründeter Verein »Deutschland mit den Staaten des globalen Südens im Dialog« übernahm den Betrieb des Anti-War-Cafés. Der Verein zählt sieben Mitglieder, die nach Auskunft von Bücker politisch genauso ticken wie er selbst: »Gegen die Nato, für Palästina, nicht gegen die russische Regierung, nicht gegen die chinesische Regierung!«
Bücker selbst wurde zum Vereinsvorsitzenden gewählt. Er hat nun aber einen Stellvertreter und weitere Mitstreiter. Die Verantwortung ist auf mehr Schultern verteilt – und wenn der 71-Jährige morgen oder übermorgen nicht mehr könnte und aufhören müsste, so wäre dies nicht das Ende des Cafés. Drei Monatsmieten hat Bücker noch aus eigener Tasche im Voraus bezahlt, aber nun ist von seinen Ersparnissen nichts mehr übrig.
Der Verein bittet um Zuwendungen. In seinem im Café ausliegenden Spendenaufruf heißt es, das traditionsreiche Antikriegscafé solle künftig als offene Plattform für Veranstaltungen, Begegnungen und Diskussionen dienen – ein Raum für Austausch, Reflexion und gelebte Solidarität sein. Weiter heißt es: »Wenn Sie das Projekt finanziell unterstützen möchten, ohne sich direkt für eine regelmäßige Fördermitgliedschaft zu verpflichten, freuen wir uns sehr über eine einmalige Spende – möglichst zeitnah, damit wir verlässlich planen können.«
Zu den Stammgästen des Cafés gehört Rüdiger Deißler, Bezirksverordneter der Linken in Charlottenburg-Wilmersdorf. Er kannte diesen Ort schon, als er für einige Jahre aus Berlin weggezogen war. Nun ist er schon lange wieder da und hat einige Veranstaltungen im Anti-War-Café besucht. »Ich schätze die Atmosphäre, die Leute, die man trifft«, sagt er. »Und dass ich nicht zum Konsumieren angehalten werde, sondern mein Bier in Ruhe austrinken und danach auch gehen kann.«
Deißler ist bereits Rentner. Doch es sind auch junge Leute da, ein junger Brasilianer etwa, der aus einem kommunistischen Elternhaus stammt, in Deutschland studierte und in Berlin arbeitet. Im Veranstaltungskeller greift er sich die Gitarre und singt die alte sowjetische Hymne, die Wladimir Putin mit einem neuen Text als russische Hymne wieder einführte. Der Brasilianer versteht kein Wort Russisch und kann die kyrillischen Buchstaben nicht lesen. Er hat die Worte der Hymne nach ihrem Klang auswendig gelernt. Als Putin-Unterstützer sieht sich dieser junge Mann nicht. Er hat, was den Krieg in der Ukraine und die Verhältnisse in Russland betrifft, Fragen an beide Seiten.
Spenden für das Anti-War-Café auf das Konto von Heinrich Bücker, IBAN: DE23 1009 0000 7084 1690 00, Verwendungszweck: Deutschland mit den Staaten des globalen Südens im Dialog
»Meine Einstellung gegen den Krieg ist eindeutig. Ich bin gegen alle Kriege.«
Heiner Bücker Vereinsvorsitzender
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