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Friedensdemos am 3. Oktober: Der Protest formiert sich
In Berlin und Stuttgart finden am »Tag der Deutschen Einheit« Großdemonstrationen gegen Aufrüstung, Wehrpflicht und Kriege statt
Für die Friedensbewegung sind die für den »Tag der Deutschen Einheit« geplanten bundesweiten Demonstrationen in Berlin und Stuttgart schon ein Erfolg, bevor sie überhaupt begonnen haben. Denn auch wenn entgegen dem Motto »Nie wieder kriegstüchtig! Stehen wir auf für den Frieden« in Berlin weiter die »Zeitenwende« vorangetrieben wird, kehrt in die Bewegung selbst Frieden ein. Zumindest ein bisschen.
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Streit in der Friedensbewegung
Rückblende: Vor einem Jahr gingen wichtige Organisationen zur Friedensdemo am 3. Oktober auf Distanz; die Deutsche-Friedensgesellschaft Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), das Netzwerk Attac und Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) mobilisierten nicht zu dem großen Aufzug, unter anderem, da Russland in dem Aufruf nicht eindeutig als Aggressor gegen die Ukraine bezeichnet wurde. »Im vergangenen Jahr gab es einen sehr einseitigen Aufruf, in dem aus unserer Sicht nicht alle Kriegstreiber ausreichend kritisiert wurden«, erinnert sich Michael Schulze von Glaßer, politischer Geschäftsführer der DFG-VK. »Zudem war die Abgrenzung nach rechts ungenügend.«
»Im vergangenen Jahr gab es einen sehr einseitigen Aufruf, in dem aus unserer Sicht nicht alle Kriegstreiber ausreichend kritisiert wurden.«
Michael Schulze von Glaßer politischer Geschäftsführer der DFG-VK
So nutzte die DFG-VK den »Tag der deutschen Einheit« lieber für eine eigene Aktion: In der Nähe der russischen Botschaft legten sie mehrere Leichensäcke ab und sprühten den Schriftzug »Russland führt Angriffskrieg« auf ein Banner.
In diesem Jahr gehört die DFG-VK selbst zu den Aufrufenden für die Demonstrationen, die diesmal zeitgleich in Berlin und Stuttgart stattfinden sollen. Was hat sich also geändert?
Ein Hauch von Versöhnung
Nachdem unter anderem die DFG-VK im vergangenen Jahr eine undemokratische Organisation kritisiert hatte, gründete sich vor dem diesjährigen Protesttag ein Vorbereitungskreis aus der Initiative »Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder!« und einem weiteren Aktionsbündnis, an dem neben der DFG-VK auch die Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), das Netzwerk Friedenskooperative, Ohne Rüstung Leben, pax christi sowie Attac beteiligt waren. Dieser Arbeitskreis formulierte einen gemeinsamen Bündnisaufruf.
Sowohl die langjährige Friedensaktivistin Jutta Kausch-Henken aus dem »Nie wieder Krieg«-Bündnis als auch Schulze von Glaßer sprechen gegenüber »nd« von schwierigen Debatten, die schlussendlich zu einem Kompromiss geführt hätten, den die meisten Beteiligten tragen konnten.
Schulze von Glaßer betont zwar immer noch eine »gewisse Skepsis gegenüber den Demonstrationen«, findet aber, dass die Abgrenzung nach rechts in diesem Jahr deutlicher ist. Besonders wichtig sei der DFG-VK gewesen, dass die Forderung »Asyl für Menschen, die sich dem Krieg verweigern und von Krieg bedroht sind« im Aufruf enthalten ist.
Während der Bündnisaufruf einen »kleinsten gemeinsamen Nenner« abbilde, könnten einzelne Gruppierungen in eigenen Aufrufen ihre Positionen genauer formulieren, erklärt Kausch-Henken. Genau wie die DFG-VK mobilisiert auch das antimilitaristische Bündnis »Rheinmetall Entwaffnen« mit einem eigenen Aufruf zu den Demonstrationen. Gegenüber dem »nd« begrüßt das Bündnis, dass ein linksradikaler und antimilitaristischer Ausdruck auf der Demo dank eines eigenen antikapitalistischen Blocks möglich sein wird. In seinem Aufruf schreibt es: »Zum Antimilitarismus gehört für uns eine Kritik am kapitalistischen System und nationalen Lagerdenken, das in Teilen der Friedensbewegung gelegentlich – zum Beispiel in Form von Russlandfahnen – aufscheint.«
Mehr gewerkschaftliche Beteiligung
Geht es nach dem Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin soll auf der Demo in Berlin auch ein gewerkschaftlicher Block vertreten sein. Im Vergleich zu vergangenem Jahr stehen dieses Jahr mehr gewerkschaftliche Organisationen hinter dem Bündnisaufruf. So hat laut dem Forum etwa der Landesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin beschlossen, unter seinen Mitgliedern für die Friedensdemo zu werben. Das gilt auch für die Verdi-Bezirke Stuttgart und München, die mit einem gemeinsamen Aufruf zusammen mit dem Landesbezirk Baden-Württemberg zur Demo in Stuttgart mobilisieren.
»Die Gewerkschaften sind aktiver Teil der Friedensbewegung.«
Andreas Henke Pressesprecher Verdi-Landesverband Baden-Württemberg
Andreas Henke, Pressesprecher des baden-württembergischen Verdi-Landesbezirks macht für gewerkschaftliche Beteiligung vor allem die sich zuspitzende politische Lage verantwortlich: »Wir haben aufgerufen, weil wir der festen Überzeugung sind, dass der Weg, den unser Land gerade einschlägt, dringend eine Kurskorrektur braucht. Die Gewerkschaften waren und sind aktiver Teil der Friedensbewegung.« Dennoch habe es im Landesbezirk intensive Diskussionen über die Demonstration gegeben, »weil es auch in unserer Mitgliedschaft unterschiedliche Meinungen zu Krieg und Frieden gibt und weil wir nicht alles teilen, was andere Organisationen und Parteien im Bündnis vertreten«.
VVN-BdA und Attac distanzieren sich
Anderen geht das politische Spektrum jener, die zu den Friedensdemos aufrufen, auch in diesem Jahr zu weit: »Als Bundesvereinigung haben wir uns gegen eine Unterstützung der bundesweiten Friedensdemonstration am 3. Oktober entschieden«, heißt es von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes -
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) gegenüber dem »nd«. Diese stehe zwar klar an der Seite derer, die für Frieden auf die Straßen gehen. »Dabei braucht es jedoch eine klare Abgrenzung von Querdenker*innen und rechtsoffenen Akteur*innen, was für uns im Falle der Demonstrationen in Stuttgart und Berlin nicht gegeben ist.«
»Wir befürchten, dass der Tenor der beiden Kundgebungen dem Bündnisaufruf nicht entsprechend wird.«
Julia Elwing Koordinierungskreis Attac Deutschland
Ähnlich sieht es Attac Deutschland. Im Gespräch mit dem »nd« erklärt Julia Elwing aus dem Koordinierungskreis, die bundesweite Organisation würde den Aufruf zur Demo nicht unterstützen, da sich »teilweise rechtsoffene Gruppierungen« daran beteiligen würden. Gemeint sind damit wohl Teile des BSW, die Kleinpartei »Team Todenhöfer«, sowie einige verschwörungsideologische Akteure, die den Bündnisaufruf unterstützen.
Zwar habe eine Intervention von Attac einen Ausschluss der Partei »Die Basis« bewirkt, trotzdem sieht Elwing keine ausreichende Abgrenzung nach rechts. Darüber bemängelt die Attac-Aktivistin die ihren Angaben nach undurchsichtige Entstehung der Rednerliste: »Wir befürchten, dass der Tenor der beiden Kundgebungen dem Bündnisaufruf nicht entsprechend wird.«
Elwing betont aber auch, dass die Attac-Regionalgruppen weitestgehend selbstständig entscheiden, ob sie Aufrufe wie den zu den anstehenden Friedensdemonstrationen unterzeichnen. Unter den 475 Initiativen, Organisationen und Parteien, die bis Ende September erklärt haben, die Demonstration zu unterstützen, befinden sich elf Regionalgruppen von Attac und eine bundesweite Arbeitsgruppe der Organisation. Ähnlich verhält es sich bei der VVN-BdA, wo mit Stand vom 29. September 13 Regionalgruppen den Aufruf teilten.
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