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Über eine Million Wohnungslose

Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe: Zahl der Menschen ohne feste Unterkunft steigt erneut

Ohne Unterkunft auf der Straße zu leben, ist die extremste Form von Wohnungslosigkeit. 2024 betraf das in Deutschland rund 56 000 Menschen.
Ohne Unterkunft auf der Straße zu leben, ist die extremste Form von Wohnungslosigkeit. 2024 betraf das in Deutschland rund 56 000 Menschen.

Im Verlauf des Jahres 2024 waren 1 029 000 Menschen in Deutschland wohnungslos – insbesondere zugewanderte Menschen und Familien. Rund 56 000 lebten ohne Unterkunft auf der Straße, waren also obdachlos. Von 2023 zu 2024 ergibt sich daraus ein Anstieg von elf Prozent, warnt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W). Sie ist der bundesweite Zusammenschluss der Wohnungs- und Obdachlosenhilfen.

Im Vorjahr betrug der Zuwachs sogar 53 Prozent – das hing aber auch mit einer verbesserten Erfassung von Wohnungslosigkeit in Nordrhein-Westfalen zusammen. Die Gründe für die erneut steigenden Zahlen verortet die BAG W in der anhaltenden Zuwanderung und dem angespannten Wohnungsmarkt.

26 Prozent der Wohnungslosen waren demnach 2024 unter 18 Jahre alt, 61 Prozent Männer und 39 Prozent Frauen. Zuletzt stellte auch der Deutsche Mieterbund fest, dass vor allem junge Menschen, Familien und Ältere zunehmend in Wohnungsnot geraten.

80 Prozent der wohnungslosen Menschen hatten keine deutsche Staatsbürgerschaft, insbesondere die Zahl wohnungsloser Personen aus Ländern außerhalb der EU ist demzufolge gestiegen – um 14 Prozent. Das hängt damit zusammen, dass die Situation für Nichtdeutsche auf dem Wohnungs- sowie dem Arbeitsmarkt noch prekärer ist.

»Die Wohnungslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland hat einen Höchststand erreicht und ein Ende ist nicht in Sicht.«

Susanne Hahmann BAG W

»Besonders problematisch ist der Rückgang der Sozialwohnungen, der durch jährlich auslaufende Bindungen und einen unzureichenden Neubau weiter anhält«, analysiert die BAG W die Ursachen der Entwicklung. Die Sozialwohnungen seien gerade für Haushalte mit niedrigem Einkommen essenziell. »Fallen sie aus der Sozialbindung, sehen sich Mieter*innen häufig mit steigenden Mieten und in vielen Fällen sogar mit einem drohenden Wohnungsverlust konfrontiert.« Die häufigsten Auslöser für Wohnungslosigkeit seien Miet- und Energieschulden, Konflikte im Wohnumfeld, Trennungen, Scheidungen und Ortswechsel.

»Die Wohnungslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland hat einen Höchststand erreicht und ein Ende ist nicht in Sicht«, sagt Susanne Hahmann, Vorsitzende der BAG W. »Wenn Politik und Gesellschaft nicht entschieden gegensteuern, werden noch mehr Menschen ihr Zuhause verlieren.« Besondere Sorgen bereite der BAG W die derzeitige Debatte um die neue Grundsicherung, die in Kürze das Bürgergeld ersetzen soll. Die Sozialreform sieht derzeit schärfere Sanktionen bis zur Streichung der Bezüge und des Wohngeldes vor, sollten Beziehende Termine beim Jobcenter verpassen. Wohlfahrtsverbände befürchten dadurch weiter steigende Obdach- und Wohnungslosigkeitszahlen.

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Die Diakonie Sachsen kritisiert indes, dass bereits der Status quo bei den Jobcentern zu mehr Wohnungslosigkeit führt. Dem Wohlfahrtsverband geht es um die sogenannte Wohnkostenlücke: Die von Jobcentern anerkannten Mietobergrenzen liegen demzufolge oft unter den realen Mieten. »Viele Betroffene müssen die Differenz aus dem Regelsatz bezahlen. Dadurch bleibt weniger Geld für Lebensmittel, Kleidung oder Strom«, so Rotraud Kießling, Referentin für Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie Sachsen. »So entsteht eine Spirale, die Menschen schnell in Zahlungsrückstände und damit in Wohnungsnot bringt.«

Laut dem Wohlfahrtsverband lebten in Sachsen zum Stichtag dieses Jahres 6885 wohnungslose Menschen. Hinzu kommen rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung, die verdeckt wohnungslos und ohne feste Unterkunft leben. Auch bei den Zahlen der BAG W dürfte die Dunkelziffer noch höher sein. Ihre Daten basieren auf der Wohnungsnotfallberichterstattung. Sie erfasst institutionell untergebrachte Personen und wohnungslose Menschen, die in Fachberatungsstellen Hilfe suchen.

Die BAG W fordert, die neuen Zahlen dringend als Anstoß zum Handeln zu nehmen, den Bestand preiswerter Wohnungen auszuweiten, die Mietpreisentwicklung zu dämpfen und verbindliche Quoten für die Wohnraumversorgung akut gefährdeter wohnungsloser Haushalte zu schaffen.

Die Bundesregierung aus Union und SPD hatte bisher den »Bauturbo« sowie die Verlängerung der Mietpreisbremse beschlossen. Ersterer führt aber nicht per se zu mehr leistbarem Wohnraum, zweitere soll sicherstellen, dass Wohnungen nur zu einem Preis von bis zu zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete vergeben werden. In der Praxis beinhaltet die Mietpreisbremse allerdings viele Umgehungsmöglichkeiten wie Indexmieten oder Möblierungszuschläge.

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