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Ein Problem mit Geschichte

Eine aktuelle Studie untersucht die Kontinuität und Gegenwart rechten Denkens an deutschen Universitäten.

  • Lukas Geisler
  • Lesedauer: 7 Min.
Bekämpfung rechten Gedankenguts an Hochschulen, 68er-Edition: Rektoratsübergabe an der Universität Hamburg, 1967
Bekämpfung rechten Gedankenguts an Hochschulen, 68er-Edition: Rektoratsübergabe an der Universität Hamburg, 1967

Ob in den USA, in Ungarn, Russland oder der Türkei – die politische Rechte hat die Universitäten weltweit längst als zentrales Kampffeld auserkoren. Auch in der Bundesrepublik geraten zunehmend bestimmte wissenschaftliche Disziplinen, insbesondere Gender und Postcolonial Studies sowie die Klimaforschung ins Fadenkreuz rechter Kampagnen, ebenso wie einzelne als vermeintlich »woke« oder »links« deklarierte Wissenschaftler*innen. Denn öffentliche Hochschulen und Universitäten sind sowohl Orte der Wissensproduktion als auch der Auseinandersetzung darüber, was als gültiges Wissen gilt. Aber sie sind auch Stationen der Sozialisation und Ausbildung von jungen Menschen. Es ist strategisch naheliegend, dass die politische Rechte sie als Terrain der Auseinandersetzung um gesellschaftliche Hegemonie ausmacht.

Eine von der Otto-Brenner-Stiftung in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel »Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Hochschulen« widmet sich nun der Frage, wie rechtes Denken an deutschen Hochschulen wirkt. Neben der Analyse der Kontinuitäten nimmt die Studie in ihrem empirischen Teil eine Betroffenenperspektive ein. Lukas Otterspeer und Christoph Haker, die die Studie durchgeführt haben, befragten Studierende und Beschäftigte nach ihren Erfahrungen mit rechten Provokationen, Anfeindungen und Einschüchterungsversuchen und verbinden diese mit Schlaglichtern auf Handlungsmöglichkeiten. Gleichzeitig bleibt die Studie jedoch weitgehend auf der Ebene der Beschreibung stehen: Strukturelle Bedingungen und politische Verschiebungen, die die aktuellen gesellschaftlichen Faschisierungsprozesse und deren Einfluss an den Hochschulen begünstigen, werden unzureichend analytisch durchdrungen.

Antidemokratische Kontinuitäten

Ziel der Untersuchung ist es, die bislang weitgehend getrennten Felder der Wissenschafts- und Hochschulforschung einerseits sowie der Rechtsextremismusforschung andererseits miteinander zu verbinden. Das Begriffspaar »wissenschaftsbezogener Rechtspopulismus/-extremismus« soll als ein analytisches Instrument dienen, um spezifische Angriffe auf Wissenschaft und kritische Forschung als eigenständiges politisches Phänomen zu fassen. Damit wird der Versuch unternommen, die ideologischen, organisatorischen und diskursiven Strategien der politischen Rechten im Hochschulkontext systematisch zu erfassen.

Zunächst analysieren die Autoren die Geschichte der politischen Rechten an und mit den deutschen Universitäten, den Forschungsstand sowie mögliche Szenarien, wie sich der Einfluss der politischen rechten auf Wissenschaften zukünftig entfalten könnte. Dabei zeigen sie, dass die deutschen Hochschulen traditionell selbst von antidemokratischen Tendenzen durchdrungen waren, die sich auch nach dem Ende des Nationalsozialismus fortschrieben.

Bis heute liegen nahezu keine umfassenden Studien zum rechten Denken von Professor*innen nach 1945 vor.

Das gelte sowohl für die Studierendenschaft als auch für den Lehrkörper, bestehend aus (historisch ausschließlich bzw. mehrheitlich männlichen) Professoren, Privatdozenten und Dozierenden. Entsprechend zeichnen die Autoren eine lange Geschichte rechten Denkens an Universitäten nach, die in ihrer Materialfülle ein wichtiges Reservoir für zukünftige Forschung darstellt. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Verstrickungen der deutschen Wissenschaft in den Nationalsozialismus setzte, wie Haker und Otterspeer zeigen, erst in den 1980er Jahren ein.

Während bis heute nahezu keine umfassenden Studien zum rechten Denken von Professor*innen nach 1945 vorliegen, knüpfte die bereits 1961 erschienene Studie »Student und Politik« des Instituts für Sozialforschung (IfS) an frühere sozialwissenschaftliche Forschungen des Instituts in den USA an. Unter der Leitung von Jürgen Habermas wurden hier die politischen Einstellungen von Studierenden in der frühen Bundesrepublik analysiert. Eine Fortführung fand diese Forschung in der Studie »Demokratisches Selbstverständnis und die Herausforderung von rechts. Student und Politik in den Neunzigerjahren« von Alex Demirović, die ebenfalls am IfS in den 1990er Jahren entstand. Im Anschluss an die ältere Kritische Theorie sowie an die damals neue Rassismusdiskussion untersuchte Demirović die sogenannte Neue Rechte sowie das Vorhandensein ihrer Ideologeme unter Studierenden in Hessen. Damals, so das Ergebnis, gelang es der Neuen Rechten nicht, sich zu intellektualisieren und dauerhaft an den Universitäten Fuß zu fassen – auch wenn bei gut 30 Prozent der Studierenden antidemokratisches Gedankengut festgestellt werden konnte.

Grenzen der Betroffenenzentrierung

Otterspeer und Haker führen diese zwei Beispiele auch in ihrer umfangreichen Literaturrecherche auf. Allerdings besteht ein zentraler Unterschied zwischen der Frankfurter Theoriebildung und der heutigen Rechtsextremismusforschung im Allgemeinen wie auch gegenüber der Studie von Otterspeer und Hacker: Erstere begreift Rassismus, Antisemitismus und andere Ideologeme der politischen Rechten als gesellschaftliche Verhältnisse. Demgegenüber sehen die Autoren der Otto-Brenner-Studie die einzelnen Ideologeme nicht in ihrer spezifischen historischen Artikulation, sondern operieren – in Anschluss an Wilhelm Heitmeyer, einem der frühesten Vertreter der Rechtsextremismusforschung seit den 1980er Jahren – mit dem Konzept des »Syndroms der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit«. Dieser Zugang in der Tradition des Fremdenfeindlichkeitstheorems verdeckt die Spezifik und Unterschiede rechter Ideologeme. Antifeminismus, Rassismus oder Antisemitismus folgen durchaus verschiedenen Logiken, haben sich historisch veränderbar gezeigt und müssen folglich auch unterschiedlich bekämpft werden. Dies spiegelt sich auch im empirischen Teil der Studie wider.

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Otterspeer und Haker führten qualitative Interviews mit »vier Student*innen, drei wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, vier Professorinnen sowie einer*einem Antidiskriminierungsbeauftragten«. Gefragt wurde dabei: »Wie nehmen Betroffene Rechtspopulismus und Rechtsextremismus an Hochschulen wahr? Welche Umgangsweisen entwickeln sie, und welche Kontextbedingungen beeinflussen ihr Handeln?« Es bestehe oft ein Widerspruch darin, dass rechte Akteur*innen Wissenschaftlichkeit für ihre Wissenschaftsfeindlichkeit in Anspruch nehmen. Die Befragten zeigten sich verunsichert, wie sie mit rechten Akteur*innen umgehen könnten und fühlen sich dabei auf sich selbst zurückgeworfen. Deshalb plädieren Otterspeer und Haker letztlich für Umgangsweisen, die auf die Wiederherstellung von Sprachfähigkeit und Solidarität abzielen. Zentral sei dabei die »Diversifizierung von Hochschulen« – also die Öffnung institutioneller Strukturen, Perspektiven und Verfahren –, um die Vereinzelung Betroffener zu überwinden.

Doch lassen sich rechte Ideologeme nicht auf interpersonale Situationen reduzieren. Das gesellschaftliche Problem der Faschisierung ist nicht allein auf der individuellen oder universitären Ebene lösbar – also nicht durch den »besseren« Umgang mit rechten Hochschulangehörigen. Genau hier stößt die Perspektive des »wissenschaftsbezogenen Rechtspopulismus/-extremismus« an ihre Grenzen: Sie konzentriert sich stark auf Wahrnehmungen, Umgangsweisen und institutionelle Politiken, ohne die gesamtgesellschaftlichen Machtverhältnisse, politischen Konjunkturen und ideologischen Kontinuitäten, die diese Dynamiken begünstigen, systematisch mit der empirischen Arbeit zu verbinden.

Fischen im Trüben

Besonders deutlich wird die Verkürzung daran, dass in den historischen Ausführungen von Otterspeer und Haker der Begriff »Rechtsextremismus« nicht auftaucht, obwohl er ansonsten prägend für die Studie ist. Dies zeigt, dass der von Verfassungsschutzbehörden eingeführte Begriff, die ihn seit 1974 nutzen, nur durch eine Rückprojektion operationalisiert werden kann, wodurch qualitative Forschung an ihre methodischen Grenzen stößt. So wäre etwa die Frage zu beantworten, ob Hitler ein »Rechtsextremer« war. Über diese wurde am Institut für Sozialforschung bereits in den 1990er Jahren diskutiert wurde. Plausibilisiert werden kann dies nur, wenn die Maßstäbe des heutigen Grundgesetzes auf die Vergangenheit angewendet werden. So verschwimmt allerdings die Spezifik der Analyse – sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart.

Um solche Fragen zu bearbeiten, wären – angefangen beim Begriffspaar »Rechtspopulismus/-extremismus« – andere Begriffe und eine deutlich bessere finanzielle Ausstattung der Forschung notwendig. Andernfalls bleibt die Analyse ein Fischen im Trüben. Wie dringend eine kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung ist, zeigt erneut der internationale Vergleich. Es ist durchaus plausibel anzunehmen, dass uns die Auseinandersetzungen mit faschistischen Kräften auf dem Terrain der Hochschulen in den nächsten Jahren auch in der Bundesrepublik verstärkt begleiten werden.

Gegen solche Verallgemeinerungen müsste eine kritische Wissenschafts- und Hochschulforschung die Ideologeme und ihre Verbreitung unter Hochschulangehörigen als gesellschaftliche Verhältnisse ernst nehmen und sie dabei nicht als monolithische, unveränderbare Einheit fassen, wie es der Begriff »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« suggeriert.

Wichtig wäre daher zu untersuchen, wie sich diese Ideologeme in der gegenwärtigen Konjunktur artikulieren und welche – und aus welchem Grund – wirkmächtig unter Hochschulangehörigen sind. Dafür bräuchte es jedoch keine ausschließlich betroffenenzentrierte Forschung, sondern eine groß angelegte Studie, die alle Hochschulangehörigen einbezieht und insbesondere das Problem des Konformismus ernstnimmt. Wieso verfangen antidemokratische Tendenzen? Welche tatsächlichen oder vermeintlichen Vorteile versprechen sich gut ausgebildete oder sich in Ausbildung befindende Menschen davon?

Christoph Haker und Lukas Otterspeer: Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Hochschulen. Otto-Brenner-Stiftung, 140 S., online verfügbar.

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