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Nur das Wort soll Waffe sein

Ein Symposium in Köln hinterfragte die Rolle von Kunst, Film und Medien im kolumbianischen Konflikt

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Den Stoff, den er auf die Leinwand bringt, findet Victor Gaviria in den Geschichten, die ihm auf den Straßen Medellíns erzählt werden. Kino von unten, aus der Perspektive der einfachen Menschen aus den einzelnen Stadtvierteln, ist sein Steckenpferd. Ein Kino, wie es Kolumbien im Kontext des Friedensprozesses braucht: »Jetzt ist die Zeit, über das, was geschehen ist, zu sprechen. Jeder und jede sollte reden«, sagt der Filmemacher, der 1979 mit der Arbeit für seinen ersten Film begann. Seine Filme dreht Gaviria mit Laiendarstellern meist an Originalschauplätzen. Der letzte hieß »La Mujer del Animal« (Die Frau des Tieres) und ist die erschütternde Erzählung einer wahren Geschichte aus einem Armenviertel in Medellín.

Dort wurde Mitte der 1980er Jahre ein Mann beerdigt, den alle nur »das Tier« nannten, weil er keine Skrupel hatte, Menschen zu überfallen, auszurauben, zu ermorden und zu vergewaltigen. Die Leute hatten Angst vor ihm und seiner Brutalität, sodass auch niemand einschritt, als er zwei Frauen vergewaltigte, sie faktisch versklavte und brutal zwang, sich ihm komplett zu unterwerfen. »Diese Passivität der kolumbianischen Gesellschaft habe ich versucht einzufangen«, erklärt Gaviria seine Perspektive. Der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, sie mit der eigenen Untätigkeit zu konfrontieren, das ist der Ansatz des Regisseurs.

Dieser Ansatz sei wichtig im postkolonialen Kolumbien, meint auch Patricia Ariza. Die Dramaturgin und Theaterregisseurin nahm in der vergangenen Woche mit zahlreichen anderen kolumbianischen Gästen am Symposium »Postkonflikt - zur Rolle der Künstler, Filmemacher und der Medien im kolumbianischen Konflikt« an der Kölner Kunsthochschule für Medien in Köln teil. Ariza weiß genau, wovon sie spricht. Als die FARC-Guerilleros und -Guerilleras ihre Waffen abgaben, fuhr sie in eines der Lager, in denen sie auf die Reinte᠆gration in die Zivilgesellschaft vorbereitet werden sollen, und lud dreißig von ihnen zum Theaterspielen ein. Herausgekommen ist das Stück »Memoria« (Erinnerung), das im Rahmen des Theaterfestivals »Frauen inszenieren für den Frieden« in Bogotá zur Premiere kam. »Die Guerilleras haben gelernt, das Wort als alleinige Waffe zu benutzen«, sagt Ariza. »Das ist ein eklatanter Fortschritt. In ›Memoria‹ sprechen die Frauen über ihre Hoffnungen und Träume in einem friedlichen Kolumbien.«

Es sind solche Geschichten, die Kolumbien braucht. Denn es ist zwar hinlänglich bekannt, wie Regierung und Militär die Situation beurteilen, die Guerilleros und Guerilleras aber kommen in aller Regel nicht zu Wort. Deshalb wollen Ariza und Carlos Satizabal, Professor für Lyrik, Literatur und Dramaturgie an der Nationaluniversität Bogotá, die Regierung überzeugen, mehr in eine Kultur des Friedens zu investieren.

»Wir brauchen eine literarische, eine poetische und dramaturgische Erinnerung«, sagt Satizabal. »Film, Theater, Literatur, Poesie und Musik müssen die unterschiedlichen Aspekte dieses Konflikts beleuchten. Er muss für die Bevölkerung erfahrbar werden - mit all seinen Facetten.« Der 58-jährige stämmige Mann mit dem grau melierten Haarschopf unter der Schiebermütze bot einen Literatur-Workshop in einem der FARC-Sammellager an. 80 ehemalige FARC-Rebellen brachten dort jeweils ein emotional einschneidendes Erlebnis zu Papier. Diese kurzen Geschichten werden demnächst als Buch im Verlag der Nationaluniversität erscheinen und sind eigentlich dazu angetan, größere Verbreitung zu finden, so Satizabal. »Doch diese kulturelle Friedensarbeit ist im Friedensvertrag zwischen FARC und Regierung gar nicht vorgesehen. Es gibt keinen Etat dafür. Bisher haben zwar recht viele Künstler den Weg in die Camps gefunden, aber alle auf eigene Rechnung«, erklärt der Professor ein Grundproblem.

Satizabal ist einer der Kritiker des neuerlichen Anstiegs des Militäretats und der parallel dazu erfolgenden Etatreduzierung vieler anderer Ressorts, darunter das Kulturministerium. In einer Phase des Postkonflikts sei das kaum nachzuvollziehen, sagt Satizabal. Die kolumbianische Gesellschaft habe ein Recht, die Geschichten der Guerilla zu hören, aber auch die der Bauern, die von allen Seiten verdächtigt wurden, mit der jeweils anderen Seite zu paktieren, sowie die der Frauen. Daran sei jedoch, trotz erheblicher internationaler Mittel für die Finanzierung des Friedensprozesses, schlicht nicht gedacht worden. Um das zu ändern, haben Ariza und Satizabal nicht nur im Kulturministerium, sondern auch beim Vizepräsidenten vorgesprochen. Bisher warten sie noch auf eine Antwort.

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