Kabul: Mehr zivile Opfer

Taliban bedrohen Wahlen

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.

Kein Stein werde auf dem anderen bleiben, drohte Taliban-Sprecher Sabihulla Mudschahid am Montag in einer auf Englisch verfassten Erklärung zu den Parlamentswahlen in Afghanistan am 20. Oktober. Die Radikalislamisten wollen vor allem mit verstärkten Angriffen auf Sicherheitskräfte den Ablauf stören. So wie bei den Gefechten am Wochenende, als sie u.a. in der Provinz Wardak ein Gebäude der Lokalregierung sowie ein benachbartes Polizeigebäude in Brand gesetzt und mindestens 28 Menschen getötet haben. Es steht zu befürchten, dass bei den nun angekündigten Attacken auch wieder viele unschuldige Zivilisten sterben werden.

Mindestens 1065 Todesopfer

Schon in den vergangenen Monaten hatten die Taliban Angriffe auf Regierungsgebäude, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen sowie auf Militärbasen verstärkt, um ihr Herrschaftsgebiet auszuweiten. Die Folge: Die Zahl der verletzten oder ermordeten Zivilisten stieg auf ein Rekordhoch, wie aus dem jüngsten Report der UN-Unterstützungsmission für Afghanistan (Unama) hervorgeht. Von Januar bis Ende September seien mindestens 1065 durch Selbstmordattentäter, Autobomben oder versteckte Sprengsätze getötet und weitere 2569 verletzt worden.

Die UNO spricht von einem »extremen Niveau« und beklagt »schwere Verletzungen des internationalen humanitären Rechts« in dem Bürgerkriegsland. Doch die Bundesregierung ignoriert das bei ihrer Abschiebepraxis. Laut Unama soll für 52 Prozent der Opfer die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verantwortlich sein, 40 Prozent gingen auf das Konto der radikalislamischen Talibankämpfer. Rund die Hälfte kam bei Anschlägen ums Leben, die gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichtet gewesen seien. Dazu gehören etwa Hebammenschülerinnen, Studenten, die sich auf ihr Universitätseintrittsexamen vorbereiteten, Cricket-Spieler oder Moschee-Besucher, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

Leben in ständiger Angst

Die meisten Opfer wurden in der Provinz Kabul gezählt, wo in der Hauptstadt und Umgebung seit Januar 433 Zivilisten ihr Leben ließen und fast 1000 verletzt wurden, vorrangig durch Selbstmordanschläge. Die Zahl der so Ermordeten stieg in dem untersuchten Zeitraum sogar überdurchschnittlich um 46 Prozent. Alle Arten von Bomben und Sprengsätzen zusammengefasst, betrug der Anstieg im Vergleich zur Vorjahresperiode 21 Prozent. »Die Unvorhersehbarkeit solcher Angriffe, häufig entfernt von den Kampfgebieten und in von Zivilisten bewohnten Gegenden, sorgt dafür, dass Afghanen in ständiger Angst vor der nächsten Explosion leben«, betont die UN-Mission in ihrem am Sonntag veröffentlichten Bericht.

Die Drohung der Taliban, jeden anzugreifen, der die seit drei Jahren überfälligen Parlamentswahlen unterstütze, schürt diese Angst noch mehr und gefährdet den Demokratisierungsprozess in Afghanistan zusätzlich. In den vergangenen beiden Monaten wurden mindestens acht Parlamentskandidaten getötet. Bei einem IS-Selbstmordanschlag auf eine Wahlkampfveranstaltung in der östlichen Provinz Nangarhar starben in der Vorwoche fast 20 Menschen. Für die Radikalislamisten ist der Urnengang am 20. Oktober lediglich eine »amerikanische Verschwörung zur weiteren Rechtfertigung der ausländischen Besetzung«; er widerspreche dem islamischen Recht. Die unabhängige Wahlkommission hat angekündigt, am Wahltag mindestens 54 000 Sicherheitskräfte zum Schutz der landesweit rund 5100 Wahllokale einsetzen zu wollen.

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