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Oft den Untergang vorhergesagt

Wolfgang Spickermann über den schwierigen Start des »Neuen Deutschland« in die Marktwirtschaft

August 1993: ND-Geschäftsführer Wolfgang Spickermann (l.) beantwortet Medienfragen am Rande einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit der Treuhandanstalt.
August 1993: ND-Geschäftsführer Wolfgang Spickermann (l.) beantwortet Medienfragen am Rande einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit der Treuhandanstalt.

Vom 1. Juli 1990 an war in der DDR die D-Mark das Zahlungsmittel. Was bedeutete es für den ND-Verlag, sich plötzlich unter ganz anderen Bedingungen auf dem Markt behaupten zu müssen?

Wolfgang Spickermann

Wolfgang Spickermann, Jahrgang 1945, war seit 1971 Redakteur bei »Neues Deutschland«, seit 1981 Leiter der Abteilung Wissenschaft. Im Herbst 1989 wurde er Chefredakteur der Zeitung (bis 1992), bis 2004 war er ihr Geschäftsführer. Mit ihm sprach Wolfgang Hübner, nd-Redakteur seit 1985, seit 2005 Mitglied der Chefredaktion, seit 2018 Chefredakteur.

Foto: nd/Ulli Winkler

Die D-Mark-Einführung war für das Alltagsleben der Menschen ein wichtiger Einschnitt. Für das wirtschaftliche Leben der Zeitung änderte sich aber nur wenig. Denn alle Rechtsverhältnisse und Wirtschaftsbeziehungen blieben zunächst unverändert. Noch bestand ja die DDR.

In dieser Zeit, in der es für das »Neue Deutschland« steil bergab ging, mussten viele harte Entscheidungen getroffen werden. Welche waren die schwierigsten und schmerzhaftesten?

Die steil sinkende Verkaufsauflage stellte uns im Frühjahr 1990 vor die Frage, wohin das führen könnte. Ohne eine umgehende radikale Veränderung der Betriebsstruktur, verbunden auch mit Personalabbau, würde es keine Zukunft geben, war ich überzeugt. Wir hatten ja in Verlag und Redaktion Ende 1989 etwa 530 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, inklusive Bezirks- und Auslandsredaktionen.

Diese Veränderungen zu planen, mit den Mitarbeitern zu diskutieren und sie gegen manchen Widerstand zu realisieren, das war das Schwierigste und manchmal auch schmerzhaft. Nach der Präsentation meines ersten Sanierungsplanes beantragten Kritiker aus der Redaktion im Sommer 1990 meine Abwahl als Chefredakteur. Aber in der Abstimmung sprach sich eine deutliche Mehrheit gegen die Abwahl aus.

Du warst bis zum Herbst 1989 Wissenschaftsredakteur und -abteilungsleiter. Wie wurdest du im Wendeherbst erst Chefredakteur und nicht viel später - ein ganz anderer Job - Geschäftsführer?

Im Herbst 1989 brodelte es auch in der ND-Redaktion. Wir hatten eine Fraktion der Gorbatschow-Anhänger, eine Fraktion der Traditionalisten und eine Gruppe der Abwartenden. Auf einer Redaktionskonferenz Ende Oktober schlug Günter Schabowski, im neuen SED-Politbüro unter anderem für Medienpolitik verantwortlich, eine neue Chefredaktion vor. Das erzeugte spontan offenen Protest. Schabowski zog seinen Vorschlag zurück und verkündete, dass nunmehr die ND-Redaktion selbst einen Vorschlag machen solle.

Nach intensiven Debatten einigte man sich auf einen Vorschlag: Der Kandidat war ich. Das SED-Politbüro unter Egon Krenz hat das nach einigem Zögern akzeptiert. Als Chefredakteur wurde ich automatisch einer von zwei Geschäftsführern, als im Frühjahr 1990 dann die ND-GmbH geschaffen wurde. Zum zweiten Geschäftsführer wurde der Verlagsleiter berufen.

Das Geschäftliche hattest du nicht gelernt - wie lange hat es gedauert, bis du mit Bilanzen, Buchhaltung usw. einigermaßen sattelfest warst?

Buchhaltung ist auch heute noch nicht mein Ding. ND hatte zum Glück eine qualifizierte Buchhaltung. Vieles brachte ich mir selbst bei, besuchte auch eine Reihe von Tagesseminaren. Als Werkzeug schrieb ich mir - anfänglich auf einem 16-Bit-Rechner von Atari - selbst Computerprogramme. Die mathematischen Grundlagen brachte ich aus meinem Physikstudium mit.

Kannst du dich erinnern, in welchen Zeiträumen du damals geplant und gedacht hast?

Meine Planungen zu jener Zeit waren natürlich ziemlich kurzfristig. Für 1990 gab es zwei Schwerpunkte. Wir mussten zum einen das Image des SED-Zentralorgans als eine Art Staatsanzeiger der DDR überwinden und dabei ausreichend viele Menschen so ansprechen, dass sie bereit sind, für das Lesen Geld auszugeben.

Zum anderen musste die materiell-technische Basis in kürzester Zeit umgestellt werden. Das ND wurde bis 1990 im Bleisatz hergestellt. Das war nicht nur teuer, sondern auch sehr langsam. Im Frühjahr 1990 begannen die Planungen zum Einstieg in das Computerzeitalter, ohne Beraterfirma oder Anleitung von oben. Als Partner fanden wir den Verlag der »Rhein-Zeitung« in Koblenz. Im September 1990 wurden die ersten Seiten mit dem digitalen Redaktionssystem produziert, bis zum Jahresende wurde die ganze Zeitung umgestellt.

Immer wieder ist uns das baldige Ende gewünscht und prophezeit worden.

Ja, insbesondere der »Spiegel« brillierte in halbjährlichen Abständen mit Beiträgen, in denen unser kurz bevorstehender Untergang vorhergesagt wurde - immer messerscharf begründet.

Ein Einschnitt war sicherlich das Ende der staatlichen Pressesubvention im Frühjahr 1990, nach der Volkskammerwahl.

Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass die Zeitung ohne selbst herbeigeführte zügige Strukturreform keine Zukunft haben wird. Wir hatten zunächst den Verkaufspreis am Kiosk von 15 auf 45 Pfennig erhöht und entsprechend den Abonnementpreis angepasst. Nach meiner Kenntnis erhielt das ND aber keine Subventionen vom Staat, sondern stets von der Zentrag. 1990 hätten es laut Planung 70 Millionen Mark von der Zentrag sein sollen, dem »Mutterkonzern« aller SED-eigenen Wirtschaftsbetriebe. Eine innere Stimme sagte mir, dass mit diesen 70 Millionen nicht zu rechnen sein würde. Die Zentrag überwies uns Anfang Juni 1990 zur Entlassung in die marktwirtschaftliche Unabhängigkeit letztmalig 31 Millionen DDR-Mark.

Sämtliche Zeitungen wurden bis zu diesem Zeitpunkt von ihren Eigentümern subventioniert, eine Folge der strikten Preispolitik der DDR. Alleine der Einkauf des Druckpapiers kostete mehr, als beim Verkauf der Zeitung erlöst wurde! Irre, aber wahr. Dieses Preisdiktat wurde von der Modrow-Regierung im Frühjahr 1990 aufgehoben.

Zur Jahresmitte 1990 mussten alle partei- und organisationseigenen Betriebe ihre Rechtsform wechseln, wenn sie überleben wollten. Für das ND wurde eine neue GmbH gegründet. Warum diese Entscheidung - und gab es ernsthafte Alternativen?

Das entsprechende Gesetz betraf nur die volkseigenen Betriebe. Das für sie zuständige Handelsregister C der DDR sollte dann geschlossen werden. Im Handelsregister C wurden aber auch die Wirtschaftsbetriebe der Parteien und Massenorganisationen der DDR geführt. Das führte offensichtlich zu dem Zwang, auch diese Betriebe in eine neue Rechtsform zu überführen. In der Regel waren das dann GmbH.

Im Falle des »Neuen Deutschland« hatten die Akteure der Zentrag und der PDS offensichtlich die Idee, den organisationseigenen Betrieb »Verlag Neues Deutschland« wieder in die ursprüngliche, 1946 gegründete »Neues Deutschland Druckerei und Verlag Gesellschaft mbH« rückzuverwandeln.

Was bedeutete das praktisch?

Praktische Auswirkungen auf das aktuelle Zeitungsgeschäft hatte diese Betriebsumwandlung nicht. In den späteren gerichtlichen Auseinandersetzungen mit der Treuhandanstalt und der Deutschen Reichsbahn bzw. dem Bundeseisenbahnvermögen wegen der ND-Immobilie aber schon.

In einem dieser Prozesse wurde die vermeintliche Rückumwandlung des ND-Verlags in die ND-GmbH richterlich als Irrtum klassifiziert. Der Umwandlungsakt vom Frühjahr 1990 sei juristisch als Neugründung zu bewerten. Mit entsprechenden Protokollen wurde nachträglich festgestellt, wie das Eigentum und sonstige Rechtsverhältnisse vom Parteibetrieb auf die neue GmbH übergegangen sind.

Ebenfalls im Sommer 1990 wurde die Treuhandgesellschaft gegründet, etwas später die Kommission zur Überprüfung des Parteienvermögens in der DDR. Wie agierten die beiden Institutionen dem ND gegenüber?

Feindlich wäre das passende Wort. So versuchte die Treuhandanstalt, die zu Beginn der Marktwirtschaft von der Zentrag erhaltene Anschubfinanzierung von 31 Millionen DDR-Mark als angeblich illegales Geschenk der Partei PDS zurückzufordern. Die entsprechende Klage vor dem Landgericht scheiterte zunächst an Verfahrensfragen, ruhte dann für unbestimmte Zeit und erledigte sich 1995 mit der Aufhebung der treuhänderischen Verwaltung über das Gesamtvermögen der PDS.

Legendär: die Zeile »Die einzige deutsche Tageszeitung unter direkter Regierungsaufsicht« auf der Titelseite über dem Zeitungskopf. Wie waren die Reaktionen darauf?

Der Text dieser provokanten Zeile entstand in einem Telefongespräch mit Gregor Gysi. Am Zeitungskiosk fiel das schon auf. Und der Treuhandanstalt war dies zunehmend unangenehm, wurde hier doch die heilige Kuh der Pressefreiheit aufs Eis geführt. Nach wenigen Tagen schon rief mich der Direktor der Treuhand-Abteilung Sondervermögen an und fragte, warum wir mit dieser Zeile erscheinen. Nach dem Text seines Verwaltungsbescheides müsste ich vor jeder Honorarzahlung die Erlaubnis seines Hauses einholen und somit zugleich den Namen meiner Quelle preisgeben, erläuterte ich ihm als Beispiel.

Das Gespräch war sehr sachlich, die Einigung auch. ND erhielt die Erlaubnis, ohne jede Einschränkung oder Kontrolle den Geschäftsbetrieb fortzuführen, bis zur Höhe des bisherigen monatlichen Geschäftsumsatzes. Im Gegenzug verzichtete ND auf die weitere Veröffentlichung dieser Überkopfzeile.

Gerettet wurde das ND nach der deutschen Vereinigung von den Leserinnen und Lesern.

Ende Oktober 1991 passierte etwas Unglaubliches: »Neues Deutschland« wurde als Teilvermögen der SED aus der Treuhandverwaltung entlassen. So etwas war bis dahin grundsätzlich ausgeschlossen worden. Allerdings hatte das einen Haken: Sämtliche Vermögenswerte, soweit erkennbar, blieben von dieser Entlassung ausgeschlossen. Und die ehemaligen Treuhänder gaben noch den freundlichen öffentlichen Hinweis, dass nach Testat renommierter Wirtschaftsprüfer das ND noch im November Insolvenz anmelden werde.

In dieser Situation rief die Zeitung zu einer Spendenaktion auf. »Eine Million bis Silvester«, so titelte das ND am 26. Oktober 1991 einen Aufruf an seine Leserinnen und Leser. Die Beteiligung war mehr als erfreulich. Bis Jahresende konnten wir knapp über eine Million Mark einsammeln. Das war die Grundlage dafür, dass wir langfristig weitermachen konnten.
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