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Wilde Jagd um ein Nichts
Der Kinofilm »Das schwarze Quadrat« führt die Scheinwelt des Kunstbetriebs auf unterhaltsame Weise vor
Ist das eigentlich gut oder schlecht, wenn man nicht weiß, ob es gut ist oder schlecht? Hier ist es, glaube ich, Absicht: ein genau kalkuliertes Beieinander von TV-Ästhetik und großen Kinomitteln. Sperrige Spielweise, spärlicher Score, ungelenke Schnitte und die an vielen Stellen nicht ausgeführte Story erinnern an jene Momente, wenn ARD versucht arty-farty zu sein. Zum anderen haben wir brillante Einstellungen, das Cinemascope-Format, Licht und Farben für die große Leinwand. Permanentes Rauschen im Hintergrund und die subtil eingesetzte Handkamera halten die Hochseesituation fühlbar.
Gewiss, die Genialität eines »How to Steal a Million« (1966) wird hier nicht erreicht, doch in seiner Absicht, das Treiben des Kunstbetriebs aufs Korn zu nehmen, folgt »Das schwarze Quadrat« den Pfaden der aristophanischen Komödie, die ohne ungelenke Momente nicht auskommt, das Geniale aber, das sie dabei verliert, im Genialischen aufbewahrt.
Die Kunstdiebe Vincent (Bernhard Schütz) und Nils (Jacob Matschenz) haben große Beute gemacht: »Das Schwarze Quadrat«, 1915 gemalt von Kasimir Malewitsch. Auf einem Kreuzfahrtschiff wollen sie das Gemälde in Geld umsetzen, ihr Auftraggeber wartet dort schon. Leider werden sie von ihrem Komplizen Charly versetzt, ohne den sie nicht an Bord kommen, weshalb das auf andere Weise gelingen muss. Mit Chloroform verschaffen sie sich die Identitäten zweier Zusteigender. An Bord stellt sich heraus, dass Vincent und Nils zwei Mitglieder des Showensembles betäubt haben. Um nicht enttarnt zu werden, müssen sie als David-Bowie- und Elvis-Imitatoren im Abendprogramm auftreten. Doch ihre Tarnung bröckelt auch ohne das.
Ebenfalls an Bord gegangen sind die obskure Martha (Sandra Hüller) und ein Fahnder der Polizei; sie hinter dem Gemälde, er hinter ihr her. Die Pianistin Mia (Pheline Roggan) und der Gentleman Host Levi (Christopher Schärf) schöpfen desgleichen Verdacht, und auch Cruise-Managerin Helen (Victoria Trauttmansdorff) macht sich gemeinsam mit dem Sicherheitsmann Bernhard (Wolfgang Packhäuser) auf die Jagd nach dem Kunstwerk. Das Bild wird dann auch bald aus der Kabine entwendet und wechselt im Laufe der Handlung mehrfach den Besitzer. Vincent beschließt, eine Kopie zu fertigen, um den Deal mit dem Auftraggeber nicht zu gefährden. Für den richtigen Schwarzton benutzt er Kaffee, für die leicht beige Tönung der weißen Umrandung nimmt er Urin.
Das klingt jetzt alles komplizierter, als es letztlich ist, wird aber noch viel komplizierter, als es jetzt klingt. Bis zum Ende kommt das Wechselspiel aus Täuschung, Lüge und Gewalt nicht zur Ruhe, immer neue Wendungen fordern unablässig Aufmerksamkeit und schaffen zugleich Vergnügen. Man muss noch lachen, wenn man eigentlich schon nicht mehr kann. Und obwohl einem im Grunde gleich ist, wer am Ende gewinnt, fragt man sich doch ständig, was wohl als nächstes passiert. Das Ganze wirkt ein wenig, als sei Alfred Hitchcocks vorsätzlich schlechter Film »Nummer siebzehn« (1932) noch einmal inszeniert worden, nur dieses Mal eben in Farbe, mit besserem Tempogefühl und ohne die Absicht, sich selbst zu sabotieren.
Nicht genug gelobt werden kann das Szenenbild, das im Breitwandformat von einer klug geführten Kamera eingefangen wird, wodurch auf diesem riesigen Kreuzfahrtschiff mit seinen unzähligen kleinen Räumen und schmalen Gängen ein Eindruck von Weite und Enge zugleich entsteht - ein in sich tausendfach gewundenes Labyrinth, in dem sich, wenn man so möchte, der Kunstmarkt mit seiner um sich selbst kreisenden Geschäftigkeit und der Unmöglichkeit, über den abgesteckten Bereich hinauszublicken, wiedererkennen lässt.
Auch die trockene Komik arbeitet gezielt aufs Thema zu. Das beginnt bei klassischen Topoi der jüngeren Kunstgeschichte (»Meine Tochter ist vier, die kann Häuser und Bäume«, »… so schlecht, dass es schon wieder gut ist«), geht über Dialoge, die sich als maliziöse Allusion auf den Betrieb lesen lassen (»Wie findest du mich eigentlich im Bett?« - »Willst du ’ne ehrliche Antwort?« - »Nee.«), und kulminiert in physischen Performances, die die Unfähigkeit zur ästhetischen Leistung bezeigen (ein unfassbar schiefer Versuch, David Bowie zu singen, oder eine exaltierte Tanzeinlage, die so auch von der Kunstfigur David Brent kommen könnte).
Zugestanden, ganz ohne Diktion bleibt noch die beste Story unter ihren Möglichkeiten. Das Werk muss sich ja auch im Wort und nicht nur in der Handlung zu seinem Thema verhalten. Doch hierin erweist sich »Das schwarze Quadrat« - anders als etwa der Film »Die Kunst des toten Mannes« (Originaltitel: »Velvet Buzzsaw«, 2019), der seiner aufdringlichen Ambitioniertheit wegen die von ihm parodierte Jämmerlichkeit des Kunstbetriebs selbst ausstrahlt - als erfreulich lakonisch.
Wenn nicht gerade von den »verschissenen Kunstwichsern« die Rede ist oder davon, dass »Kunst die Währung der oberen Zehntausend« sei, spricht der gescheiterte Maler Vincent, der den Kunstbetrieb ebenso heftig verachtet, wie er gern Teil davon wäre, voller Ernst über den Sinn jenes titelgebenden Bildwerks von Malewitsch. »Das Schwarze Quadrat« sei ein »Bekenntnis zur Trauer«, eine »Einladung zum Protest«, eine Befreiung der Kunst von der objektiven Welt. Mehr Worte braucht es übrigens nicht, den geistigen Unterbau des Suprematismus vollständig zu formulieren.
Es ist unerheblich, ob sich Figurenrede und Absicht des Autors decken, der Film selbst fällt via Handlung sein Urteil. Ob die Befreiung der Kunst von der Welt wünschenswert ist, das mag noch verhandelbar sein. Ins Auge sticht indessen, dass gerade diejenige Kunst, die den Weltbezug liquidiert, sich auch vom Anspruch befreit, ästhetisch gelungen zu sein. All die gern erzählten Anekdoten - der falsch herum hängende Henri Matisse, die Fettecke von Joseph Beuys, das blinde Gekleckse von Jackson Pollock, der Schnurrbart von Marcel Duchamp, der Schimpanse von Desmond Morris - kennzeichnen das Wesen des modernen Kunstgewerbes, wo Inszenierung, Behauptung und Ideologie zur Hauptsache werden und wo das Eigentliche darunter verschwindet. Eine betrieblich organisierte, permanente Überredung verhindert die unmittelbare Wirkung des Werks aufs Publikum und besorgt mithin, dass der Unterschied zwischen Unfähigkeit und Unwillen zur Kunst nicht mehr feststellbar ist. Folglich dominieren am Markt Aufschneiderei und »lazy painting«.
Ein für Kunst ausgegebenes Quadrat bedeutet nicht nur die Absage an eine Kunst, die gekonnt sei, sondern auch an eine, in der die Persönlichkeit des Künstlers sich überhaupt ausdrückt. Die geometrische Form killt das Individuelle. Als sonder Mühe reproduzierbares hat dieses Gemälde kein Recht auf Originalität. Wenn Vincent es fälscht, lässt sich das im Grunde als Fortsetzung der durch es selbst angebahnten Logik verstehen.
Man sieht auf dem Kreuzfahrtschiff eine wilde Jagd um ein Nichts - »Das Schwarze Quadrat« ist der perfekte MacGuffin. Der Film bringt das so boshaft wie treffend zur Karikatur, indem Original und Kopie auf dem Schiff zirkulieren, fürs Auge identisch und allein durch den Gestank des Urins unterscheidbar. Wir aber, die wir vor der Leinwand sitzen (der des Films und nicht der des Gemäldes), wir schauen nur und riechen’s nicht.
»Das schwarze Quadrat«: Deutschland 2021. Regie und Drehbuch: Peter Meister. Mit: Bernhard Schütz, Sandra Hüller, Jacob Matschenz. 105 Min. Start: 25. November.
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