Sekt für die Atomlobby

Mit dem Antritt der neuen Regierung hatte Sheila Mysorekar die Hoffnung, sie biete eine Alternative zur Politik der Großen Koalition an. Doch nach wenigen Tagen im Amt ist diese Hoffnung hinfällig

Es gibt vieles, das ich gerne mit der vergangenen Regierung hinter mir lassen möchte. Die große soziale Ungleichheit, wachsende Armut, verantwortungslose Untätigkeit angesichts der Klimakatastrophe oder die bewusste Ignoranz der unzähligen rechtsradikalen »Einzelfälle«.Vor allem sollte Schluss sein mit der Behauptung, die bisherige Politik der Lobby-Hörigkeit und des Laissez-faire gegenüber globalen Technologieunternehmen und Heuschrecken-Hedgefonds sei »alternativlos«.

Jahrzehntelang bestimmte die Autolobby die Verkehrspolitik; die Energieunternehmen entschieden, inwieweit dieses Land erneuerbare Energien einsetzte; globale Technologieunternehmen zahlten wenig bis gar keine Steuern. Agrarfirmen durften jeden grünen Halm mit Insektiziden besprühen, Tiere mit Medikamenten füttern und industriell produzierte Nahrung mit Chemikalien vollstopfen. Wir Bürger*innen hatten das zu akzeptieren: All das sei schließlich »alternativlos«.

Sheila Mysorekar
Sheila Mysorekar ist Journalistin und war langjährige Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen. Heute ist sie Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem bundesweiten Netzwerk aus rund 170 postmigrantischen Organisationen. Für „nd“ schreibt sie die monatliche Medienkolumne „Schwarz auf Weiß“.

Dass dies den Menschen nicht zuträglich war, dass man so die Natur vergiftete, dass die Arm-Reich-Schere immer weiter auseinanderklaffte, wurde jahrzehntelang einfach so hingenommen. Gewinnmaximierung war halt wichtiger.

Seltsamerweise trug ein Großteil der hiesigen Medien dieses Narrativ der politischen Alternativlosigkeit mit. Anstatt Menschen oder Organisationen vorzustellen, die tatsächlich neue Ideen, Konzepte und Alternativen zur neoliberalen Politik entwickelten, fügten sich die meisten in diese eindimensionale Welt.

Oder vielleicht trauten sich viele Journalist*innen nicht, die Konsequenzen der Kritik bis zu Ende zu denken? So etwa beim Thema Klimakatastrophe. Dies bekommt durchaus Sendezeit und Druckfläche; auch Organisationen wie »Fridays for Future« kommen zu Wort. Aber selten wird durchdekliniert, was wirklich notwendig wäre, um die Klimakatastrophe abzuwenden: eine radikale Abkehr vom Kapitalismus. Er basiert auf der uneingeschränkten Ausnutzung von natürlichen Ressourcen und Menschen – dem sogenannten Humankapital. Die kompromisslose Ausbeutung der Natur zu beenden bedeutet, das gesamte System zu ändern. Aber nein, das geht doch nicht, das System ist ja... alternativlos.

Neue Regierung, neues Glück. Vielleicht können wir ja jetzt auf Alternativen hoffen?

Nun ist diese Regierungskoalition mit Kanzler Olaf Scholz absolut kein revolutionärer Neuanfang. Scholz ließ beispielsweise die Akteure des Cum-Ex-Skandals in Ruhe den Staat und damit uns Steuerzahler ausnehmen. Und es war auch von vornherein klar, dass die FDP auf dem Schoß der Autolobby sitzen bleiben wird, um die Verkehrswende zu hintertreiben.

Ich hatte trotzdem die Hoffnung, die SPD könnte sich jetzt mehr auf ihre linken Traditionen besinnen. Und dass die Grünen nun entscheidende Änderungen vornehmen würden, um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden. Dass die Zeit vorbei sei, neoliberale Politik als »alternativlos« zu verkaufen.

Aber nun stellt sich raus: Wir bekommen dasselbe wie immer, nur mit einem grünen Deckmantel! Bei der EU sollen jetzt sowohl fossiles Gas wie auch Atomkraft als »nachhaltige Energien« gekennzeichnet werden. Damit würden Gas- und Nuklearunternehmen bei Investitionen privilegiert, weil sie – man höre und staune! – ebenso umweltfreundlich seien wie Sonnen- oder Windenergie. So wird der europäische Green Deal unterlaufen: Deutschland möchte gerne seine Gaskraftwerke behalten – angeblich als Brückentechnologie –, und Frankreich im Gegenzug seine Atomkraftwerke. Die Grünen finden das zwar nicht gut, aber Scholz hat dies bereits in einem Hinterzimmerkonsens mit Frankreich abgesprochen. Die Abstimmung im EU-Parlament ist nur noch Formsache.

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Anscheinend ist die Koalition nicht an echten Alternativen zur christdemokratischen lobbyfreundlichen Politik interessiert. Sondern einfach nur an einem Etikettenschwindel. Und die Medien, die sich jetzt über diesen Deal aufregen, haben jahrzehntelang die Mär der Alternativlosigkeit mitgetragen. Das rächt sich jetzt. Die Atomlobby lässt die Sektkorken knallen.

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