Spielraum für die Ämter

Die Politik beharrt auf der Impfpflicht. Bei der Umsetzung bleiben jedoch viele Fragen offen

Ab kommenden Dienstag greift die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht, von Bundestag und Bundesrat Ende vergangenen Jahres beschlossen. Gesundheitseinrichtungen von der Pflege bis zu den Krankenhäusern und Praxen müssen bis zum 15. März dem jeweiligen Gesundheitsamt den Sars-CoV-2-Impfstatus ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter melden. Ab dem 16. März können dann die Gesundheitsämter für ungeimpftes Personal ein Betretungsverbot aussprechen. Die Arbeitgeberseite muss darauf reagieren: Versetzung, Beurlaubung oder auch Kündigung könnten die Konsequenz sein. Was dann genau passiert, welche Kriterien etwa für Versorgungsengpässe angelegt werden, die Betretungsverbote verhindern könnten - all das ist immer noch relativ unklar bzw. die Bundesländer gehen dabei unterschiedlich vor.

Während in den Online-Chats von Pflegekräften und auch anderswo noch diskutiert wird, ob diese Teilimpfpflicht nun tatsächlich umgesetzt wird, gibt es für eine Verschiebung kaum Anzeichen. Anfang der Woche hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei Terminen in Sachsen das Vorgehen verteidigt. Es solle verhindert werden, dass die Geimpften dann die Arbeit der Ungeimpften mit erledigen müssten - und im Notfall würde das zu reduzierten Kapazitäten führen. Gerade in Sachsen könnte ein solcher Versorgungseinschnitt aber drastische Konsequenzen haben: Dort sind von den 300 000 Menschen, die von der Impfpflicht betroffen wären, rund 100 000 nicht geimpft - die Zahlen stammen von der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD). Der einzige Lichtblick ist hier, dass es zwar einerseits Einrichtungen mit einer Impfquote von 90 Prozent, aber auch andere, wo nicht einmal die Hälfte des Personals geimpft ist.

Zwar war das Ja zu dieser Impfpflicht im Bundesrat einstimmig, aber offenbar haben die Bundesländer ganz unterschiedliche Pläne, wie sie damit umgehen wollen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte Anfang Februar schon angekündigt, die einrichtungsbezogene Impfpflicht zunächst nicht anwenden zu wollen. Inzwischen wurde die Wortwahl geändert: Jetzt sollen erst einmal Übergangsfristen gelten. Ungeimpfte Mitarbeiter müssen wie überall gemeldet werden. Dann soll eine Impfberatung durch das jeweilige Gesundheitsamt folgen, im besten Fall auch mit Impfung im Anschluss. Nach der Beratung folgt erneut die Aufforderung, einen Impfnachweis vorzulegen. Kommt dieser nicht, wird als nächstes ein Bußgeld verhängt - bis zu 2500 Euro. Hier wird es aber auch schon in Bayern ganz variabel: Die Höhe hängt von der finanziellen Situation der Betroffenen ab, von der Versorgungssituation vor Ort und auch von der Teilnahme an der Impfberatung. Die Bußgeldverfahren können frühestens Anfang April beginnen. Die Gesundheitsämter haben also einen Spielraum, das Betretungsverbot sei nur die letzte Konsequenz. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) rechnet mit ersten tatsächlichen Betretungsverboten nach einem solchen Verfahren erst im Sommer.

Das thüringische Gesundheitsministerium wiederum übermittelte seinen Landkreisen und kreisfreien Städten Anfang des Monats einen Erlass, der ein Verwaltungsverfahren mit Einzelfallprüfungen und Anhörungen sowohl von Arbeitgebern als auch von Arbeitnehmern vorsieht. Auf keine Fall werde es automatisch ein Arbeits- und Betretungsverbot ab dem 16. März geben, so Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke). In Thüringen sind laut einer Umfrage in der Altenpflege im Schnitt mehr als 80 Prozent der Beschäftigten geimpft, wenn auch mit großen regionalen Unterschieden. Selbst mit dem genannten Erlass sind laut Werner noch nicht alle arbeits- und sozialrechtlichen Fragen präzise genug beantwortet. Auch hier bleibt Unsicherheit für alle Betroffenen.

Ähnlich sieht es in Mecklenburg-Vorpommern aus - auch hier wurde ein sofortiges Beschäftigungsverbot für Ungeimpfte ausgeschlossen. Nach der Meldung durch die Arbeitgeber wird auch hier durch die Gesundheitsämter ein Verfahren gegenüber den ungeimpften Mitarbeitern in Gang gesetzt, es kann eine Anhörung geben - und dann folge eine Ermessensentscheidung. Hinweise darauf, dass am Ende über die Schärfe des Instruments Impfpflicht in den einzelnen Gesundheitsämtern entschieden wird, gibt es bundesweit einige. Dieser Umgang mag den einen als gesunder Praktizismus erscheinen. Das wohlfeile Bekenntnis aus der Politik zu dieser Impfpflicht kann so aber nicht mehr ernst genommen werden.

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