Die Revolution verlässt Die Linke

Ex-Bundestagsabgeordnete Helin Evrim Sommer tritt aus - enttäuscht von der Russland- und Syrienpolitik in Teilen der Partei

Helin sollte das kurdische Mädchen heißen, das am 7. Februar 1971 zur Welt kam. Doch kurdische Namen waren damals in der Türkei verboten. Dann eben Evrim, entschied ihr Vater. Evrim ist das türkische Wort für Evolution - und der Vater, der für seine sozialistische Überzeugung noch im selben Jahr vom Militärregime ins Gefängnis gesteckt wurde, pflegte zu sagen: »Ohne Evolution gibt es keine Revolution.« Ihres Lebens nicht sicher, flüchtete die Familie 1980 nach Westberlin. Evrim durfte nun auch offiziell Helin heißen.

So erzählt die ehemalige Linke-Bundestagsabgeordnete Helin Evrim Sommer, wie sie zu ihren beiden Vornamen kam. Es steckt in dieser Geschichte einiges, womit sich erklären lässt, warum sie jetzt nach so vielen Jahren aus der Partei ausgetreten ist.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Dass Helin Evrim Baba, die seit ihrer Heirat Sommer heißt, 1998 zur PDS ging, scheint folgerichtig. Auch andere linke Kurden haben das in jener Zeit getan, weil in Deutschland nur die PDS für die Kurden und den Sozialismus eintrat. Von 1999 bis 2016 gehörte Sommer dem Berliner Abgeordnetenhaus an, sollte und wollte dann Bezirksbürgermeisterin von Lichtenberg werden, fiel aber in zwei Wahlgängen durch. 2017 zog Sommer in den Bundestag ein, dem sie bis 2021 angehörte. Danach zog sie sich aus dem Vorstand des Bezirksverbands Spandau zurück. Sie habe das mit der Zeit begründet, die sie benötige, um sich beruflich neu zu orientieren, heißt es am Mittwoch aus Spandau.

Dass sie sich nun auch aus der Partei verabschiedet, so wie es zuletzt auch der eine oder andere prominente Genosse tat, haben die Spandauer Genossen aus den Medien erfahren. Sie sagen, es habe sie überrascht. Die Austrittserklärung sei bisher weder beim Bezirksverband noch beim Landesverband Berlin eingegangen, so die Auskunft.

Dem »nd« liegt die Austrittserklärung aber vor. Darin schreibt Sommer: »Ich werde mich weiterhin gegen Rassismus und Antisemitismus sowie für Frieden und soziale Gerechtigkeit einsetzen, allerdings nicht mehr in der Partei Die Linke.« Und weiter: »Ich bin davon überzeugt, dass Die Linke nicht mehr in der Lage ist, sich fundamental zu erneuern.« Nach langer Überlegung habe sie sich zum Austritt entschlossen.

Drei wesentliche Gründe führt die 51-Jährige für ihren Schritt an. Zum einen die Russlandpolitik der Partei, die von einer »Sowjetnostalgie« bestimmt sei. »Trotz der repressiven Innenpolitik und der imperialen Expansionspolitik des Putin-Regimes wird stets dem Westen die Schuld gegeben«, so Sommer. Maßgebliche Teile der Partei hätten oft genug einseitig die Interessen des Kremls unterstützt und Teile der Partei würden selbst heute noch der Nato die Hauptschuld oder eine Mitschuld für den brutalen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geben, was jenseits der Realität liege. »Als deutsche Politikerin kurdischer Herkunft bin ich außerdem vom Umgang der Linken mit der kurdischen Frage in Syrien maßlos enttäuscht«, sagt Sommer. »Statt Solidarität mit dem Freiheitskampf der Kurdinnen und Kurden in Rojava zu zeigen, unterstützen Teile der Partei lieber das syrische Terrorregime von Baschar al-Assad.« Dies sei »untragbar«.

Zum zweiten stört Sommer, wie etwa der Berliner Landesverband der Linksjugend Israel pauschal dämonisiere, während eine Abgrenzung zu Hamas und Hisbollah unterbleibe. Mehr noch: Die islamistischen Terrororganisationen würden als »antikoloniale Befreiungsbewegungen« verklärt, »obwohl gerade linke und fortschrittliche Kräfte zu den ersten Opfern ihrer praktischen Politik gehören«. Und Punkt drei: Die Partei sei mit Blick auf eine offene Gesellschaft nicht auf der Höhe der Zeit. »Trotz eindeutiger Beschlusslage haben namhafte Führungspersönlichkeiten immer wieder auch Ressentiments und Skepsis gegenüber der Aufnahme von Geflüchteten genährt.« Das beschädige die Glaubwürdigkeit als antifaschistische Partei.

»Wir bedauern die Entscheidung von Evrim Sommer«, sagt die Berliner Landesvorsitzende Katina Schubert. »Sie hat immer deutlich Position bezogen und war eine laute Stimme gegen Rassismus und Diskriminierung. Wir danken ihr für alles, was sie für die Partei und den Landesverband geleistet hat.«

Wie es für Helin Evrim Sommer beruflich weitergeht? »Mal sehen«, sagt sie. »Mir stehen viele Türen offen.« Kommentar

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