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Verschlossenes Tor nach Osten

Warum der europäische Fußball der Frauen eine Drei-Klassen-Gesellschaft ist

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 5 Min.
Signale des Aufschwungs: Serbiens Jovana Damnjanovic (r.) traf im April beim Sieg gegen die DFB-Elf mit Jana Feldkamp doppelt.
Signale des Aufschwungs: Serbiens Jovana Damnjanovic (r.) traf im April beim Sieg gegen die DFB-Elf mit Jana Feldkamp doppelt.

Es ist gewiss kein Anflug von Überheblichkeit, wenn sich Martina Voss-Tecklenburg für die letzten WM-Qualifikationsspiele am kommenden Sonnabend in der Türkei und drei Tage später in Bulgarien siegessicher zeigt. Die Bundestrainerin hat für die deutschen Fußballerinnen das klare Ziel formuliert, »mit zwei Siegen die Qualifikation abzuschließen und dabei überzeugende Leistungen auf den Platz zu bringen«. Es sind auf dem Weg zur WM 2023 in Australien und Neuseeland eben nur finale Pflichtaufgaben, bei denen die krassen Leistungsunterschiede im Fußball der Frauen innerhalb Europas zutage treten.

Bei den Hinspielen gab es Kantersiege: 7:0 gegen Bulgarien, 8:0 gegen die Türkei. Noch immer treffen Topnationen wie der Vizeeuropameister in Qualifikationsspielen zu oft auf überforderte Gegner, die allein auf Schadensbegrenzung aus sind. Die Türkinnen sind 67. der Fifa-Weltrangliste, die Bulgarinnen liegen gar nur auf Rang 92. Beide Nationen waren noch nie für eine EM oder WM qualifiziert.

Aber ist das verwunderlich? Ein A-Nationalteam der Frauen gibt es in der Türkei beispielsweise erst seit 1995, eine weibliche U17-Auswahl sogar erst seit 2006. Zwischenzeitlich hatte die türkische Regierung sogar wieder ein Spielverbot für Fußballerinnen verhängt, was schnell wieder aufgehoben werden musste: Wegen der üppigen Fördergelder aus den Töpfen der Fifa und Uefa kann der Türkische Fußball-Verband (TFF) gar nicht mehr anders, als den Fußball der Frauen zu fördern.

Necla Gungör, früher Technische Direktorin Frauenfußball im TFF, hat auch den Job als Nationaltrainerin übernommen. Die 41-Jährige aus Ankara studierte Sportwissenschaften und erhielt als Jugendliche trotz des streng religiösen Hintergrunds ihrer Familie viel Unterstützung bei ihrer Entscheidung, Fußball zu spielen. Doch solche Werdegänge sind immer noch selten bei der islamischen Ausrichtung unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Immerhin: Einbrüche wie im Hinspiel gegen die DFB-Auswahl in Braunschweig sind zuletzt die Ausnahme geworden. Und anders als sonst findet das Rückspiel nun nicht im anonymen Trainings- und Leistungszentrum des Verbandes im Norden von Istanbul, sondern im Timsah-Park der Millionenstadt Bursa statt. Ob sich dorthin aber eine größere Kulisse locken lässt, ist angesichts vieler gesellschaftlicher Vorbehalte fraglich.

Generell ist das Leistungsgefälle innerhalb Europas im Fußball der Frauen weiterhin viel größer als bei den Männern. Noch immer scheint es, als trenne hier ein Eiserner Vorhang den Kontinent. Unter den besten 16 Teams bei der EM in England war kein einziger Teilnehmer aus Osteuropa. Russland hatte sich zwar qualifiziert, war aber wegen des Angriffskriegs in der Ukraine durch Portugal ersetzt worden. Die Uefa hat die Märkte im Fußball der Frauen unter 55 Mitgliedern in drei Kategorien unterteilt: Die erste Ebene bilden England, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Norwegen, Dänemark und Schweden. Bis auf Polen und Russland gehören die osteuropäischen Nationen alle noch zur dritten Ebene. Es fehlen Strukturen, es mangelt an Nachfrage, vor allem an Mädchen und Frauen, die überhaupt Fußball spielen. Die Zahl der organisierten Spielerinnen ist teils erschreckend gering.

Die Uefa hat dazu zahlreiche Studien und Projekte verfasst, auf die auch die zuständige Abteilungsleiterin Nadine Keßler immer wieder verweist. Die ehemalige Weltfußballerin weiß, dass die ambitionierten Expansionspläne in ihrem Bereich nur durchzubringen sind, wenn das Tor nach Osten geöffnet werden kann. Immerhin herrscht in einigen Ländern eine zarte Aufbruchstimmung.

Tschechien scheiterte in den EM-Playoffs erst im Elfmeterschießen an der Schweiz. Serbien ist in der WM-Qualifikation härtester Widersacher der DFB-Elf, die im April dort eine überraschende 2:3-Pleite kassierte. Die damalige Doppeltorschützin Jovana Damnjanovic vom FC Bayern München gilt als eine der besten Bundesligastürmerinnen. Noch eine Kategorie darüber wird die 25-jährige Polin Ewa Pajor vom VfL Wolfsburg verortet: Die Weltklassetorjägerin ist dort vor Alexandra Popp im Sturmzentrum gesetzt, weswegen die deutsche Nationalteamkapitänin im Verein auf so vielen unterschiedlichen Positionen spielen muss. Die enorm vielseitige Pajor spielt seit sieben Jahren beim VfL und hat ihren Vertrag gerade um drei weitere Jahre verlängert.

Mittlerweile spielt das halbe Nationalteam Polens in der Bundesliga. Denn es gibt ein großes Ziel, das alle antreibt: die EM 2025, die womöglich im eigenen Land stattfindet. Polen hat genau wie die Schweiz, Frankreich und eine Vierer-Bewerbung aus Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden seinen Hut in den Ring geworfen. Ursprünglich hatte auch die Ukraine, wo sich bis zum russischen Überfall ebenfalls eine erfreuliche Entwicklung im Fußball der Frauen andeutete, eine Bewerbung geplant, die aber inzwischen wegen des Krieges obsolet ist.

Über die Vergabe des Turniers wird Ende des Jahres entschieden. Dem Vernehmen nach liebäugelt vor allem Uefa-Präsident Aleksander Ceferin mit der ersten EM in Osteuropa. Am Tag des EM-Finals ließ der Slowene bei einem Forum in London verlauten, dass der nächste Ausrichter es schwer haben werde, die in England gesetzten Maßstäbe zu erreichen. Charme hätte es sicherlich, Polen mit diesem Turnier zu betrauen, denn Frankreich hat gerade die Frauen-WM 2019 ausgerichtet und alle vier skandinavischen Länder waren bereits Veranstalter einer Frauen-EM.

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