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Für faire Löhne und Frieden

Gewerkschaften zeigen sich am 1. Mai bereit zur Verteidigung ihres Streikrechts

»Es ist ein herrlicher Blick hier auf das sonnige Berlin, aber auch auf tausende Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter«, freut sich Jörg Hofmann am Montag vor dem Roten Rathaus. Dass der Wind ihm sein Redemanuskript vom Pult weg und von der Bühne herunter weht, bringt ihn kaum aus dem Konzept. »Es geht auch so«, winkt der Erste Vorsitzende der Industriegewerkschaft IG Metall ab und setzt zu freier Rede an – bekommt dann aber die Seiten wieder nach oben gereicht und hält sich doch an den vorbereiteten Text.

Es ist ein schöner Tag für Hofmann, weil an diesem 1. Mai das Wetter mitspielt und sehr viele Berliner gekommen sind, um den Tag der Arbeit und der Arbeiter zu feiern. »Es ist unser Tag«, betont der Chef der IG Metall. Es sind schon zahlreiche Menschen vor dem Roten Rathaus versammelt, bevor am Mittag überhaupt die Mai-Demonstration eintrifft, die etwa eine Stunde für den Weg vom Platz der Vereinten Nationen benötigte. Vorneweg zunächst eine Motorradstaffel und gleich dahinter Funktionäre mit dem diesjährigen Motto »Ungebrochen solidarisch« auf dem Fronttransparent. Es wehen die Fahnen der IG Metall, der IG Bauen, Agrar, Umwelt, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Gewerkschaft der Polizei, der Dienstleistungsgewerkschaft …

Außerdem bilden »befreundete Organisationen« eigene Marschblöcke, darunter die Linkspartei mit ihrer Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch sowie mit Anne Helm und Carsten Schatz, die im Berliner Abgeordnetenhaus die Doppelspitze der Linksfraktion bilden. »Es gibt viele Gründe, auch in diesem Jahr am 1. Mai auf die Straße zu gehen«, haben Helm und Schatz im Vorfeld mitgeteilt. »Die immer weiter steigenden Kosten für Miete, Energie und Lebensmittel machen vielen Menschen Tag für Tag das Leben schwer. Menschen mit wenig Geld trifft die rasante Inflation am heftigsten. Doch selbst wer ein durchschnittliches Einkommen hat, steht finanziell zunehmend mit dem Rücken zur Wand.«

Auch Ex-Kultursenator Klaus Lederer (Linke) läuft bei der Demonstration mit. Abgelöst wurde Lederer durch den CDU-Politiker Joe Chialo. Den hat der neue Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) jetzt zum Kultursenator ernannt. Doch Kai Wegner kommt bei den Gewerkschaftsmitgliedern nicht gut an. Als er vor dem Roten Rathaus als Gast begrüßt wird, tönt laut und aus hunderten Kehlen: »Buh.« Für die zuvor begrüßte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) wird noch geklatscht, für die nach Kai Wegner genannten Senatoren der schwarz-roten Koalition applaudiert dann nur eine einzelne Person. Ansonsten nimmt die Menge die Aufzählung der Namen schweigend hin.

Dabei hat die stellvertretende DGB-Landesbezirkschefin Nele Techen im Koalitionsvertrag von CDU und SPD durchaus auch Positives entdeckt, wie sie am Montag extra betont. Doch der Vertrag habe auch »Schattenseiten«, verschweigt sie nicht. Ein dynamisierter Vergabemindestlohn als Bedingung für Aufträge von der öffentlichen Hand, der von jetzt 13 Euro die Stunde künftig automatisch steigen soll, der sei gut, sagt Techen. Doch man wolle anständige Tariflöhne. Und die Ausbildungsplatzumlage, die Firmen zahlen sollten, die keine Lehrlinge einstellen, versieht Techen mit Ausrufezeichen und Fragezeichen. Der DGB werde sich weiter für eine solche Umlage einsetzen, verspricht sie. Warum? »Wir haben immer noch Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen trotz Fachkräftemangels.« Die Idee: Wer nicht ausbildet, muss zahlen, damit von dem Geld in anderen Betrieben zusätzliche Lehrstellen geschaffen werden können. Bremen habe das schon, heißt es. Wann ziehe Berlin endlich nach?

Die Einführung einer Ausbildungsumlage war ein Herzenswunsch von Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke). Aber die ist genauso abgelöst wie Kultursenator Lederer. »Was braucht Berlin?« DGB-Landesbezirksvize Techen gibt die Antwort gleich selbst: »Bezahlbares Wohnen, eine ökologische Verkehrspolitik.« Denn: »Berlin soll eine Stadt für alle bleiben beziehungsweise wieder werden.«

Jeder verzweifelt mal an Unrecht und Gewalt und resigniert. Aber in solchen Phasen helfe die »Kraft der Solidarität«, ist Jörg Hofmann von der IG Metall überzeugt. Die Beteiligung an Warnstreiks sei zuletzt »großartig« gewesen. Vielerorts seien da Rekordwerte erreicht worden. In den Tarifauseinandersetzungen haben die Gewerkschaften Hofmann zufolge zehntausende neue Mitglieder gewonnen. Wenn beispielsweise Streiks an Airports den Flugbetrieb lahmlegten, sei über die wirtschaftlichen Schäden gejammert und über eine Beschneidung des Streikrechts philosophiert worden. Aber der Sinn von Streiks sei nun einmal, uneinsichtige Arbeitgeber wirtschaftlich zu treffen, erinnert Hofmann. Für ihn steht fest: »Wir werden keine Einschränkung des Streikrechts dulden, Punkt, Aus, Ende.«

In der Berliner Mai-Demonstration wird durch einige Linksradikale auch das Recht auf politische Streiks beispielsweise gegen Faschismus und Krieg eingefordert. Die aber sind in der Bundesrepublik nicht zulässig.

Aus der Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nazis vor 90 Jahren zieht IG-Metall-Chef Hofmann die Schlussfolgerung: »Nichts darf uns spalten und schwächen.« Da ist er bei einem Kollegen, der bei Siemens beschäftigt ist, genau an der richtigen Adresse. Mit einem selbstgebastelten Pappschild gegen »Unvereinbarkeitsbeschlüsse« zieht dieser Kollege bei der Mai-Demonstration mit. Antikommunismus spalte, ist seine Ansicht. In der alten Bundesrepublik hatten die Gewerkschaften den Radikalenerlass von 1972 und die daraus folgenden Berufsverbote mitgetragen. Es habe Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegeben, die Mitgliedern und Sympathisanten verschiedener politischer Organisationen bestimmte Funktionen in der Gewerkschaft versperrten, erklärt der Siemens-Mitarbeiter auf Nachfrage. Übrig geblieben davon sei heute nur noch die IG Metall, die an ihrer Abwehrhaltung gegenüber der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) festhalte.

Dieses eine Pappschild geht im Meer der Losungen leicht unter. Nicht zu übersehen sind dagegen die Transparente, die mit dem Krieg in der Ukraine zu tun haben – einfach, weil es viele sind. Im Block der Linkspartei etwa trägt die Basisorganisation Wedding auf rotem Stoff die Forderung: »Löhne rauf, Waffen runter!« Die Naturfreunde verlangen: »Rüstung runter, Klimaschutz rauf!« Und Reservisten werden von den Pazifisten der Deutschen Friedensgesellschaft dazu angehalten, den Kriegsdienst zu verweigern.

Frieden werde nicht auf dem Schlachtfeld errungen, sondern am Verhandlungstisch, meint IG-Metall-Chef Hofmann. »Schluss mit dem Krieg in der Ukraine«, ruft er. »Schluss mit allen anderen Kriegen. Nie wieder Krieg.« Natürlich brauche die Ukraine Solidarität, stellt er klar und erwähnt ausdrücklich die Menschen, die vor Bomben und Raketen nach Deutschland geflüchtet sind.

Der Krieg und die soziale Lage, das hängt miteinander zusammen. Die Öl- und Gaspreise haben sich im vergangenen Jahr verdoppelt, wie Hofmann sagt. Die Inflation, die Lebensmittelpreise – Arbeiter und Angestellte müssen zusehen, wie sie klarkommen, während der Ölkonzern Shell 36 Milliarden Euro Profit machte und es immer mehr Milliardäre gebe. Solche Gewinne müssten abgeschöpft werden und es brauche eine wirksame Vermögens- und Erbschaftssteuer, findet Hofmann.

Ähnlich äußert sich die DGB-Bundesvorsitzende Yasmin Fahimi bei der zentralen Mai-Kundgebung in Köln. »Nur mit starken Gewerkschaften und unseren Tarifverträgen können wir der Profitgier etwas entgegen setzen. Und nur mit uns – nicht gegen uns – gelingt ein rechtzeitiger Stopp des Klimawandels«, sagt Fahimi dort. »Die Inflation brennt uns ein Loch in den Geldbeutel.« Das beste Mittel gegen steigende Lebenshaltungskosten seien kräftige Lohn- und Gehaltszuwächse, »die wir im Zweifel auch im Streik erkämpfen«. Hervorragende Arbeit solle anständig bezahlt werden.

In Stuttgart verlangt DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell: »Es muss mehr Geld ins Säckle, und zwar durch eine gerechte Steuerreform: Steuern rauf für Unternehmen, Superreiche und Topverdiener*innen!«

In Berlin ärgert sich IG-Metall-Chef Hofmann über die Behauptung, die Menschen hätten keinen Bock zu arbeiten. »Ich habe keinen Bock auf solches Gequatsche«, schimpft er. Die Menschen wollen ihm zufolge gute Jobs und eine Kita-Betreuung, die ihnen mehr als eine Teilzeitstelle erlaube. In Bremen erinnert DGB-Vize Ellen Hannack, dass Frauen »häufiger und oft unfreiwillig« in Teilzeit oder geringfügiger Beschäftigung arbeiten.

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