Besorgte Faschisten

Sheila Mysorekar über Politiker*innen, die sich der Sorgen der »besorgten Bürger*innen« annehmen wollen

»Wir müssen die Sorgen und Nöte der Bürger ernst nehmen!« Das klingt so freundlich, so herzergreifend bürgernah. Seltsamerweise sind nicht alle Sorgen aller Bürger*innen damit gemeint. Ich frage mich ernsthaft: Wenn Politiker*innen sich um die »besorgten Bürger« kümmern, wen meinen sie dann? Afghanischstämmige Bürger*innen in Köln oder doch nur Germanischstämmige in Chemnitz?

Ich bin auch eine besorgte Bürgerin. Ich mache mir Sorgen um rechtsextreme Netzwerke in der Polizei. Nimmt das die Mehrheit der regierenden Politiker*innen ernst? Nicht wirklich. Denn ich stelle mich ja nicht vor eins ihrer Häuser und brülle rum. Und ich schlage Journalist*innen auch nicht die Kamera aus der Hand; so etwas ist nämlich eine Voraussetzung, damit Politiker*innen meine »Sorgen und Nöte« ernst nähmen.

Sheila Mysorekar
Sheila Mysorekar ist Journalistin und war langjährige Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen. Heute ist sie Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem bundesweiten Netzwerk aus rund 200 postmigrantischen Organisationen. Für »nd« schreibt sie die monatliche Medienkolumne »Schwarz auf Weiß«.

Unter dieser Phrase liegt ein Subtext, nämlich eine Fokussierung auf rechte Gruppen, welche die Politik gerne »abholen« möchte – die CDU und CSU vorneweg, aber auch die FDP. Aus Angst, aus Feigheit, aus Zustimmung, was weiß ich. Sie übernehmen in vielen Punkten die Sichtweise und Schlagworte dieser Gruppierungen – beispielsweise in Bezug auf Flüchtlingspolitik – in der irrigen Annahme, dieser clevere Move würde ihnen mehr Wähler*innenstimmen bringen. Disclaimer: Nein, tut es nicht. Vor allem die AfD profitiert davon; momentan ist sie laut Umfragen auf dem höchsten Stand der vergangenen fünf Jahre. In Thüringen ist sie die stärkste Partei.

Eine weitere beliebte Phrase: »Wir müssen die Bürger mitnehmen!« Das ist ebenfalls vom Ansatz her sehr anständig – die Regierung muss den Bürger*innen geplante Maßnahmen, neue Gesetze und ähnliches gut erklären. Sie muss vernünftig kommunizieren, die Gründe hinter Entscheidungen offenlegen und verständlich machen. So weit, so gut. Ich möchte in der Tat erklärt bekommen, warum das Bundesverkehrsministerium die Klimaziele verfehlen darf, ohne dass es Konsequenzen gibt.

Aber auch hinter dieser Phrase liegen Untiefen. Wie Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) dieser Tage sagte: »Wir können nicht gegen die Meinung und die Überzeugung der Menschen Klimaschutz betreiben.« Herr Wissing, das können Sie nicht? Aber Sie können doch offensichtlich gegen die Meinung und Überzeugung der Menschen Ihre Verkehrspolitik betreiben. Die große Mehrheit der Deutschen ist nämlich für ein Tempolimit. Klimaschutzmaßnahmen hätten zu »Verärgerungen in der Bevölkerung geführt«, lamentierte Wissing. Wer genau war denn verärgert, fragt man sich da, die Bevölkerung als Ganzes oder nur die Autolobby?

Sorgen und Ängste ernst nehmen, Bürger abholen, Menschen mitnehmen – Medien übernehmen diese Phrasen, ohne den Subtext zu bemerken, der sich da eingeschlichen hat. Nämlich, dass es um eine Beschwichtigung der Rechten in diesem Land geht. Konservative Politiker*innen hofieren sie, indem sie deren Schlagworte übernehmen. Das Bundesjustizministerium twitterte vorige Woche allen Ernstes den Satz: »Wir wollen Einwanderung in den Arbeitsmarkt – nicht in den Sozialstaat!« Genau so formuliert es auch die AfD.

Rassisten überfordern mich. Ich bin damit überfordert, meine Reisen so zu planen, dass ich nicht zufällig in »national befreiten Zonen« lande. Ich bin damit überfordert, dass Faschist*innen im Bundestag sitzen, von meinen Steuergeldern bezahlt werden und Leute wie mich bedrohen.

Die Regierung soll die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen, die wirklich gefährdet sind: Wir brauchen Maßnahmen gegen strukturellen Rassismus, gegen rechte Unterwanderung von Sicherheitskräften, gegen Bewaffnung von Rechtsradikalen. Und es ist mir egal, ob irgendein Dödel in Sachsen damit überfordert wäre, seine Reichskriegsflagge abzuhängen.

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