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Fußball-Aktivistinnen aus Iran und Afghanistan: Niemals aufgeben!

Khalida Popal und Maryam Majd eint die Unterdrückung in ihren Heimatländern – und die Bestimmung, immer dagegen anzukämpfen

  • Frank Hellmann, Eindhoven
  • Lesedauer: 6 Min.
Maryam Majd schoss 2018 eindrucksvolle Bilder von afghanischen Fußballerinnen in Teheran. Den Kontakt vermittelte Khalida Popal.
Maryam Majd schoss 2018 eindrucksvolle Bilder von afghanischen Fußballerinnen in Teheran. Den Kontakt vermittelte Khalida Popal.

Es hätte nicht viel gefehlt, dann hätten sich Khalida Popal und Maryam Majd endlich, endlich mal persönlich getroffen. Die afghanische Fußballerin und die iranische Fotografin kennen sich seit Langem, haben häufig über soziale Medien miteinander kommuniziert, ehe sich ihre Wege in Eindhoven beim Finale der Champions League der Frauen zwischen dem FC Barcelona und VfL Wolfsburg (3:2) kreuzten. Doch die eine saß auf der Tribüne, die andere arbeitete am Platzrand. Khalida Popal war bei einer Veranstaltung von Europas Fußballunion Uefa als Rednerin eingespannt, Maryam Majd in ihrem Job beschäftigt. »Wir werden uns bald sehen, da bin ich mir ganz sicher«, sagt Majd, die noch eine Weile in den Niederlanden bleiben wird. Auch Popal lebt nicht mehr in ihrer Heimat, sondern seit vielen Jahren in Dänemark.

Die Biografien der beiden 36-Jährigen ähneln sich, sie sind Schwestern im Geiste: Khalida Popal wuchs in einem afghanischen Kriegsgebiet auf, verließ das erste Mal als Neunjährige ihre Heimat. Als sie mit ihren Brüdern aus Pakistan zurückkam, war das Einzige, »was mich motivieren konnte, der Fußball. Doch man sagte mir, ich gehöre in die Küche, und ich existiere, um einem Mann zu dienen«. Trotzdem schaffte sie es, ein afghanisches Fußball-Nationalteam der Frauen zu gründen. Als sie erstmals das Trikot trug, schossen ihr Tränen in die Augen. Sie kam als erste Frau in den Vorstand des Fußball-Verbandes, gründete eine Liga an Schulen und unterstützte Frauen darin, ihre Stimmen zu erheben. Als sie nun im Veranstaltungscenter Evoluon von Eindhoven vor ehemaligen und aktuellen Weltklassespielerinnen wie Lotta Schelin, Beth Mead oder Conny Pohlers von Drohungen und Einschüchterungen erzählte, stockte mehrfach ihre Stimme. 2016 floh sie endgültig. Erst nach Norwegen, dann nach Dänemark.

Im selben Jahr beschloss Maryam Majd, sich als Fotografin in ihrer Heimatstadt Teheran selbstständig zu machen. Seit 2004 hatte sie vor allem frauenbezogene Themen ins Blickfeld genommen – und dafür einen hohen Preis gezahlt, als sie vor der WM 2011 in Deutschland grundlos ins Gefängnis musste – bloß um ihre Ausreise zu verhindern.

Mittlerweile war sie mehrfach in Europa, hat Kontakte aufgebaut. Sie weinte vor Glück, als sie bei der WM 2019 in Frankreich fotografieren durfte. Einige Medien im Iran nahmen ihr damals noch Bilder ab, inzwischen ist sie mit einem Bannstrahl belegt.

Die Lebensläufe der beiden mutigen Frauen weisen zahlreiche Brüche und erschreckende Parallelen auf, weil sie in autoritären, patriarchalischen Gesellschaften zwangsläufig zur Zielscheibe derjenigen werden, die die Vormachtstellung der Männer erhalten wollen. In Afghanistan haben nach der Machtergreifung der Taliban Frauen und Mädchen nicht mal mehr einen Anspruch auf Bildung. Im Iran schlagen die erzkonservativen Mullahs die von der Frauenbewegung getragenen Proteste blutig nieder und schrecken auch vor Hinrichtungen nicht zurück. Popal und Majd macht die Situation schwer zu schaffen; beide betrachten den Sport als Hebel, »um die Kultur zu verändern«, so Popal. Der Fußball eigne sich dafür am besten: »Wenn man den Platz betritt, spielt es keine Rolle, wer man ist, man spielt dasselbe Spiel. Deshalb ist Fußball eine gute Lektion für alle Menschen.«

So wie sie den sprachlosen Frauen eine Stimme vermittelt, gibt Majd ihnen ein Gesicht. »Bei vielen Themen, vor allem im Iran und in Afghanistan, habe ich versucht, Fotos von Sportlerinnen zu machen, die ihre ganz eigene Geschichte haben.« So hat sie die kurzzeitige Öffnung der Stadien in Teheran im Herbst 2019 verfolgt, flog im selben Jahr nach Kabul, als der afghanische Verbandspräsident Keramuudin Karim wegen sexuellen Missbrauchs mehrerer Nationalspielerinnen von der Fifa gesperrt wurde.

Die Betroffenen kannte Majd schon, nachdem das Nationalteam 2018 zwischenzeitlich in Teheran trainiert hatte. Den Kontakt zu ihnen hatte Khalida Popal vermittelt, die heute die Organisation »Girl Power« leitet, um Frauen zu stärken und Brücken zwischen Gesellschaft und Geflüchteten zu bauen. Sie wirkte entscheidend daran mit, vor knapp zwei Jahren ein Hilfsteam zu organisieren, um 75 Personen des afghanischen Frauen-Nationalteams inklusive deren Angehörigen nach Australien im Zuge der Machtübernahme der Taliban auszufliegen. Wer mit ihr spricht, erkennt mitunter dennoch ihre Verzweiflung. Gleichzeitig berührt es, wie sie sich weiter für die Sportlerinnen einsetzt, deren Schicksal sie wie keine andere nachempfinden kann. Ihr Rat: »Jedes Mal, wenn ich zurückgestoßen wurde, bin ich wieder aufgestanden.«

Auch Maryam Majd arbeitet immer wieder in Sackgassen, aus denen scheinbar kein Ausweg führt. »Ich habe zu Hause seit Monaten meinen Beruf in der Sportfotografie nicht mehr ausüben können.« Sicherheitskräfte im Iran verwehrten ihr oft ohne Angabe von Gründen den Zugang zu den Sportstätten. Ohnehin würden viele iranische Sportlerinnen gerade das Land verlassen, erzählt sie. Ihre persönliche Lage nennt sie ein Desaster, denn: »Überall wird meine Arbeit anerkannt, nur mein eigenes Land mag mich nicht.«

Sie ist froh, dass sie nach Turin reisen konnte, wo seit dem 1. Juni eine auf Frauenthemen spezialisierte Ausstellung (»R-Women«) auch ihre Fotos zeigt. Vorläufig will sie in den Niederlanden bleiben. An Kontakten fehlt es nicht, schließlich ist sie bei Wettbewerben wie den »AIPS Media Awards« oder »Photography 4 Humanity« mehrfach ausgezeichnet worden. Ihre alte Kamera wird sogar im Fifa-Museum in Zürich ausgestellt. Der Weltverband half ihr auch bei der Männer-WM 2022 in Katar, wo die Fotografin vielleicht gerade wegen der Teilnahme der iranischen Nationalmannschaft den Druck des Regimes spürte, das dort keine Frauen als mediale Begleitung wünschte.

»Vielleicht haben mich die Schwierigkeiten, mit denen ich immer konfrontiert war, zu einer Kämpferin gemacht, die sich vor nichts fürchtet. Wenn etwas passiert, ohne dass man sich Sorgen machen muss, überrascht mich das«, sagt sie und lässt dann noch tiefer blicken: »Ich habe mich oft frustriert und hoffnungslos gefühlt und hatte das Gefühl, auf dem Höhepunkt meiner Blüte und Vitalität allmählich zu sterben. Das Einzige, was mich gerettet hat, ist die Fotografie.«

Aufgeben ist auch für sie keine Option. Ihr nächstes Ziel ist die Frauen-WM in Australien und Neuseeland im Sommer. Akkreditierung und Visum hat die Freiberuflerin schon, aber noch keine Aufträge, um den teuren Trip zu finanzieren. Aber sie hat schon viel höhere Hürden übersprungen. »Mein ganzes Leben ist geprägt davon, gegen Widerstände zu kämpfen. Es ist wohl meine Bestimmung.«

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