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Rassismus gegen Muslime: Stereotype führen zu Gewalt

Expertenrat veröffentlicht Bericht zu Muslimfeindlichkeit in Deutschland

Die 2014 in Sachsen gegründete rechtsradikale Pegida-Bewegung steht nur für eine besonders extreme Variante von Feindseligkeit gegenüber Menschen, die allein aufgrund ihrer Herkunftsländer als Gefahr dargestellt wurden und werden. Pegida steht für »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes«. Schon lange vor dem Spätherbst 2015, als sich viele Menschen aus dem Kriegsland Syrien, aus Afghanistan, Libyen und Somalia auf den Weg nach Deutschland machten, sprachen die Veranstalter der Pegida-Demonstrationen von »Umvolkung« und davon, dass vermeintliche Urdeutsche nun »fremd im eigenen Land« seien.

Insbesondere junge Männer aus arabischen Staaten wurden und werden pauschal als Gefahr für Frauen dargestellt. Zur Verbreitung des Feindbildes »Nafri« –- Polizeijargon für »Nordafrikanischer Intensivtäter« – haben dabei eben nicht nur Neonazis und Rechtspopulisten beigetragen, sondern stark auch Behördenvertreter, Prominente, Medienleute, Experten und Politiker aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Ein Beispiel: Der gerne in die großen Talkshows als Islam-Experte eingeladene Niederländer Ruud Koopmans, der Probleme in armen Stadtteilen nahezu ausschließlich auf die Anwesenheit einer muslimischen Community zurückführt.

Und dann sind da noch die Feldzüge der Publizistin Alice Schwarzer gegen »den« Islam und die Kampagnen deutscher feministischer Gruppen gegen das muslimische Kopftuch. Seine Trägerinnen werden von diesen Initiativen gern pauschal als fremdbestimmte und zu rettende Wesen wahrgenommen. Die Gemengelage ist dabei komplex, denn an solchen Kampagnen beteiligen oft Personen, die einen liberalen Islam vertreten.

Am Ende bleibt die Frage, wo berechtigte Kritik an den immer mehr Raum greifenden reaktionären Richtungen des Islam, die in Verbindung etwa mit dem Regime im Iran oder in der Türkei stehen, in antimuslimischen Rassismus übergeht. Dass letzterer, also Stereotype und Vorurteile in Deutschland kein Randphänomen, sondern sehr weit verbreitet sind, ist der zentrale Befund des Unabhängigen Expertenrats Muslimfeindlichkeit (UEM), der am Donnerstag den 400-seitigen Abschlussbericht seiner zweieinhalbjährigen Tätigkeit vorstellte. Die muslimische Bevölkerung – immerhin 5,5 Millionen Menschen – sei »eine der am meisten unter Druck stehenden Minderheiten«, heißt es darin.

Jeder Zweite in Deutschland stimmt dem Bericht zufolge muslimfeindlichen Aussagen zu. Deutsche schreiben Muslimen und als muslimisch wahrgenommenen Menschen demnach pauschal »weitestgehend unveränderbare, rückständige und bedrohliche Eigenschaften« zu. Insbesondere Frauen, die ein Kopftuch tragen, berichteten von »drastischen Formen von Anfeindungen«. Nach Angaben von UEM-Mitglied Yasemin El-Menouar erfährt etwa ein Drittel der muslimischen Bevölkerung nicht nur ab und zu, sondern regelmäßig Diskriminierung.

Rassistische Vorurteile haben im Alltag von Muslimen und als muslimisch Wahrgenommenen handfeste Folgen. In Ausbildung und Beruf wie auch bei der Wohnungssuche erleben sie sehr häufig Benachteiligungen. Die fangen schon in der Schule an, wo die Leistungen von Kindern aufgrund ihres Namens und ihrer Herkunft häufig schlechter bewertet werden, auch das ein empirischer Befund des Berichts des UEM. Und: Vorurteile schlagen oft in Gewalt um, das dokumentieren der UEM-Report und das am 26. Juni von der Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (Claim) veröffentlichte Lagebild zu antimuslimischem Rassismus.

Eine besondere Gefahr geht laut dem UEM von Diskussionen in Online-Netzwerken aus. Deutsche soziale Medien bildeten einen »toxischen Diskursraum, dessen rassistische Sprechakte pogromartige Gewalt wie in Hanau fördern können«. Der Expertenrat war übrigens im September 2020 vom damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eingesetzt worden – unter dem Eindruck der rassistischen Mordserie am 19. Februar 2020 in Hanau. An jenem Tag erschoss ein deutscher Rassist in der hessischen Stadt neun von ihm als migrantisch wahrgenommene Menschen und verletzte weitere schwer.

Zur Reproduktion von Stereotypen tragen maßgeblich auch Medien und der Kulturbetrieb bei. So werden Islam wie Muslim*innen nach einer repräsentativen UEM-Studie in den großen deutschen Medien häufig in einem negativen Kontext behandelt. Es gehe oft um von ihnen ausgeübte Gewalt; die Debatte sei auf religiöse Faktoren verengt. Gegen sie gerichtete Gewalt sei hingegen ein Randthema. Zudem fehlten Darstellungen ihres Alltags. Einer weiteren UEM-Analyse zufolge zeigen zudem fast 90 Prozent der untersuchten deutschsprachigen Filme Negativbezüge zum Islam: »Im Mittelpunkt stehen Geschichten über Terroranschläge, Radikalisierung, Kriege und Frauenunterdrückung.«

Der Expertenrat fordert von der Bundesregierung die Einrichtung eines Sachverständigenrates und die Ernennung eines Bundesbeauftragten für die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit. Zudem müssten Beschwerde-, Melde- und Dokumentationsstellen auf- und ausgebaut werden. Weiter empfiehlt der Rat für das Personal von Kitas und Schulen, Sicherheitsbehörden, Justiz, Verwaltungen, Medienhäusern und Kultureinrichtungen Schulungen zur Sensibilisierung. In den Schulen müsse die Auseinandersetzung mit Vorurteilen gegen Muslime verpflichtend werden. An die Kultusministerkonferenz appelliert der UEM, eine »fächerübergreifende Überarbeitung der Lehrpläne und Schulbücher« anzuordnen, um muslimfeindliche Inhalte zu entfernen.

Der UEM, dem derzeit vier Frauen und fünf Männer angehören, hat Anhörungen veranstaltet und Studien in Auftrag gegeben. Mit seinem Bericht soll sich nun die Deutsche Islam-Konferenz, ein Dialogforum zwischen Staat und Muslimen, befassen. Im Herbst sollen die Befunde des Expertenrats Thema auf einer Fachkonferenz sein.

Das Gremium übergab den Report am Donnerstag dem Bundesinnenministerium. Ressortchefin Nancy Faeser (SPD) versprach, dass sich die Bundesregierung »intensiv mit den Ergebnissen und Handlungsempfehlungen beschäftigen und alles tun« werde, »um Diskriminierungen abzubauen«. Muslimisches Leben gehöre zu Deutschland, alle sollten die gleichen Chancen haben.

Die Claim-Allianz hat in ihrem bereits am Montag veröffentlichten Lagebild fast 900 Fälle von antimuslimischem Rassismus erfasst. Darunter sind 500 verbale Attacken und 190 Fälle von Diskriminierung. Unter den 167 erfassten Gewaltdelikten sind 71 Körperverletzungen, 44 Sachbeschädigungen, drei Brandstiftungen und 49 weitere Gewalttaten. Von tätlichen Angriffen waren demnach vermehrt Jugendliche und Kinder betroffen. Auch elf Drohbriefe an Moscheegemeinden wurden erfasst. Bei diesen wie auch bei anderen Vorfällen sind laut dem UEM »Verschränkungen mit dem Antisemitismus« erkennbar.

Der Expertenkreis und Claim gehen von einer hohen Dunkelziffer aus, weil Angriffe, Beleidigungen oder Belästigungen nur selten zur Anzeige gebracht würden. Viele Betroffene wüssten zudem nicht, dass es Beratungs- und Unterstützungsangebote gibt.

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