Genderverbote als Ausdruck eines rechten Kulturkampfes

Veronika Kracher über eine angebliche Sprachdiktatur, die das Gender-Sternchen vorschreibt

Feminismus: Genderverbote als Ausdruck eines rechten Kulturkampfes

In Deutschland herrscht Diktatur – eine Diktatur der Sprache! Fiese Feminist*innen haben sich verschworen, der guten deutschen Sprache den Garaus zu machen zugunsten eines queeren NEUSPRECH. Ihr Ziel: die Verformung der deutschen Gesellschaft! Vor allem auf die herrschenden Vorstellungen von Geschlecht haben es diese verrückten Genderleute mit ihrer sprachlicher Inklusion abgesehen: Denn wo heute ein Gendersternchen steht, wird morgen eine Penis-Guillotine aufgebaut. Auch nur ein falsches Wort, das flüsterleise über die Lippen kommt, kann zu Gesichtsverlust, ja einem kompletten Ausschluss aus der Öffentlichkeit führen. Überall spitzeln Denunziant*innen, überall hat die geheime Sprachpolizei ihre Wanzen versteckt, um sprachliche Vergehen zu dokumentieren: im Internet, an Universitäten, in Zeitungen. Und wer auch nur einmal das Gendersternchen vergisst, wird sofort von einer Gruppe queerer Linguist*innen an den öffentlichen Pranger gestellt und muss laut aus den Texten von Lann Hornscheidt vorlesen, um Buße zu tun.

Veronika Kracher

Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.

Doch zum Glück gibt es ein paar rebellische Underdogs, die den Mumm haben, gegen diese verbale Verbotsherrschaft vorzugehen: Landesregierungen der CDU zum Beispiel. Aus ihrer ausgesprochen marginalisierten Position haben sie es geschafft, den übermächtigen Feind »Gendersternchen in Instagram-Posts des ÖRR« in einer konservativen Revolution zu besiegen!

Das zumindest ist das Narrativ jener Personen, die den Kampf gegen geschlechtergerechte Sprache zu einem der zentralen Punkte ihres rechten Kulturkampfes gemacht haben. Ganz im Sinne einer autoritären Revolte behaupten sie, gegen eine kulturelle Hegemonie anzukämpfen, die so eigentlich nicht existiert: Nicht an der Tagesordnung ist das auch über die Sprache vermittelte Patriarchat in Deutschland, sondern eben eine omnipräsente, queere »Femokratie«. Damit bedienen sie effektiv die Kränkung von Antifeminist*innen, Konservativen und generell Menschen, die so verunsichert von Veränderung sind, dass sie sich schon von einem Genderstern bedroht fühlen. Diese bekommen vermittelt: Nein, sie sind nicht diejenigen, die seit Jahrhunderten am gesellschaftlichen Drücker sind, der langsam durch vehemente progressive Kämpfe ein bisschen gelockert wird. Sondern sie werden unterdrückt, weil jetzt hin und wieder in Zeitungen oder im Radio oder Printmedien gegendert wird.

Aber zum Glück können sie sich jetzt wehren – indem sie zum Beispiel ihr hart verdientes Geld dem Millionär und Comedian Mario Barth für ein Shirt mit der Aufschrift »Ich gender nicht« in den Rachen schmeißen und sich damit richtig rebellisch fühlen. Oder eben eine Partei wie die CDU oder AfD wählen, die in den Krieg gegen die Sterne zieht und quasi das einzige ist, was zwischen einer geordneten Welt und einem queeren Terroranschlag auf die nächste Vollversammlung des Vereins Deutscher Sprache e.V. steht.

Der Hass gegen feministische Kämpfe, der sich gerade regelmäßig am Gendern aufhängt, ist häufig verbindendes Element zwischen radikaler und konservativer Rechter. Dies zeigt sich immer wieder in gemeinsamen Anträgen von AfD und CDU oder FDP gegen inklusive Sprach- und Schreibweisen. Ein paar Beispiele: Im März 2023 haben CDU und FDP in Stralsund für den AfD-Antrag »Gendern konsequent unterbinden – Kommunikation in regelkonformer Sprache« gestimmt. In Thüringen hat die CDU mit Unterstützung der im Bundesland gesichert rechtsextremen AfD den Antrag »Gendern? Nein danke« durchsetzen können. In Sachsen-Anhalt hat das CDU-geführte Bildungsministerium die Verwendung von Gendersternchen im Unterricht verboten – zur Freude der AfD. Und inzwischen müssen diese Anträge nicht einmal von Rechtsaußen kommen: Bürgerlich-Konservative führen diesen Kampf ganz brav alleine, wie beispielsweise die Gender-Verbote in Bayern und nun auch Hessen zeigen (ironischerweise hatte die hessische CDU 2021 noch gegen einen Antrag der AfD für ein Genderverbot gestimmt). Dies ist ein weiterer Nachweis dafür, inwieweit vor einigen Jahren noch primär rechtsradikale Talking-Points Teil des politisch-bürgerlichen Mainstreams geworden sind.

Vor allem aber zeigt der Diskurs eine Sache auf: Dass diejenigen, die sich am lautesten als Opfer gerieren, häufig diejenigen sind, die selbst die Gewalt ausüben. Einen feministischen »Genderzwang« gab es nie – rechte Genderverbote gibt es inzwischen jedoch zur Genüge.

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