Rechtsextremismus: Polizei-Beschwerdestellen sind kaum bekannt

Experten kritisieren fehlende Befugnisse von angeblich unabhängigen Beauftragten

Protest gegen tödliche Polizeigewalt in Mannheim. Dort hatten zwei Beamte im Mai 2022 einen Menschen mit Migrationshintergrund in einer psychischen Ausnahmesituation getötet.
Protest gegen tödliche Polizeigewalt in Mannheim. Dort hatten zwei Beamte im Mai 2022 einen Menschen mit Migrationshintergrund in einer psychischen Ausnahmesituation getötet.

Bei den unabhängigen Polizei-Beschwerdestellen der Länder gehen nur relativ wenige Beschwerden über rassistische Äußerungen und Handlungen von Polizeibeamten ein. Außerdem sind die Befugnisse und der personelle Aufwand, der dort betrieben wird, teils sehr unterschiedlich. Das ergab eine bundesweite Umfrage des Mediendienstes Integration. Auch Uli Grötsch, der neue Beauftragte für die Polizeien des Bundes, sieht sich mit Startschwierigkeiten konfrontiert. Das machte der SPD-Politiker am Dienstag bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung der Umfrage deutlich.

Unabhängige Polizeibeauftragte oder Bürgerbeauftragte gibt es derzeit in acht der 16 Bundesländer. Die Umfrage belegt jedoch, dass ihre Möglichkeiten oft begrenzt sind. Nur in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein dürfen die Beschwerdestellen uneingeschränkt Akten einsehen. Eigene Untersuchungen, wenn parallel bereits Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln, darf nur die Stelle im Land Berlin vornehmen. Außerdem haben die Polizeibeauftragten teils nur wenige Mitarbeitende. Rassistische und antisemitische Verdachtsfälle werden nicht einheitlich erfasst.

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Zudem ist die Existenz der Stellen häufig nicht bekannt, mit Rheinland-Pfalz hat nur ein Bundesland mehrsprachige Informationsmaterialien über die Möglichkeit von Beschwerden gegen die Polizei erstellt. Gerade die übertriebene Gewalt gegen Menschen, die von der Polizei als Migranten gelesen werden, ist jedoch ein Problem, das die Beschwerdestellen eigentlich bearbeiten sollen.

Das könnte der Grund sein, weshalb die Beauftragten bislang wenige Eingaben verzeichnen. Den Angaben zufolge nahm etwa die Stelle von Baden-Württemberg im vergangenen Jahr elf Beschwerden zu Rassismus bei der Polizei entgegen. In Hessen wurden 2023 demnach 13 »rechte Verdachtsfälle« von Bürgern gemeldet. Bei der Polizeibeauftragten des Landtags in Rheinland-Pfalz seien von 2021 bis 2023 keine Beschwerden über Rassismus eingegangen, hieß es.

Der Bundestag hatte im März Uli Grötsch zum ersten Polizeibeauftragten des Bundes gewählt. Seine Zuständigkeit umfasst Bundespolizei, Bundeskriminalamt (BKA) und die Polizei beim Deutschen Bundestag. Bei ihm gingen täglich drei bis vier Eingaben ein, sagte er am Dienstag bei dem Pressegespräch. Allerdings betreffen nicht alle dieser Eingaben Rassismus. Etwa 70 Prozent der Meldungen seien aus der Bevölkerung gekommen, 30 Prozent aus der Polizei selbst.

Bei der Pressekonferenz des Mediendienstes hinterließ Grötsch einen unsicheren Eindruck. Zudem sehe er seine Aufgabe auch darin, dass die Polizei »ein attraktiver Arbeitgeber« werde. Kritisiert wird, dass Grötsch selbst 19 Jahre bei der Polizei gearbeitet hat und deshalb kaum als unabhängig gelten kann. Sehr direkt sagte dies am Dienstag auch der Antirassismus-Experte Abdou Rahime Diallo, der unter anderem die Bundespolizei und das BKA berät. Grötsch sei ein »weißer privilegierter Mann«, der die Betroffenheiten von Menschen, die als migrantisch gelesen werden, kaum nachvollziehen könne, so Diallo. Als Beispiel nennt er den toten Gambier Lamin Touray, der am Samstag von der Polizei in Nienburg mit acht Schüssen niedergestreckt wurde. Der tödliche Einsatz müsse laut Diallo »ehrlich und neutral« aufgeklärt werden.

Auf der Pressekonferenz wurde deutlich, dass die meisten der Mitarbeitenden in den Beschwerdestellen weiß sind. Das sieht auch Grötsch als Problem und wünscht sich »jemanden mit schwarzer Hautfarbe« sowie Menschen aus dem arabischen Raum, »im Idealfall auch LGBTI-Personalkörper«. Jedoch stehe einer solchen Auswahl das Beamtenrecht entgegen.

Diallo fordert, dass die Polizeibeauftragten auf die existierenden Initiativen von Betroffenen zugehen. Zudem dürfe der Antirassismus bei der Polizei nicht nur »Vielfalt« adressieren, sondern auch strukturellen, in den Institutionen verankerten Rassismus zum Thema machen.

Hier sei die deutsche Polizei aber schon ein Stück des Weges gegangen, wie der Polizeiwissenschaftler Hartmut Aden schilderte. Auch in der Ausbildung werde inzwischen über Rassismus geredet und Arbeiten an Hochschulen würden verfasst. Zudem seien zunehmend mehr Menschen mit eigener Betroffenheit von Rassismus im Polizeidienst tätig. Jedoch gebe es weiterhin hohen Forschungsbedarf, auch zu Diskriminierungen gegen andere Bevölkerungsgruppen. Aden, der an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht selbst Polizisten ausbildet, nennt als weitere, häufig unbeachtete Merkmale Alter und sexuelle Orientierung.

Als Hauptproblem von Polizeigewalt sieht Aden das Vorgehen gegen Menschen mit psychischen Problemen. Insbesondere in Deutschland sei die Polizei »nicht hinreichend vorbereitet«, auf andere Weise als mit Waffengewalt zu deeskalieren. Zudem fehle es an Rechtssicherheit in Bezug auf das Filmen von Polizeimaßnahmen, das Beamte immer wieder zu verhindern suchten. Hierzu forderte Aden eine gesetzliche Klarstellung.

Keiner der Experten auf der Pressekonferenz wagte eine Einschätzung, ob die Zahl von mindestens 400 Ermittlungen wegen des Verdachts auf rechtsextreme Gesinnung und Verschwörungsideologien gegen Polizisten nur die Spitze des Eisbergs sind. Über diese Disziplinarverfahren und Ermittlungen hatten vergangene Woche »Stern« und RTL berichtet. Da mit Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Thüringen vier Bundesländer keine aktuellen Zahlen angaben, dürfte die tatsächliche Zahl deutlich höher liegen.

Auch beim BKA laufen drei Verfahren gegen Polizisten wegen des Verdachts auf eine rechtsextreme Gesinnung oder das Vertreten von Verschwörungsideologien, wie ein Sprecher dieser Zeitung mitteilte. In zwei Fällen seien Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Alle Verfahren ließen sich dem Bereich »Politisch motivierte Kriminalität – rechts« zuordnen. Die Bundespolizei sah sich auch nach fast einer Woche nicht in der Lage, auf Anfrage des »nd« entsprechende Zahlen zu nennen.

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