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RAF: Gegen die Haie
RAF, wie hast du dich verändert: Für die ARD betrachtet Stefan Aust abermals die Gefangenen in Stammheim, gegen die vor 50 Jahren der Prozess begann
Die Rote Armee Fraktion (RAF) ist weit weg, ihre Geschichte ist fast schon fast eine deutsche Volkssage geworden. Wäre nicht im vergangenen Jahr ihr mutmaßliches ehemaliges Mitglied Daniela Klette, nach der über Jahrzehnte vergeblich gesucht wurde, verhaftet worden, wüssten viele gar nicht mehr, was das überhaupt einmal war, der sogenannte bewaffnete Kampf.
1970 als Experiment gegründet, ob man nach lateinamerikanischem Vorbild eine »Stadtguerilla« in der Bundesrepublik aufbauen könnte, »um die Konflikte auf die Spitze zu treiben«, wurde die RAF erst 1998 aufgelöst, als schon lange klar war, dass sie komplett gescheitert war. Statt wie angestrebt die »Reorganisation des Proletariats« zu erreichen, entwickelte sich der bewaffnete Kampf zu einem blutigen und trostlosen Desaster, was den Staat stärkte und nicht schwächte. Wer seitdem hierzulande von revolutionärer Erhebung und ähnlichem spricht, gilt als nicht ganz dicht. Das hat die RAF geschafft.
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Eine lebensgefährliche Einstellung
Die Konstituierung des kompromisslos starken Staats fand in Stuttgart-Stammheim statt, im Hochsicherheitsgefängnis und beim Strafprozess gegen die gefangenen RAF-Gründer als Vertreter der äußersten Linken, was diese nicht überlebten. Gerade deshalb entwickelten sie eine ganz besondere Strahlkraft. Egal, ob sich Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe in Stammheim selbst umgebracht haben (sehr wahrscheinlich) oder nicht (wie ihre Anhänger sagten), ihr Tod zeigte, dass es auch im Gefängnis lebensgefährlich ist, den Staat bekämpfen zu wollen.
Vom Verlauf dieser Konfrontation handelt das Dokudrama »Stammheim – Zeit des Terrors« von Niki Stein und Stefan Aust, das nun in der ARD läuft. Der Prozess gegen die erste Generation der RAF begann am 21. Mai 1975. Es war, wie die RAF richtigerweise sagte, ein politischer Prozess, gerade weil der Staat behauptete, er führe ein normales Verfahren nach dem Strafgesetzbuch gegen Kriminelle, die bei ihren Aktionen geraubt und gemordet hatten. Allerdings tat er dies in einem neu gebauten, fensterlosen Gerichtssaal, direkt neben dem Hochsicherheitsgefängnis, in dem die RAFler unter Sonderbedingungen einsaßen. Darin wurde nach neuen, kurz vorher geschaffenen Gesetzen verhandelt: vor allem konnten die Angeklagten und ihre Anwälte vom Verfahren ausgeschlossen werden, das dann aber trotzdem weiterlief.
Gegen einen solchen Staat sah sich die RAF im Krieg und ihre Inhaftierten als Kriegsgefangene, weshalb Andreas Baader erklärte, die RAF sei »nicht justiziabel«. Auch im Gerichtssaal sollte der politische Konflikt auf die Spitze getrieben werden, was man sich im Fernsehfilm »Stammheim« anschauen kann. Erklärt bekommt man die politische Auseinandersetzung aber nicht, es geht hier um Atmosphäre und individuelle Psychologie – leider.
An der Himmelstür klopfen
Zu Beginn werden Ulrike Meinhof (Tatiana Nekrasow) und Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) per Hubschrauber in das Gefängnis geflogen, das wie eine Festung erscheint, gefilmt in Schwarz-weiß, zu den Klängen von Bob Dylans »Knockin’on heaven’s door«. Dazwischen geschnitten gibt es Originalaufnahmen aus den 60ern (Martin Luther King, Bomben auf Vietnam, Rudi Dutschke, die Demos, Benno Ohnesorg, aber auch die Original-Ensslin und die Original-Meinhof im Fernsehen). Klopfen an der Himmelstür, Aufnahmen irgendwo zwischen Utopie und Tod mit Realitätsanspruch: »Dieser Film beruht auf Protokollen und Erinnerungen handelnder Personen«, ist im Vorspann zu lesen. Gesammelt, aufbereitet und montiert von Stefan Aust, dem RAF-Cheferklärer, seit er 1985 den Bestseller »Der Baader-Meinhof-Komplex« verfasst hat, eine Art »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« in politisch.
Beim Betreten des Gefängnisses wird der Film farbig. Meinhof ruft in ihrer Zelle: »Wo ist meine Schreibmaschine? Ich muss arbeiten.« Und Ensslin tippt in ihrer Zelle die neuen Codenamen der Gruppe in die Maschine, abgeleitet aus dem Roman »Moby Dick« von Herman Melville: »Andreas ist Ahab...und der Smutje bin ich selbst. Der Koch predigt an Bord gegen die Haie.« Später werden Andreas Baader (Henning Flüsloh) und Jan-Carl Raspe (Rafael Stachowiak) ebenfalls nach Stammheim gebracht. Alle im selben Trakt, ganz oben. Am Ende des Flurs steht ein Tisch vor einer Wand mit Glasbausteinen. Da treffen sie sich und arbeiten an irgendwelchen Papieren, ketterauchend.
Der Erkenntnisstand der Bewegung
Was das alles soll, erfährt man später von Meinhof: »Es geht darum, den Erkenntnisstand der Bewegung von 67/68 historisch zu retten und nicht dem Klassenfeind zu überlassen.« Dafür kriegt sie aber von Ensslin gleich auf den Deckel, sie solle als »frühere Starjournalistin ihre Sozialisation zur Faschistin reflektieren«. Raspe bleibt ihr gegenüber freundlich, doch das Liebespaar Baader und Ensslin trampelt auf ihr rum. Das nimmt sie sehr mit und sie ist die Erste, die stirbt: 1976 wird sie erhängt in ihrer Zelle gefunden. Gemobbt, obwohl sie doch laut Ensslin »die Stimme der RAF« sei, oder vielleicht gerade deswegen? Das sind so die Fragen, die »Stammheim – Zeit des Terrors« aufwirft, die politischen werden nur ganz knapp angedeutet. Einmal sagt Meinhof im Prozess: »Haftzweck ist der Tod der Gefangenen«, und Raspe verliest vor Gericht eine Erklärung: »Es ist unmöglich, die Analogien zur Justiz des Dritten Reichs nicht zu sehen.«
Wer wissen will, was die RAF eigentlich wollte, muss sich stattdessen andere Filme über sie anschauen. In »Baader-Meinhof-Komplex« (2008) von Bernd Eichinger bekommt man die Entwicklung dieser strengen Gruppe aus der antiautoritären 68er Revolte vorgeführt, in »Stammheim« (1986), mit dem Reinhard Hauff die Berlinale gewann, wird der Kampf der Gefangenen vor Gericht erklärt.
Bemerkenswert ist, dass Stefan Aust auch für diese Filme das Drehbuch geschrieben hat bzw. als inhaltlicher Berater fungierte. Der ehemalige Chefredakteur des »Spiegel« kennt sich aus, wie Ulrike Meinhof kommt er aus der alten »Konkret« der 60er Jahre und er holte ihre kleinen Töchter 1970 aus Sizilien, damit sie nicht zur PLO kamen, als ihre Mutter in den Untergrund ging.
Austs Perspektiven auf die RAF und ihre handelnden Figuren variieren über die Jahrzehnte, man kann an ihnen die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas ablesen. Politisch am stärksten ist »Stammheim« aus den 80ern von Hauff. Dieser Film interessiert sich nicht für die gruppendynamischen Prozesse im Trakt, sondern spielt fast ausschließlich im Gerichtssaal, in dem die RAFler mit ihren Anwälten als radikale Intellektuelle auf einen konservativen Richter treffen, der daran scheitert, so zu tun, als wäre dies ein ganz normaler Prozess.
Ulrike Meinhof im Wandel der Zeit
Die Figur von Ulrike Meinhof wird hier als starke, kluge Persönlichkeit gezeichnet und Andreas Baader als scharfsinniger Analytiker. Ein Film aus den übersichtlichen 80er Jahren, als man davon ausging, es gibt ein linkes und ein rechtes Lager (die heute sagenumwobene Mitte interessierte nicht) und die RAF gehörte, wenn auch isoliert und peripher, historisch zu den Linken. Ihre sogenannte bewaffnete Politik wurde als unsinnig und menschenfeindlich verurteilt, doch oft wurde sich mit ihren Gefangenen solidarisiert, weil man deren Haft- und Justizbedingungen als Skandal empfand.
In der neoliberal frostigen Merkel-Zeit der Nullerjahre erinnerte dann Eichingers »Baader-Meinhof-Komplex« daran, dass Ende der 60er einmal auf der Straße, in der Kultur und an den Unis starke politische Hitze erzeugt worden war – von links. Das wurde wie in einem Actionfilm dargestellt, der sich im zweiten Teil in ein Kammerspiel wandelte, das in Stuttgart-Stammheim spielte. In diesem Film wirkt Meinhof schon etwas gebrochener und Baader wie ein quecksilbriger Rebell. Doch dramaturgisch und inhaltlich waren das aber immer noch sehr interessante Figuren.
Der neue Film »Stammheim – Zeit des Terrors« ist ein Remake des zweiten Teils vom »Baader-Meinhof-Komplex«, nur dass Meinhof jetzt als völlig verunsicherte Person dargestellt wird und Baader als ein Schreihals, der nicht besonders helle wirkt, Ensslin ist dagegen intelligenter, aber eifersüchtig. Das wird rein filmisch in sich recht stimmig dargeboten, bleibt aber eben auch nur Stimmung. Ganz im Stil des gegenwärtigen Zeitgeistes, von gesellschaftspolitischen Fragen abzusehen und alle Probleme bevorzugt individualpsychologisch abzuhandeln. Baader darf sich nur einmal freuen, dann, als die RAF draußen Hanns Martin Schleyer entführt, um die Stammheimer zu befreien. Die Entführung einer Lufthansamaschine nach Mogadischu durch ein Kommando der PFLP mit dem selben Ziel lehnt die RAF ab, erklärt Baader einem Vertreter der Bundesregierung, der ihn besucht.
Trotzdem erscheint die RAF im Knast im neuesten Aust-Film im Prinzip nur noch als Versammlung von schrägen Vögeln, vor deren Stimmungen gewarnt wird. Die muss dann der sie beaufsichtigende Vollzugsbeamte Horst Bubeck (Moritz Führmann) ausbaden, dem hier die meiste Empathie zugestanden wird, etwa, wenn er mit den Gefangenen mitleidet, wenn sie während eines Hungerstreiks zwangsernährt werden und er mitansieht, wie man ihnen einen Schlauch in den Hals steckt.
Diese Form der staatlichen Gewalt zu zeigen ist neu bei Aust. Ebenso die Überwachung der Gefangenen in ihren Zellen samt ihrem selbstgebauten Kommunikationssystem, bis zu ihrem Tod in der Nacht zum 18. Oktober 1977, nachdem die Lufthansa-Maschine in Somalia von der deutschen GSG 9 gestürmt worden war. Im Abspann heißt es: »Ob die Zellen in der Todesnacht und in den Tagen davor abgehört wurden, ist bis heute umstritten. Die zuständigen Behörden bestreiten das.« Das ist der Rest von Austs politischer Kritik am Staat.
»Stammheim – Zeit des Terrors«, 19.5., ARD, 20.15 Uhr und in der ARD-Mediathek
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