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Verfassungsrichterwahl: Konsenskandidatin für Karlsruhe?
Nach von der Union erpresstem Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf schlägt die SPD Sigrid Emmenegger als Verfassungsrichterin vor
Sigrid Emmenegger soll als von der SPD vorgeschlagene Kandidatin einen von drei vom Bundestag neu zu vergebenden Richterposten am Bundesverfassungsrichtern besetzen. Am Mittwochnachmittag wurde bekannt, dass sich CDU, CSU und SPD auf die 48-Jährige verständigt haben. Die Wahl der neuen Richter durch das Parlament soll noch im September stattfinden.
Grüne und Linke reagierten indes reserviert. Grünen-Ko-Fraktionschefin Britta Haßelmann monierte, dass die Regierungsfraktionen die Positionierung ihrer Partei nicht abwarteten, bevor sie mit der Personalie an die Öffentlichkeit gingen. Und die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Clara Bünger, betonte, für die Zustimmung ihrer Partei gebe es »keinen Automatismus«. Für die Wahl der Richter ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig. Die schwarz-rote Koalition braucht die Stimmen von Grünen und Linken, um nicht auf die der AfD angewiesen zu sein.
Aus Union und SPD kam viel Lob für die Kandidatin. Sie rückt an die Stelle der ebenfalls von den Sozialdemokraten nominierten Potsdamer Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf, die nach einer rechten Schmutzkampagne gegen ihre Kandidatur am 7. August davon zurückgetreten war. Spitzenvertreter insbesondere der CSU hatten Brosius-Gersdorf diesen Schritt zuvor nahegelegt. Zu viele Abgeordnete von CDU und CSU seien wegen »umstrittener« Positionen der Wissenschaftlerin unter anderem zum Schwangerschaftsabbruch nicht bereit, sie mitzuwählen, hieß es. Zum Zeitpunkt ihrer Nominierung Anfang Juli hatte die Union noch zugesagt, Brosius-Gersdorf zu wählen.
Über die neue Kandidatin schreiben der erste parlamentarische Geschäftsführer der Union, Steffen Bilger, und sein SPD-Amtskollege Dirk Wiese. »Die Fraktionsführungen haben jeweils in persönlichen Gesprächen ein sehr positives Bild von Frau Dr. Emmenegger gewinnen können und sind von ihrer persönlichen und fachlichen Geeignetheit für das Amt überzeugt.« Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann berichtete von einem »positiven Eindruck«. Die Juristin verfüge über »das erforderliche Maß an Zurückhaltung, was öffentliche Auftritte angeht«, befand er. Emmenegger mache auch nicht den Eindruck, »dass sie Kernpositionen der Union politisch infrage stellt oder eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts völlig auf den Kopf stellen möchte«. Hoffmann geht davon aus, dass in der Unionsfraktion bei Emmenegger »die Zustimmung vorhanden ist«.
»Es handelt sich um eine Kandidatin, die über das erforderliche Maß an Zurückhaltung verfügt, was öffentliche Auftritte angeht.«
Alexander Hoffmann CSU-Landesgruppenchef in der Unionsfraktion
Die Wahl der neuen Verfassungsrichter war im Juli kurzfristig abgesetzt worden, weil der Widerstand in der Unionsfraktion gegen Brosius-Gersdorf zu groß geworden war. Die beiden anderen Kandidat*innen sind der von der Union aufgestellte Bundesarbeitsrichter Günter Spinner und die von der SPD nominierte Staatsrechtlerin Ann-Katrin Kaufhold. Auch gegen Kaufhold hatten rechte Medien eine Kampagne gestartet. Es bleibt abzuwarten, ob es mit Blick auf ihre Person erneut zum Koalitionskrach kommt.
Und wer ist nun Sigrid Emmenegger? Die Richterin am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig (seit 2021) war zuvor bereits von 2009 bis 2013 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht tätig und arbeitete später am Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz. Das rechtspolitische Portal Legal Tribune Online berichtet, Emmenegger habe in den letzten fünf Jahren vor allem über Höchstspannungsfreileitungen und Erdkabel publiziert. Über ihre Positionen zu in der Gesellschaft strittigen Rechtsfragen sei nichts bekannt. Es lasse sich daher fragen, ob die SPD mit ihrer Nominierung »klug oder feige agiert«. Vielleicht, so Autor Christian Rath. Vielleicht habe sich aber auch einfach keine »feministische Rechtsprofessorin« gefunden, die sich »dem Hass und den Verleumdungen aussetzen« wolle, die Brosius-Gersdorf erfahren musste.
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann kündigte an, ihre Fraktion werde sich über die Personalie »zeitnah austauschen«. Dass die Regierungsfraktionen vor Bekanntgabe des Namens »nicht auf unsere Rückmeldung« gewartet hätten, sei »reichlich unprofessionell angesichts der Vorgeschichte«, sagte Haßelmann dem »Stern«. Ähnlich äußerte sich Clara Bünger. Jetzt müsse die Koalition so schnell wie möglich das Gespräch mit ihrer Fraktion suchen, »um für demokratische Mehrheiten zu sorgen und weiteres Chaos zu verhindern«, sagte die sie der »Rheinischen Post«. Die Linke müsse sich »die Kandidatin erst mal anschauen«, so Bünger gegenüber dpa.
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