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NS-Gedenken in Berlin: Zwischen Ausgrenzung und Zusammenhalt

»Tag der Erinnerung und Mahnung« kehrt nach Neukölln zurück

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Fahne der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten
Die Fahne der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten

»Berlin, ehrt alle toten und lebenden Helden – die Kämpfer gegen den Faschismus« lautete das Motto, mit dem am 9. September 1945 zu einer antifaschistischen Massengedächtnisfeier zur Werner-Seelenbinder-Kampfbahn in Neukölln aufgerufen wurde. Vier Monate nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus wurde die Gedenkfeier von den neugegründeten Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und den Mitgliedern der überall spontan in der Bevölkerung entstandenen Antifa-Komitees initiiert. Zehntausende Menschen beteiligten sich an der Kundgebung.

Es war die Geburtsstunde des »Tags der Erinnerung und Mahnung«, der seitdem jeden zweiten Sonntag im September in Berlin stattfindet. Nach der Wende hatten die Orte oft gewechselt, im vergangenen Jahr war es das nd-Gebäude am Franz-Mehring-Platz. 80 Jahre nach der ersten Gedächtnisfeier sind die Antifaschist*innen am Sonntag zurück zum Ursprungsort gekommen. Mit einem Fahrradkorso aus fünf Stadtteilen fuhren die Teilnehmer*innen zum Neuköllner Herrfurthplatz in der Nähe der heutzutage Werner-Seelenbinder-Sportpark genannten Sportstätte.

Die Geschichte des Orts stand zu Beginn der Veranstaltung im Zentrum: Die Sportstätte war bereits wenige Wochen nach der Befreiung nach dem 1944 von den Nazis hingerichteten kommunistischen Arbeitersportler benannt worden. Doch im Kalten Krieg versuchte der Westberliner Senat, die Erinnerung an den Widerstandskämpfer zu unterbinden. Der Name Seelenbinder verschwand aus dem Namen des Sportparks. Antifaschist*innen aus dem Ostteil Berlins wurden von der Westberliner Polizei in den 50er und 60er Jahren daran gehindert, seiner zu gedenken. Erst 2004 wurde die Sportstätte dann anlässlich seines 60. Todestags wieder nach Seelenbinder benannt.

In diesem Jahr stand der Gedenktag unter dem Motto »A wie Ausgrenzung – Z wie Zusammenhang«. Zahlreiche Initiativen hatten auf dem Herrfurthplatz ihre Stände aufgebaut. Neben der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BDA) präsentierten die Omas gegen Rechts und das Bündnis Berlin gegen Nazis Informationsmaterial über geplante antifaschistische Aktionen in Berlin. Auf der Bühne stellte Marco von der VVN das Bündnis Widersetzen vor, das bundesweit gegen AfD-Veranstaltungen mobilisiert. Im Oktober will das Bündnis den Parteitag der Berliner AfD blockieren, der wie in den vergangenen Jahren wieder in Jüterbog in Brandenburg stattfinden soll. Allerdings werde die Halle danach nicht mehr an die AfD vermietet, so dass es bei dem Protest auch etwas zu feiern gebe, kündigte Marco an.

In einer Podiumsrunde am Nachmittag wurde die Frage diskutiert, was Ausgrenzung mit dem Aufstieg der Rechten zu tun hat. Dort sprach auch Sascha Ubrig, der als Interessenvertreter für Menschen mit Beeinträchtigungen bei der Lebenshilfe arbeitet. Er betonte, wie wichtig die Erinnerung an die »Aktion T4«, also die systematische Ermordung von Menschen mit Behinderung unter den Nazis, für ihn ist. »Das hätte auch ich sein können und daher macht mir der Aufstieg der Rechten Angst«, sagte Ubrig. Er erinnerte daran, dass im vergangenen Jahr eine Scheibe bei der Lebenshilfe eingeschlagen wurde und die Täter rechte Parolen hinterließen.

Auch Georgi Ivanov von Amaro Foro, einer Selbstvertretung der Roma und Sinti, zeigte sich wenig optimistisch. Er betonte, dass die Zahl der Angriffe auf die Minderheit der Roma und Sinti, die von seiner Organisation dokumentiert werden, seit Jahren wächst. Auch über den Anstieg von antisemitischen und antimuslimischen Angriffen wurde auf dem Podium gesprochen. Am Ende blieb das Plädoyer, alle Formen dieser Gewalt zu bekämpfen und sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen.

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