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Antisemitismus im Villenviertel

Internationales Auschwitz-Komitee fordert Rücktritt der Leitung der John-F.-Kennedy-Schule

  • Esteban Engel
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach dem antisemitischen Mobbing eines Schülers der Zehlendorfer John-F.-Kennedy-Schule hat das Internationale Auschwitz-Komitee den Rücktritt der Schulleitung gefordert. Die »völlige pädagogische und politische Unfähigkeit der beteiligten Schuldirektion« sei für die Auschwitz-Überlebenden besonders empörend, erklärte Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner am Freitag. Die Schulleitung habe über Monate nichts gemerkt und falle jetzt »durch Unfähigkeit bei der Bearbeitung der Krise« auf.

»Wenn ausgebildete und in Führungs- und Vorbildfunktionen tätige Pädagogen diese Entwicklungen in ihrem direkten Umfeld nicht einmal mehr registrieren, geschweige denn thematisieren können, sollte ihnen die Versetzung verweigert werden«, sagte Heubner. Sie sollten vielmehr gerade an einer solchen Schule ihr Amt zur Verfügung stellen.

Nach seiner Einschätzung zeigt der Fall »eine völlig neue Dimension des alltäglichen Antisemitismus in Berliner Schulen«. Es offenbare sich »ein Ausmaß der Verrohung, das weit über die bisher widerstrebend eingestandenen Konflikterfahrungen mit dem alltäglichen antisemitischen Hass an Schulen in Berlin und in Deutschland« hinausgehe.

Was war vorgefallen? Ein Sticker auf dem Rücken mit einem Hakenkreuz, der Rauch aus einer E-Zigarette mit dem Hinweis: »Das soll dich an deine vergasten Vorfahren erinnern« - was am Donnerstag die Leiter der renommierten deutsch-amerikanischen John-F.-Kennedy-Schule in Berlin erzählen, dürfte nur ein Teil des Mobbings sein, mit dem Schulkameraden einem Neuntklässler zusetzten. Wenn die Berichte stimmen, hat der jüdische Junge tiefe seelische Verletzungen davongetragen.

Zuletzt wurden in Berlin immer wieder Fälle von Antisemitismus bekannt, so bei dem Angriff auf einen Kippaträger aus Israel. Der neue Fall hat aber wohl nichts mit muslimischen Einwanderern zu tun, mit sogenannten Problemvierteln wie Wedding oder Neukölln, sondern spielte sich im bürgerlichen Zehlendorf ab, in der »Mitte der Gesellschaft«. So reden Experten, wenn sie beschreiben wollen, wie sich Judenhass im deutschen Alltag eingenistet hat.

Die Leitung der Kennedy-Schule hat nach eigenen Angaben am 7. Juni vom dem Fall erfahren. Seitdem ist der Junge nicht mehr zum Unterricht erschienen. Wie lange er gemobbt wurde, können die Direktoren nicht sagen. Vielleicht zwei Tage, bevor die Eltern Alarm schlugen, vielleicht Monate. Die Schule habe sich aber umgehend mit den Eltern in Verbindung gesetzt, sagt Steffen Schulz, Leiter der Oberschulsparte der »JFKS«. Ein Gespräch mit Mitschülern und Beratern sei für das Opfer zu belastend gewesen, der 15-Jährige habe daran nicht teilnehmen wollen.

»Wir konnten die Familie nicht zufriedenstellen«, räumt der Geschäftsführende Direktor, Brian Salzer, auf Englisch ein. Er könne die Trauer und die Sorgen der Eltern verstehen. Die Direktoren und die Schulrätin bemühen sich um Schadensbegrenzung, nennen aber keine Einzelheiten. Immer wieder betonen sie, von den Vorfällen vorher nichts gewusst zu haben. Man suche jetzt das Gespräch mit Eltern beteiligter Schüler. Auf eine halbe Stunde haben sie die Pressekonferenz beschränkt. Sie wird auf die Minute genau für beendet erklärt.

Während der 30 Minuten zeichnet der Amerikaner Salzer das Bild einer Multikulti-Welt wie aus dem Bilderbuch. Er spricht von Toleranz und Neugierde, die an der zweisprachigen Schule herrschten, von Ethik und Moral im Unterricht, der Internationalität der Schulklientel.

Die etwa 1600 Plätze an der »JFKS« sind hochbegehrt, die auf Dutzende Gebäude verteilte Schule im Grünen erinnert an einen US-Campus. Hier lernen Söhne und Töchter von Diplomaten und Professoren. Was könnte da schiefgehen?

Die Schule hat bereits einen Tag zuvor Fehler eingestanden. Man habe die Dimension des Falles unterschätzt. Dazu passt wohl auch der Vorwurf des Zentralrats der Juden, die Kennedy-Schule sei nur unter dem Druck geplanter Medienberichte an die Öffentlichkeit gegangen.

In der »Süddeutschen Zeitung« (Donnerstag) hat sich »Bruno«, wie das Blatt den Jungen zum Schutz seiner Identität nennt, offenbart. Es ist das Protokoll eines monatelangen Leidenswegs. In einer Pause hätten ihn Mitschüler etwa gefragt, was der Unterschied sei zwischen einer Pizza und einem Juden. Als sie den Jungen im Flur kreuzten, sangen sie: »Ab nach Auschwitz in einem Güterzug.« Immer wieder hätten Mitschüler ihn als schwul beschimpft. »Bruno« notierte, welcher Lehrer gelacht und welcher ihm geraten habe, sich zu wehren.

Junge Leute treffen eben manchmal »wrong choices«, falsche Entscheidungen, wie Direktor Salzer sagt. Was sich unter Schülerinnen und Schülern abspiele, bleibe für Lehrer oft unergründlich, man könne sich schließlich nicht in die Whatsapp-Gruppen einloggen.

Jetzt will die Schule »Diskriminierung« und »Toleranz« auf den Plan setzen - und die Lehrer zum Thema Antisemitismus fortbilden. Das ist auch im Sinn des Antisemitismus-Beauftragten des Bundes, Felix Klein. Er sehe hier ein Defizit bei Lehrern, sagte er im rbb-Inforadio. Sie seien oft nicht ausreichend auf solche Situationen vorbereitet. Bereits an diesem Freitag sollten sie an der Kennedy-Schule darüber mit den Schülern in den Klassen sprechen. Zur Zeugnisausgabe, am letzten Schultag vor den Sommerferien. Agenturen

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