Friedensangebot an den Gründervater

Linke-Wahlparteitag: Vorsitzende Hennig-Wellsow betont Gemeinsamkeiten trotz unterschiedlicher Herkünfte

Die Sorgen wegen der schlechten Umfragewerte für die Linke und der jüngsten Niederlage in Sachsen-Anhalt waren Susanne Hennig-Wellsow anzusehen. Und man hörte auch an ihrer Stimme, wie sehr sie die Lage, auch die in der Partei, belastet. Die Linke-Bundesvorsitzende sprach zum Auftakt des Wahlprogramm-Parteitags am Samstag in Berlin frei, konzentriert-sachlich und zugleich emotional. Hob das hervor, was alle in der Partei gemeinsam wollen – und dass es nicht für die Partei, sondern für die Ärmeren im Land wichtig sei, dass man sich zusammenrauft: »Wir müssen ausstrahlen: Wir sind eins, und es gibt keine zwei Parteien«, rief sie den Delegierten und Mitgliedern zu.

Um dieses Anliegen ganz praktisch zu befördern, hat Hennig-Wellsow einen Tag vor dem Delegiertentreffen ganz praktisch die Hand in Richtung eines großen internen Kritikers ausgestreckt: »Ich war gestern bei Oskar, in der tiefen Überzeugung, dass wir miteinander reden müssen«, berichtete die Ko-Parteichefin und fügte hinzu: »Wir haben nicht so große Unterschiede, aber wir müssen verstehen, dass wir aus unterschiedlichen Lebenswelten und Milieus kommen und trotzdem solidarisch für gemeinsame Ziele kämpfen können.« Oskar Lafontaine habe die Linke vor 14 Jahren mit gegründet, und die Partei werde jetzt gebraucht.

Versöhnliche Töne von der Saar

Lafontaine hatte auch die neue Parteiführung in den letzten Wochen scharf kritisiert und ihr insbesondere vorgeworfen, nicht in die aktuellen Auseinandersetzungen in seinem, dem saarländischen Landesverband eingegriffen zu haben. Nach dem Besuch von Hennig-Wellsow waren am Samstag auch von ihm versöhnliche Töne zu hören. »Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um wieder in den Bundestag zu kommen«, sagte der Chef der Linksfraktion im saarländischen Landtag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Es herrsche bei allen Differenzen »große Übereinstimmung« darin, dass die Linke die einzige Kraft sei, »die gegen Kriegseinsätze und Sozialabbau stimmt«. Die Auseinandersetzungen in seinem Landesverband seien »ein Sonderfall, der mit der Linken insgesamt nichts zu tun hat«, erklärte Lafontaine.

Für Hennig-Wellsow ist unterdessen klar, dass sich substanzielle Verbesserungen für die Mehrheit der nicht nur pandemiebedingt unter Einkommensverlusten Leidenden nur erreichen lassen, wenn die Linke Teil einer »progressiven« Regierung wird. Denn wenn CDU und CSU wieder in die Regierung kämen, bedeutet das »Kampf gegen die Armen«. Sie wolle, dass sich ab dem Tag nach der Bundestagswahl am 26. September für diese etwas zum Besseren wende. »Ohne uns werden es Millionen Menschen sein, die nicht von der Politik profitieren, sondern die nach wie vor in Armut leben müssen.« Die Linke müsse deshalb mit den Menschen ins Gespräch kommen und »mit dem Herzen Politik machen«. Es bringe niemandem »150 Euro Hartz IV mehr im Monat, wenn wir uns streiten«.

Zugleich mahnte die Parteichefin – offenbar an die Adresse von Sahra Wagenknecht wie auch Lafontaine gerichtet, die eine Konzentration auf eine Verbesserung der Lebensumstände der einheimischen Bevölkerung fordern – eine Beibehaltung internationalistischen Denkens an: »Wir können es uns gar nicht leisten, den Satz 'Proletarier aller Länder vereinigt Euch' sausen zu lassen.« In Zeiten neoliberaler Globalisierung, deren katastrophale Folgen für Menschen in armen Ländern etwa durch das von der Großen Koalition kürzlich beschlossene Lieferkettengesetz kaum abgemildert werden, habe die Linke geradezu die Pflicht dazu.

Wagenknecht stichelt weiter

Wagenknecht, die im April in Nordrhein-Westfalen erneut auf Platz eins der Landesliste gewählt worden war, hatte derweil nur Stunden vor dem Parteitag erneut in einem Interview beklagt, die Linke habe »leider ihr Image als Partei der sozialen Gerechtigkeit teilweise verloren«. Zugleich kritisierte sie abermals eine angebliche Abgehobenheit ihrer Partei und Fixierung auf »Lifestyle«-Themen. Zugleich stellte sie die These auf, in der antirassistischen Black-Lives-Matter-Bewegung, die in den USA 2014 nach Fällen tödlicher Polizeigewalt gegen Schwarze entstanden war, würden mehr Weiße als Schwarze mitmachen. Zudem gehe es oft nur um »das Sortieren« von Menschen nach Hautfarbe anstelle des Zusammenführens sozialer Kämpfe, wie einst von der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung, so Wagenknecht.

Die ehemalige Chefin der Linksfraktion betonte, sie »suche keinen Streit« mit den Genossen. Ihr vieldiskutiertes Buch »Die Selbstgerechten« sei keines »über und schon gar nicht gegen die Partei Die Linke, sondern eine Analyse, warum viele linke Parteien in ganz Europa so schwach sind«. Sie mache Vorschläge, wie die Linke wieder »mehr Zustimmung beim Wähler« bekommen könnte.

Einzelne Genossen hatten kürzlich den Ausschluss Wagenknechts aus der Linken beantragt. Dies hatten Parteispitze und Vorstand der Bundestagsfraktion klar zurückgewiesen.

Solidarität unteilbar

Gleichwohl gingen in der Generaldebatte etliche Rednerinnen und Redner inhaltlich auf Wagenknechts Vorwürfe ein, unter ihnen Bundesschatzmeister Harald Wolf. Er wies darauf hin, dass der Berliner Mietendeckel eine »soziale Großtat« sei. »Und wenn wir sagen: Wohnen ist ein Menschenrecht, dann müssen wir auch gegen rassistische Diskriminierung am Wohnungsmarkt kämpfen«, betonte Wolf. Der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen sei zugleich »feministische Politik gegen schlechte Bezahlung in sogenannten Frauenberufen und für die Anerkennung von Care-Arbeit«. Und der Einsatz für einen »kostenlosen und für alle verfügbaren öffentlichen Nahverkehr« sei »soziale Politik in Verbindung mit Kampf für Klimagerechtigkeit«. Ähnlich äußerte sich Berlins Kultursenator Klaus Lederer.

Katina Schubert, Berliner Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken, sagte mit Blick auf einen von manchen Genossen betonten Gegensatz zwischen sozialer, antirassistischer und feministischer Politik: »Was wir hier immer gegeneinander diskutieren, gehört zusammen.« So habe die Linke jüngst den Streik beim Lieferservice »Gorillas« unterstützt, nicht obwohl, sondern weil die Mehrheit der dort Ausgebeuteten migrantischer Herkunft sei. Der »Antagonismus von Arbeit und Kapital« sei nun einmal verbunden mit partriarchalen und rassistischen Diskriminierungen.

Lange To-Do-Liste

Unterdessen zeigte sich die Ko-Vorsitzende und Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl, Janine Wissler, bereits vor Parteitagsbeginn optimistisch, dass sich die Partei geschlossen hinter dem Wahlprogramm versammeln werde, das rund 580 Delegierten am Sonntag beschließen werden. Am Samstag wurde auf der Delegiertenkonferenz erst einmal über zahlreiche Änderungsanträge zum Programmentwurf abgestimmt. So nahm die Mehrheit der Delegierten einen Antrag an, in dem die Erhöhung des gesetzlich festgelegten Mindesturlaubs auf 36 Tage gefordert wurde.

Im wesentlichen dürfte der vom Bundesvorstand vor einer Woche beschlossene Entwurf, in den bereits ein Großteil der rund 1000 Änderungsanträge übernommen worden war, Bestand haben. Darin wird ein Mindestlohn von 13 Euro brutto pro Stunde und eine solidarische Mindestrente von 1200 Euro sowie eine soziale Mindestsicherung in gleicher Höhe gefordert, des weiteren ein sozial-ökologischer Umbau der Gesellschaft mit massivem Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, ein gerechtes Bildungssystem, ein Mietendeckel auf Bundesebene, der Abzug der deutschen Soldaten aus den derzeitigen Einsatzgebieten und ein Rüstungsexportverbot. Zudem will die Linke eine einmalige Vermögensabgabe für das reichste Prozent der Bevölkerung zur Finanzierung der Kosten der Coronakrise.

Kritik an SPD und Grünen

Die Ko-Chefin der Linksfraktion, Amira Mohamed Ali, warf SPD und Grünen in ihrer Rede Unglaubwürdigkeit vor. Beide Parteien sollten sich »mal ehrlich machen« und darlegen, wie sie mit Union und FDP eine soziale Politik durchsetzen wollen. Eine solche sei nur mit der Linken möglich. Auch Hennig-Wellsow hatte betont, dass die von SPD und Grünen angekündigte soziale und ökologische Politik nur mit der Linken machbar sei.

Thüringens Linke-Ministerpräsident Bodo Ramelow schaltete sich derweil aus einem Garten in die Versammlung und mahnte in einem Grußwort während der Versammlung, die Genossen müssten im Wahlkampf stärker auf die Menschen zugehen. Es gelte, deren Herzen zu gewinnen. Die Linke sei der starke Garant, dass das Land sozialer und gerechter werde. Dagegen meinte der Delegierte Simon Aulepp, er halte eine Politik der »warmen Herzen und der Liebe« für falsch. Vielmehr müsse es um eine »Politik der geballten Faust« und darum gehen, »das kapitalistische System zu überwinden«.

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