KZ-Gedenken sieht Opfer als Täter

An der Universität in Wuppertal gelten Kommunisten vor allem als Demokratiefeinde

Die Geschichte beginnt harmlos: In der »Westdeutschen Zeitung« war auf der Lokalseite für den Wuppertaler Stadtteil Barmen zu lesen: »Studenten stellen Ideen für Gedenkort vor.« Universitäre Lehre mit einem realen Beispiel des Konzentrationslagers Kemna; eine gute Idee, eigentlich. Wären da nicht zahlreiche Aussagen im Bericht der Zeitung, die aufhorchen lassen. So wird ein Student zitiert, der erklärt, man habe die Schwierigkeit gehabt, »einen passenden Ort für Opfer und Täter zu finden«. Die Zeitung führt aus: »Die Einteilung in Opfer und Täter versuchen sie jedoch zu vermeiden. Denn die Grenzen seien schwammig.« Dazu erklärt eine Studentin, »natürlich« habe »niemand dieses Leid verdient«. Es seien aber auch Täter zu Opfern geworden und umgekehrt.

Ulrike Schrader, Dozentin des Seminars, sagt dazu: »Rund 80 Prozent der Häftlinge waren Kommunisten und damit auch Gegner der Weimarer Republik, also der Demokratie.« Die »Westdeutsche Zeitung« ergänzt Schraders Ausführungen, niemand habe eine »weiße Weste« gehabt und man wolle niemanden zum Helden oder Vorbild machen. Kein Wort fällt darin zum Bündnis der Nationalsozialisten mit reaktionären Eliten und Kapital; auch nicht dazu, dass den Nazis die Macht und damit der Zugriff auf alle Institutionen des Staates friedlich übergeben wurden.

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Das KZ Kemna lag am Rand von Wuppertal, in der ehemaligen Putzwollfabrik wurden von Juli 1933 bis Januar 1934 zwischen 2500 und 3000 Menschen inhaftiert. Dabei handelte es sich vorwiegend um politische Häftlinge, Anhänger der Kommunistischen Partei und Sozialdemokraten. Bekannt ist das KZ für miserable hygienische Verhältnisse, Willkür und Folter. Im öffentlichen Bewusstsein ist Kemna erst seit den 1980ern, als ein Mahnmal errichtet wurde. 2019 hat der Evangelische Kirchenkreis Wuppertal das Gelände des ehemaligen KZ gekauft, das Kirchenarchiv soll dort untergebracht werden und ein Gedenkort entstehen. Ilka Federschmidt, Superintendentin des Kirchenkreises, erklärt dies auch mit der Verantwortung der evangelischen Kirche. Statt die Inhaftierten zu unterstützen, habe die Kirche »in ihrem Leid die Gelegenheit, Kommunisten und Sozialisten zu missionieren und in den Schoß der Kirche zurückzuführen«, gesehen.

Federschmidt stellt sich in einer am Sonntag veröffentlichten Stellungnahme gegen den Eindruck, der aus dem Seminar in der »Westdeutschen Zeitung« vermittelt wurde. Dass im Blick auf die in Kemna gefangenen Kommunisten nicht klar zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden sei, entspreche »in keiner Weise der klar geäußerten Position der evangelischen Kirche als Träger des Projektes zur Entwicklung eines Gedenkortes Kemna«. Die Superintendentin kündigte an, den »völlig falschen Eindruck«, der durch das Seminar erzeugt wurde, aufzuarbeiten und die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Die Planung für den Gedenkort liegt in der Hand eines »versierten Fachbüros«, Zwischenschritte sollen transparent gemacht und diskutiert werden.

Federschmidt stellte außerdem klar, dass die Begegnungsstätte Alte Synagoge weder die Planungsverantwortung habe noch für die Planungen in Kemna sprechen könne. Das ist besonders brisant, denn Ulrike Schrader leitet diese Begegnungsstätte. Hier stehen sich also zwei wichtige Akteure der Geschichtspolitik im Lokalen gegenüber. Interessant ist auch, dass das Statement der evangelischen Superintendentin erschienen ist, nachdem sich Ulrike Schrader schon zweimal über die Internetseite der Universität geäußert hatte.

In ihrem ersten Statement erklärt Schrader, dass jeder Häftling zu Unrecht in Kemna gesessen habe. In der Zeitung habe es einen »besonders unglücklich verkürzten und missverständlich verknüpften Wortlaut« gegeben. Auch die Universitätsleitung beklagte sich über die Darstellung im Artikel. In einem zweiten, am Freitag erschienen Statement nahm Schrader dann vor allem ihre Studierenden in Schutz. Auf die öffentliche Präsentation und erst recht einen Pressetermin hätte sie diese besser vorbereiten müssen, so die Selbstkritik. Auch erklärte Schrader, dass sie es bedauere, wenn »der Eindruck entstehen konnte, dass ich die Häftlinge des ›KZ Kemna‹ aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit bewertet hätte«. Alle hätten dort gleichermaßen unter den Wachmannschaften gelitten.

Also alles nur ein Missverständnis in der Kommunikation? Der Vorfall gibt Hinweise auf ein fragwürdiges Geschichtsverständnis Schraders. Im letzten Herbst stellte der Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal beim Begleitausschuss der Partnerschaften für Demokratie einen Antrag auf Förderung einer Ausstellung. Es sollte um Opfer des Nationalsozialismus im Jahr 1933 gehen. Der Begleitausschuss lehnte die Förderung ab, formal weil kein Geld da war. Ulrike Schrader äußerte sich allerdings auch inhaltlich zum Antrag. Die Fokussierung auf die Pole »Täter – Opfer« erscheine ihr im Angesicht der Forschung zur Volksgemeinschaft »gestrig und obsolet«. Die Frage, warum die meisten Deutschen den NS unterstützten, lasse sich nicht »anhand von Opfern und Tätern« beantworten. Dies sorgte vor allem in den sozialen Medien für viel Empörung. Lokalhistoriker wie Detlef Vonde oder der Essayist Daniel Rapoport beklagten die Darstellungen Schraders. Sie unterschätze die Rolle der frühen Konzentrationslager und die Relevanz der Bekämpfung politischer Gegner für die Nazis.

Im Lokalen wird der Streit über die »richtige«Geschichtsauffassung weitergehen. Schrader stehen viele Initiativen nun kritisch gegenüber. Die Neigung zur Erforschung der Stadtgeschichte ist in Wuppertal ausgeprägt.

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