Wolf Biermann: So oder so

Wer weiß noch, dass Wolf Biermann früher links war? Eine Ausstellung in Berlin zeigt ihn als imposantes Role Model der 70er Jahre

Was war denn los in Ostberlin? Wolf Biermann unterhält sich mit Rudi Dutschke in seiner Wohnung in der Chausseestraße, 1968
Was war denn los in Ostberlin? Wolf Biermann unterhält sich mit Rudi Dutschke in seiner Wohnung in der Chausseestraße, 1968

Eine der dümmsten Aktionen der SED unter Erich Honecker war die Ausbürgerung des Dichters und Musikers Wolf Biermann im November 1976. Das war moralisch und politisch abstoßend, bekannte DDR-Intellektuelle protestierten dagegen und mussten in der Folge teilweise das Land verlassen. Mancher sieht darin den Anfang vom Ende der DDR, aber das ist dann doch eine starke Überschätzung des Überbaus. Dieser Staat wurde tatsächlich ökonomisch immer schwächer – obwohl er bis kurz vor seinem Untergang im Westen als die führende Industrienation im Osten galt. Das waren die Widersprüche und die brachte Wolf Biermann in seinen alten Liedern sehr gut auf den Punkt. Jedenfalls solange er ein Held der Linken war – das ist also schon alles ziemlich lange her.

Im Deutschen Historischen Museum gibt es nun eine Ausstellung über sein Leben in Ost und West, fast schon so etwas wie ein Nachruf zu Lebzeiten, kuratiert von Monika Boll, die in einem Interview mit der »Berliner Morgenpost« darauf Wert legt, »dass es keine Ausstellung von, sondern über Wolf Biermann« sein soll. Ein wichtiger Hinweis, denn schon seit Jahrzehnten geistert der mittlerweile 86jährige Künstler als selbstbewusste Nervensäge durch die Medien, als ein »pantagruelisch rumpumpelnder Riese Nimmersatt«, wie ihn Gerhard Henschel in seiner Untersuchung »Das Blöken der Lämmer – Die Linke und der Kitsch« schon 1994 beschrieben hat.

Doch der Biermannsche Vitalismus, sein theatralisches Umschalten von Geflüster in Gebrüll beim Singen seiner Lieder, hatte in den 70er Jahren, auf seinen ersten drei Solo-Alben, die nur im Westen erscheinen konnten, auch etwas Ergreifendes und Signifikantes, wie damals auch die Lässigkeit eines Udo Lindenberg, die heutzutage nur noch lächerliches Klischee ist, sehr neu war. Vom Vortrag her war Biermann energetisch irgendwo zwischen Pathos, Punk und Tom Waits angesiedelt. Politisch war er viel interessanter, wenn er, das »echte Kommunistenkind«, wie er sich auch heute noch bezeichnet, gegenüber den DDR-Kommunisten als individueller Vertreter einer Art wahren Linken auftrat, als wenn er sich als ein vom Kommunismus Geheilter von den BRD-Antikommunisten feiern lässt – das ist der einfachste Beifall, den man hierzulande kriegen kann.

Als Sohn Hamburger Kommunisten ging er 1953 mit 16 Jahren in die DDR, um ein Internat bei Schwerin zu besuchen und dann auch zu studieren (erst Politische Ökonomie, dann Philosophie). In der Berliner Ausstellung kann man seinen Antrag auf die Aufnahme in die SED lesen, das ist wenig erhellend. Interessanter ist das Protokoll seines Vorsingens bei Hanns Eisler und verschiedenen Fernseh- und Radioleuten. Eisler kannte Biermann schon, war begeistert und forderte, dass man ihn und seine Lieder »popularisieren« müsse. Das passierte dann ja auch, nur ganz anders als intendiert.

Offiziell bekam Biermann nur Ärger. Sein kritisches Gedicht »An die Alten Genossen« sorgte 1962 für einen Eklat bei einem von Stephan Hermlin organisierten Abend für »Junge Lyrik: unbekannt und unveröffentlicht«, vor allem seine damit verbundene Bemerkung: »Es ist natürlich schwer, Maßstäbe für Lyrik zu finden, wenn man ständig das ›Neue Deutschland‹ liest. Was dort an Lyrik veröffentlicht wird, das kann einen nur zum Erbrechen bringen.« Das war lange Biermanns Modus: Die Forderung nach dem großen linken Frischmachen, dem Neubeginn der sozialistischen Idee – bei den undogmatischen Linken in West wie Ost war das sehr beliebt. »Oh Gott, lass du den Kommunismus siegen!«, brachte Biermann diese Erweckungsideen 1969, ein Jahr nach der Niederschlagung des »Prager Frühlings« munter auf den Punkt, auf seinem ersten Album »Chausseestraße 131«.

Biermann hatte in der DDR fünf Veröffentlichungen in Anthologien, bis er nach dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 mit einem Auftritts- und Publikationsverbot belegt wurde, nachdem sein Gedichtband »Die Drahtharfe« im Westberliner Wagenbach-Verlag erschienen war. »Wer politisch pervers ist, darf es auch im sexuellen sein«, hetzte Klaus Höpke gegen ihn im »Neuen Deutschland«. Schon vorher war die Aufführung von Biermanns Theaterstück »Berliner Brautgang« verboten worden, weil es eine Liebesgeschichte in der Mauerstadt zum Thema hat. Um die DDR glaubhaft zu kritisieren, musste Biermann für die DDR eintreten, wie man in einem Live-Ausschnitt vom April 1965 sehen kann, als er mit dem Westberliner Kabarettisten Wolfgang Neuss für die Ostermärsche im Westen auf Tournee ging und deklamierte: »Die deutschen Exkremente sind / dass es uns nicht geniert / in Westdeutschland mit deutschem Fleiss / poliert und parfümiert. / Was nie ein Alchemist erreicht / sie haben es geschafft: / aus deutscher Scheiße haben sie Gold gemacht / DDR, mein Vaterland, / ist sauber immerhin: / Die Wiederkehr der Nazizeit ist absolut nicht drin.«

Nach seinem »Totalverbot« in der DDR strahlte er durch seine nur im Westen veröffentlichten Bücher und Platten auf den Osten zurück. Im Westfernsehen sagte er, dass es die Ostdeutschen anschalten müssten, um »sich ihren eigenen Mann mit DDR-Liedern anschauen zu können – das ist doch pervers!«. Es wird das Sennheiser-Mikrofon ausgestellt, das ihm seine Mutter Emma in die Wohnung geschmuggelt hatte, als Banane verpackt. Damit machte er seine Plattenaufnahmen in seiner Wohnung in der Ostberliner Chausseestraße, die anfänglich nur aus einem großen gemütlichen Wohnzimmer bestand, das auch auf den Plattencovern seiner ersten drei Alben zu sehen ist. Darauf sind auch Straßengeräusche zu hören, da das Haus an einer Verkehrskreuzung steht. Insbesondere sein zweites Album »Warte nicht auf beßre Zeiten« von 1973 bietet ziemlich wilde Low-Fi-Musik.

Das Setting ist dasselbe wie auch bei den Avantgardemusikern des »Magnetbanduntergrunds« der späten DDR: Man kann es, man tut es. Nur, dass er viel bekannter war: ein Role Model des linken Hedonismus, mit Rotwein, Zigaretten, Schnauzbart und Poesie, wie aus einem der Filme von Godard oder Rohmer entsprungen. Zu ihm ins Wohnzimmer kam die internationale Polit- und Kulturprominenz ebenso wie die der DDR. Ihnen allen sang er seine gefühlvollen linken Erbauungslieder: »Warte nicht auf bessere Zeiten«, »Ermutigung« und »So soll es sein – so wird es sein« mit der legendären Ankündigung: »So oder so, die Erde wird rot: / Entweder lebenrot oder todrot / Wir mischen uns da bisschen ein.«

Das Lied spielte er auch auf seinem berühmten Kölner Konzert am 13. November 1976, in dessen Anschluss ihn die DDR-Regierung ausbürgerte, wovon Biermann im Autoradio erfuhr, in »neuer Fassung«, das heißt zehn Minuten länger. Er hatte es um neue Strophen erweitert, unter anderem mit dieser: »Die Einheit der Linken in Ost und West / dann wird abstinken die braune Pest / so reißen wir die Mauer ein.« Dafür gab es in Köln noch keinen Beifall, erst als Biermann dann sang: »Die BRD braucht eine KP / wie ich sie wachsen und reifen seh’ / unter Italiens Sonnenschein.«

Zwar gab es damals wie heute in der BRD eine kommunistische Partei, nämlich die DKP, die aber von niemandem außer dem Staat ernst genommen wurde (der es ihren Mitgliedern verbot, Beamte zu sein), während die italienische KP, die mit ihrem »Eurokommunismus« auf Distanz zu Moskau gegangen war, mit über 30 Prozent Stimmenanteil bei Wahlen alle Rekorde brach – und trotzdem nicht an die Regierung kam. Diese gibt es nicht mehr, wie auch die meisten anderen kommunistischen Parteien mit dem Ende der Sowjetunion verschwanden oder zerfielen (nur die DKP murkelt weiter). Vom Kölner Konzert, das die IG Metall organisiert hatte, ist das Harmonium übriggeblieben und steht in der Ausstellung.

Als dissidentischer Topstar war der ausgebürgerte Biermann im Westen auf der Seite der Linksradikalen, solange es die Sowjetunion noch gab. Eigentlich hatte er danach nur noch einen starken Auftritt, als er 1991 bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises an ihn die IM-Tätigkeit des Prenzlauer-Berg-Dichters Sascha Anderson enthüllte und sich mit diesem ein bizarres Fernsehduell lieferte, weil er das nicht zugeben wollte. Anderson beschwerte sich, dass Biermann ihn duzte, und wurde dann von ihm darüber aufgeklärt, das Duzen sei eine gesellschaftliche Errungenschaft des Westens – sehr witzig.

Der Westen ist für andere Dinge berühmt – seine Kriege nach 1989 wurden von Biermann allesamt propagandistisch bejubelt. Dabei hatte er noch 1982, als er seinen Freund Robert Havemann kurz vor dessen Tod im Hausarrest in Grünheide bei Berlin besuchte, was Erich Honecker auf Biermanns Bitten hin extra genehmigt hatte, gesungen: »Soldat Soldat, ich finde nicht, / Soldat Soldat, dein Angesicht. / Soldaten sehn sich alle gleich, / lebendig und als Leich.«

Ohne den Realsozialismus wurde Biermann berechenbar und langweilig. Die Ausstellung deutet das an, indem sie den vergangenen 30 Jahren nicht viel Platz einräumt. Die unterschiedlichen Stationen sind mit einem gekritzelten Wolf als Symbol zu sehen. Kennen Sie eigentlich dieses Lied? »Bevor ich mit den Wölfen heule / Werd ich lieber harzig, warzig grau / Verwandele ich mich in eine Eule / Oder vielleicht in eine graue Sau (…) / Rechnet nicht mit mir beim Fahnenschwenken, / ganz gleich, welcher Farbe sie auch seien. / Ich bin noch imstand’, allein zu denken / Und verkneif mir das Parolenschrei’n.« Nein, das ist nicht von Wolf Biermann, sondern von Reinhard Mey, 1972.

Ausstellung im DHM, Berlin, bis 14.1.2024

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